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Rundfunkorchester: Geburtstag mit Missklängen

Warum die geplante Fusion der beiden Berliner Rundfunkorchester Berlins Ruf als Kulturstadt beschädigt.

Es sollte am heutigen Sonntag eine würdige Geburtstagsfeier werden. Mit Empfang beim Bundespräsidenten, einer ganzen Reihe von Sonntagsreden zum Thema „15 Jahre Berliner Rundfunkorchester und -chöre GmbH“, in denen die Bedeutung der ROC und ihrer vier Ensembles für die gesamtdeutsche Kulturlandschaft beschworen wird, und natürlich auch mit einem musikalischen Rahmenprogramm, das die Exzellenz der Ensembles vor Ort unter Beweis stellt. Alles sicher nicht eben aufregend, aber gerade deshalb wäre von der Matinee in Schloss Bellevue das behagliche Gefühl ausgegangen, dass eigentlich alles in bester Ordnung ist: dass kein Musiker mehr um seinen Arbeitsplatz fürchten muss und dass vor allem die zermürbenden Nachwendejahre nun endgültig vorbei sind, in denen Kulturpolitik in Berlin hauptsächlich aus immer wieder neuen, abenteuerlichen Fusions- und Abwicklungsplänen bestand.

Mit diesem Sicherheitsgefühl ist es jetzt allerdings schon wieder vorbei, bevor die Feier überhaupt begonnen hat: Am Freitag sickerte durch, dass die beiden Hauptgesellschafter der GmbH, der Bund und das Deutschlandradio, eine Fusion der beiden größten ROC-Ensembles betreiben wollen: Bereits 2011 sollen das Deutsche Symphonieorchester (DSO) und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) zu einem Superorchester unter Leitung des RSB-Chefdirigenten Marek Janowski verschmolzen werden. So lautet zumindest der Plan, den der in dieser Sache federführende neue Intendant des Deutschlandradio, Willi Steul, eigentlich erst in zwei Wochen in Berlin vorstellen wollte.

Ein Donnerschlag aus heiterem Himmel: Schließlich ist es gerade mal ein halbes Jahr her, dass sich die Gesellschafter – neben dem Deutschlandradio und dem Bund noch das Land Berlin und der RBB – dazu durchgerungen hatten, die ROC-Ensembles durch eine Etaterhöhung von sechs Millionen Euro für die nächsten Jahre auf eine sichere finanzielle Basis zu stellen. Und künstlerisch besteht ohnehin keinerlei Handlungsbedarf: Das RSB, noch vor zehn Jahren ein Abwicklungskandidat bei den Sandkastenspielen der Berliner Kulturpolitik, hat unter Janowski seinen Platz in der Spitzengruppe der deutschen Orchester zurückerobert, und das DSO befindet sich dort ohnehin schon. Beide Ensembles prosperieren und verzeichnen seit Jahren steigende Abonnentenzahlen, das DSO ist auf dem internationalen Tourneemarkt gefragt wie nie: Im kommenden Jahr wird es unter anderem die Salzburger Festspiele eröffnen und in Paris, Brüssel und Wien auftreten. Bedarf an einem noch besseren und größeren Orchester, wie es sich Steul wünscht (Tagesspiegel vom 5. Dezember), ist derzeit beim besten Willen nicht zu erkennen.

Entsprechend dünn ist die Argumentationsgrundlage, auf der sich der erst seit einem halben Jahr amtierende Rundfunkintendant bewegt. Auslöser für den Vorstoß sei, dass sich die Finanzierungsfrage in der ROC in drei Jahren, nach dem Auslaufen des neuen Subventionsvertrags, neu stellen könnte, sagt Steul. Ein Argument, mit dem man übrigens sämtliche deutschen Orchester auflösen könnte. Schwer vorstellbar auch, dass sich der 70-jährige Janowski für dieses Unternehmen hergeben wird: Wenn der Maestro nicht bald dementiert, wird er mit seinem eigenen Orchester vermutlich Ärger genug bekommen. Denn auch wenn nach den bisherigen Beteuerungen (denen eh kein Mensch glaubt) kein Musiker entlassen werden soll, scheint es doch klar, dass eine Verkleinerung der beiden Klangkörper zu einem Ensemble von 120 Musikern zu Lasten beider Orchester gehen wird.

