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Kultur: Ruf des Meisters

Olympia-Tagebuch (7): Der Fisch stinkt vom Kopfe her / Von Petros Markaris

Die olympische Speisekarte sieht für uns Griechen als Tagesgericht eine Fischsuppe vor, die Kakavia. Sie gilt als die griechische Variante der französischen Bouillabaisse. Die beste Kakavia bekommt man auf Kreta und sie schmeckt tatsächlich sehr lecker. Die Kakavia, die uns aber täglich serviert wird, stinkt nach faulen Fischen: Kenderis, Thanou und ihr Trainer Christos Tsekos.

Wir hätten bereits seit Februar gewusst, dass Kenderis und Thanou in eine DopingAffäre verwickelt waren. So stellt es sich jetzt heraus. Das FBI soll im Laufe seiner Ermittlungen über den berüchtigten Anabolika-Spezialisten Balco auf die Namen der beiden und ihres Trainers gestoßen sein und uns umgehend gewarnt haben.

Die beiden Ex-Stars hatten auch keinen Unfall. So das Urteil des Sachverständigen der Verkehrspolizei. Und die schweren Hirn- und Rückgrat-Verletzungen? Der Sachverständige zuckt mit den Achseln. Nicht so der Gerichtsmediziner, der sie untersucht hat. Er fand überhaupt keine Verletzungen. Sind also auch Ärzte in diese erbärmliche Inszenierung verwickelt? Kenderis und Thanou wurden aber in keine private Klinik eingeliefert, sondern in ein sehr angesehenes staatliches Krankenhaus, das zur Spitze der Olympia-Krankenhäuser gehört.

Und es will nicht enden. Am Sonntag musste unser Gewichtheber Leonidas Sabanis seine Bronze-Medaille zurückgeben, weil er Testosteron-positiv getestet wurde.

Nach den Spielen kommt die Trauer. Wir müssen unsere Schuldenberge zurückzahlen und mit dem Doping-Skandal fertig werden.

Es ist doch schade. Denn wir haben nicht nur die Bauten geschafft und nicht nur die Eröffnungsfeier. Die Organisation der Spiele ist perfekt. Es gibt keine Verzögerungen, keine Pannen, kein Chaos. Atlanta war ein Desaster. Endlich haben wir es den Amerikanern gezeigt, wie man es richtig macht. Es ist schade, aber wir sind auch unsere eigenen Henker. Wir schauen solange weg, bis alle Augen auf uns gerichtet sind.

Zum Glück stinkt es aber nicht nur nach faulen Fischen. Es duftet auch im Olympia-Stadion. So am letzten Freitag während des 10000 Meter-Rennens. Es liefen drei Äthiopier, darunter auch Haile Gebrselassie, der Meister, der in Atlanta und Sydney zwei Gold-Medaillen gewonnen hatte. Gebrselassie ist aber nicht mehr so jung und konnte mit der Spitze der Läufer nicht Schritt halten. Die zwei anderen Äthiopier, die das Rennen führten, schauten immer wieder über die Köpfe der anderen Läufer besorgt zurück. Sie wussten, dass dieses Olympia-Rennen für Gebrselassie, ihren Meister, vielleicht das letzte war, und wollten nicht, dass er schlecht abschneidet. So haben sie sogar das Tempo gesenkt, um ihm die Chance zu geben, nachzuholen. Erst als sie sicher waren, dass er das Rennen respektabel beenden würde, beschleunigten sie ihr Tempo und siegten, sogar mit einem Olympischen Rekord. Sie hätten vielleicht einen Weltrekord erzielt, wenn sie das Tempo nicht gesenkt hätten, aber der Ruf des Meisters war ihnen offensichtlich wichtiger.

Wir haben die Olympischen Spiele geschaffen, nicht aber den Olympischen Geist. Der ist nach Afrika emigriert.

Petros Markaris lebt als Autor und Übersetzer in Athen. Seine Krimis (zuletzt: „Live!“) sind auch in Deutschland Bestseller. Im Tagesspiegel erscheint dreimal wöchentlich sein Olympia-Tagebuch.

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