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Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter. Szene mit Magne Håvard Brekke, Bérengère Bodin, Jürg Kienberger, Bendix Dethleffsen und Helmut Schmitt.

© Walter Mair/Ruhrtriennale 2018

Ruhrtriennale 2018: Das Universum antwortet nicht

Die politischen Turbulenzen rund um die Ruhrtriennale wollen nicht enden. Jetzt stand aber erstmal Christoph Marthalers überragendes Ives-Projekt „Universe, incomplete“ auf dem Programm.

Ein Militärflugzeug ist unmittelbar vor der Bochumer Jahrhunderthalle niedergegangen, sein abgetrenntes Heckleitwerk ragt martialisch in den Abendhimmel über Stahlhausen. Ganz oben kann man noch die deutschen Nationalfarben ausmachen. Der olivschlammige Rumpf schiebt sich den Besuchern entgegen, ein Urvieh, das aus Versehen geweckt wurde. Wie ein ausgeweideter Fafner liegt das Kriegsgerät da, aufgebrochen, mit von innen abgezogener Haut.

Zum Vorschein kommt ein überraschend fragiles Netz von Leitungen, Spanten und Nieten. Die Künstlergruppe raumlaborberlin hat der Bundeswehr bei der Modernisierung der Truppe geholfen und aus einer ehemaligen Transportmaschine den zentralen Begegnungsort der Ruhrtriennale geschaffen. Er soll sich ständig verändern, die Besucher sind eingeladen, sich zu beteiligen. Unter einem Flügel gibt es eine Bar, und dort, wo man als Passagier auf dem Flughafen nie entlanggehen darf, steht eine Tischtennisplatte. Doch keiner ergreift die bereitliegenden Schläger.

Miteinander ins Spiel kommen, sich auf ein Hin und Her mit ungewissem Ausgang einlassen und darin den eigentlichen Sinn eines solchen Festivals erkennen – davon scheint diese Ausgabe der Ruhrtriennale weit entfernt zu sein. Schon vor ihrer Eröffnung schrillten reflexartig die Alarmglocken. Die Auseinandersetzung um das schottische Musiktrio Young Fathers führte so fast zwangsläufig zum Zerwürfnis von Kultur und Politik. Dass die Band der BDS-Bewegung nahesteht, die Israel kulturell und wirtschaftlich isolieren will, ist kein Geheimnis. In München spielten die Young Fathers dennoch beim Eröffnungsfest der Kammerspiele.

NRW-Ministerpräsident Laschet hatte zur Eröffnung erstmal abgesagt

Doch über der neuen Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp braute sich ein Unwetter zusammen, mit dem sie offensichtlich nicht gerechnet hatte. In der Folge durfte jeder die nachdenkliche Dramaturgin harsch kritisieren: für die Einladung der Band, für die Ausladung, die Wiedereinladung, den letztendlichen Verzicht der Young Fathers, für die an diesem Wochenende eingeschobene Podiumsdiskussion, die über Kunst, Protest und Boykott ins Gespräch kommen will.

Frühzeitig hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sein Erscheinen bei der Ruhrtriennale abgesagt und die Intendantin damit öffentlich zur Antisemitin gestempelt. Wäre man im Revier so mit einem Mann umgesprungen, etwa mit Carps Vorgänger Johan Simons und seinem zünftig kultivierten Malocher-Image? Doch die ostentative Unlust, miteinander zu sprechen, zieht noch weitere Kreise. Das türkische Hezarfen Ensemble hat seinen Auftritt abgesagt, nachdem der türkischstämmige deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli in der „Welt“ die Programmbeschreibung des Konzerts scharf kritisiert hatte: Er las dort eine Verharmlosung des Genozids an den Armeniern heraus. Zu einer Auseinandersetzung mit der Vielzahl an Schicksalen, denen das Hezarfen Ensemble in seiner „Music of Displacement“ nachgehen wollte, kam es so gar nicht mehr. Eine bittere Niederlage der Kultur, ein ratlos machender Unwille, etwas voneinander zu erfahren.

Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp (l) und NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Podiumsdiskussion zur Freiheit der Künste am Samstag in der Turbinenhalle.
Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp (l) und NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Podiumsdiskussion zur Freiheit der Künste am Samstag in der Turbinenhalle.

© dpa/Ina Fassbender

Diese Erstarrung brachte Carp seitenfüllende Interviews ein, in denen es mit keinem Wort um das Programm ging, das sie zum Auftakt ihrer dreijährigen Amtszeit vorstellt. Es gibt gar Gemunkel über eine vorzeitige Ablösung der Intendantin, was ihren langjährigen Mitstreiter Christoph Marthaler dazu nötigte, in einem offenen Brief von Laschet „gelebte Wertschätzung“ einzufordern. Marthaler und Carp haben einmal zusammen ein Theater geleitet, in Zürich. Aus dem Kleinkrieg mit der Politik hat Marthaler die Konsequenz gezogen, keine Leitungsfunktion mehr anzunehmen. Nun ist er bei Carp als artiste associé zu Gast. Immerhin lässt er sie nicht allein mit dem dreckigen Geschirr.