Grund für den Handstreich ist die vermeintlich günstige Gelegenheit: Weil das DSO nach dem Abgang seines Chefs Ingo Metzmacher zum Ende dieser Spielzeit führungslos dasteht, sollen nun eilends Nägel mit Köpfen gemacht werden. Der Schaden für das Orchester ist schon allein deshalb immens, weil es dem DSO die Suche nach einer neuen Dirigentenpersönlichkeit enorm erschwert. Wegen der komplizierten Gesellschafterkonstruktion gelten Vertragsverhandlungen mit der ROC ohnehin als ermüdend – und wer aus dem kleinen Häuflein der international begehrten Pultstars lässt sich unter diesen Vorzeichen auf so eine Prozedur ein? Unabsehbar ist schon jetzt der kulturpolitische Schaden. Nachdem Berlin endlich aus den Negativschlagzeilen heraus war, die ihren Ruf als Kulturmetropole ab Mitte der neunziger Jahre beeinträchtigt hatten, herrscht nun wieder allgemeine Verunsicherung: Wenn der Plan Erfolg haben sollte, wird sich kein Berliner Orchestermusiker mehr sicher fühlen. Alle Orchester werden sich nur noch an ihre Chefdirigenten klammern, weil sie wissen, dass jedes Machtvakuum für sie existenzbedrohend sein könnte. Kein Klima für Experimente, von denen Kultur zwar lebt, die aber immer das Risiko des Scheiterns bergen.

Natürlich stirbt niemand, wenn es in Berlin ein Orchester weniger gibt, und auch ein fusioniertes Orchester dürfte über kurz oder lang guten Bruckner und Beethoven spielen. Ebenso gut könnte Berlin auch mit ein, zwei Museen weniger leben oder zehn Prozent seiner Kunstschätze verscherbeln, ohne dass der kulturelle Notstand ausbräche. Doch darum geht es gar nicht. Sondern darum, dass die Bedeutung der deutschen Orchesterlandschaft und ihrer Hauptstadt Berlin eben in ihrer Vielfalt liegt. Dass erst die Verschiedenheit von Orchesterklängen und Interpretationen die Vielschichtigkeit des musikalischen Erbes deutlich macht und dass erst unter diesen besonderen Laborbedingungen die Antworten gefunden werden, die die Musik von Mozart, Brahms und Mahler für unsere Existenz geben kann.

Und eigentlich war nach den zermürbenden Fusionsdiskussionen der letzten Jahre ja gerade das als Erkenntnisgewinn geblieben: dass der eigentliche Wert jedes Spitzenorchesters in seinem spezifischen Klang besteht, in dem sich Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte als eine Art immaterieller Setzstoff abgelagert haben. In diesem Sinn gehören sowohl das RSB wie das DSO zu der Matrix, die die kulturelle Identität Berlins wie Deutschlands definiert. Umso mehr erstaunt die offensichtliche Leichtfertigkeit, mit der dies alles infrage gestellt wird, nur weil Zeitpunkt und Machtverhältnisse gerade günstig scheinen.

Von den Orchestern ist bislang nichts zu hören, alle Beteiligten hüllen sich in Schweigen. Kulturstaatsminister Neumann teilte am Sonnabend knapp mit, die Vorschläge würden vom Bund geprüft, eine Entscheidung gebe es nicht. Hilfreich wären konkrete Bekenntnisse zur Berliner Orchesterlandschaft – auch aus dem Mund des Regierenden Kultursenators Wowereit. Heute Mittag in Schloss Bellevue ist dafür eigentlich die beste Gelegenheit. Könnte vielleicht doch noch eine schöne Geburtstagsfeier werden.

Jörg Königsdorf

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