Hinzu kommt das, was einen lebendigen Festivalbetrieb eigentlich ausmacht: Dort sind Skulpturen noch nicht fertig, hier muss die Eröffnungsrednerin, Saatgut-Aktivistin und Monsanto-Gegnerin Vandana Shiva aus familiären Gründen absagen. Die eingesprungene Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan führt mit einer einfachen Frage mitten in eines von Carps Hauptthemen: „Gibt es jemanden im Saal, der keine Baumwolle trägt?“

Marthaler schickt seine Darsteller vorsorglich einzeln durch den Sexurity-Check

Wir leben in einer postkolonialen Welt, in der von Chancengleichheit keine Rede sein kann, Systeme von Ausbeutung nach wie vor bestehen und Anlass für unfreiwillige Migration sind. Bestürzend Mohammed Al Attars Recherche „The Factory“ über den französischen Zementkonzern Lafarge, der sein Werk im Nordosten Syriens mit allen Mitteln am Laufen halten will, egal, wer das Gebiet gerade erobert hat. William Kentridge erforscht mit seinem musikalisch-kinetischen Wundertheater die Leiden von Millionen Afrikanern, die von den Kolonialmächten in den Ersten Weltkrieg gezwungen wurden. „The Head and the Load“ beschert der Ruhrtriennale einen gefeierten Auftakt, der Intendantin einen Extra-Applaus und ihrer Eröffnungsrednerin Dhawan den künstlerischen Nachhall für ihre Mahnung: Die Europäer verraten die Aufklärung, indem sie in den ehemaligen Kolonien predigen, aber ihren Werten selbst nicht folgen.

In dieses Klima vom Versagen symbolischer Politik und künstlerischer Selbstbehauptung schiebt sich nun die zentrale Eigenproduktion dieses Ruhrtriennale-Jahrgangs, Christoph Marthalers Musiktheaterabend „Universe, incomplete“ nach Musik von Charles Ives. Auch Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert ist unter den Zuschauern. Er wird am Samstag die turbulente Podiumsdiskussion zur Freiheit der Kunst moderieren, bei der Carp ihre Young-Fathers-Einladung noch einmal verteidigen und Boykottstrategien gleichwohl anzweifeln wird, während NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen null Toleranz für radikale Israel-Positionen wie die des BDS fordert. Das Gespräch über Kultur gerät zum Staatsakt, mit unabsehbaren Folgen.
Marthaler wiederum schickt seine Darsteller in der Jahrhunderthalle vorsorglich einzeln durch einen Security Check. Ist das Häuschen des stoischen Wächters überwunden, tut sich eine Spielfläche von gigantischen Ausmaßen auf. Marthaler und seine Ausstatterin Anna Viebrock lassen die Halle in ihrer gesamten Breite offen und werfen nur spärlich optische Anker: hier ein Kirchengestühl, dort einige Kinositze, Bahngleise, auf denen Wagen und sogar ein Lokschuppen fahren können. Dazu Grinsekatzen-Bänke und eine verwinkelte Brücke, die aus Marthalers vorletzter Volksbühnen-Produktion „Hallelujah (Ein Resevat)“ stammen, die Ostcowboys in den Plänterwald folgte. Auch seine letzte Inszenierung am Rosa-Luxemburg-Platz, „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“, wird bei der Ruhrtriennale noch einmal gezeigt. An melancholischen Wegmarken herrscht kein Mangel.

Ein gigantischer Raum - und die Musik erklingt hoch über den Köpfen

Von dem Riesenorchester, den Schlagzeugbatterien und Marching Bands, die Ives bei seiner unvollendeten „Universe Symphony“ vorschwebten, ist nichts zu sehen und zunächst auch nichts zu hören. Dann lassen sich erste Schläge unter der Tribüne vernehmen, zu denen sich in der Höhe ein Ticken und Rasseln, Scheppern und Klingeln gesellt, als sei die nach Schmierstoffen riechende Halle wieder zu Leben erwacht – oder als würde aus ihren Stahlpfeilern ein geheimer Musikvorrat freigelassen in die Nacht.

Erst mit der Zeit erkennt man, dass diese große Raummusik von den Brücken hoch über den Köpfen erklingt, in deren Mitte Dirigent Titus Engel schwebt. Obwohl alle Instrumente vertrackt in anderen Taktsystemen angeschlagen werden, entsteht ein großer Puls, ein Kreisen, der Beginn aller Dinge. Ives träumte 1915 davon, seine Orchestergruppen auf Hügeln zu verteilen, sie auf Flößen vorüberziehen zu lassen, eine Musik, die immer anders klingt, abhängig vom Standpunkt des Zuhörers – unentwirrbare Vielschichtigkeit. Dass das erst, wenn überhaupt, kommende Generationen verwirklichen werden, war Ives bewusst.

Musikalisch ist dieser Abend ein großes Glück

Wie ernst ihn Marthaler nehmen würde, konnte er nicht ahnen. Der Regisseur kombiniert aus tiefer musikalischer Einsicht vielerlei Ives’ zum unfertigen Universum hinzu, traumverlorene Choräle, angeführt von der wunderbaren Tora Augestad, Ragtime-Einwürfe in Sportuniformen, gewaltige Eruptionen der unsichtbaren Bochumer Symphoniker in extrastarker Besetzung. Musikalisch ist dieser Abend ein großes Glück, weil diesen Aufwand so schnell keiner mehr mit so viel Hingabe betreiben wird.

Als Theaterabend jedoch wirkt dieser Marthaler tief eingegraben, die am liebsten per Sprachrohr applizierten Texthappen von Gerhard Falkner und Martin Kippenberger erscheinen als sinnfreie Vertreibung der Stille. Der Humor hat Freigang, er blitzt nur kurz auf im Vorbeirennen eines Tubisten, der immer zu spät erkennt, aus welcher Richtung der Klang eigentlich weht. Zum Schluss umklammern sich die Darsteller paarweise, natürlich sehr unbeholfen, um letztlich vereinzelt den Kopf schief zu legen und „The Unanswered Question“ zu lauschen. Das Universum antwortet uns nicht. Zumindest nicht so, dass wir es auch verstehen.

Weitere Aufführungen am 19., 22., 23., 24. und 25. August. Infos unter www.ruhrtriennale.de

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