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Rusalka: Eine fliegt über das Kuckucksnest

Ein Trauertraumspiel: Martin Kusej inszeniert in München Dvoraks Oper "Rusalka" und verdient die Ovationen.

Zum letzten Mal stand die sagen- und märchenhafte Nixe Rusalka vor zwei Jahren auf einer bedeutenden Opernbühne, bei den Salzburger Festspielen. Damals geriet sie in ein Gedankenknäuel der Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito und erinnerte schwer an Hitchcocks platinblonde weibliche Kühlkammerxistenzen, die sich in Durchlauferhitzer verwandeln. Die Salzburger Rusalka wollte unter all den naturfernen Menschenkarikaturen der einzige echte Mensch sein und werden und auf jeden Fall weg von ihrem unseligen Wassermannsvater, der ein Bordell leitete. Selbst auf die Gefahr hin, die Sprache zu verlieren und ewig stumm zu bleiben, gab sie sich ganz bewusst („geschändet ist mein Schoß“, steht im Libretto von Jaroslav Kvapil) dem damals schon wenig idealisierten Prinzen hin.

Wieler und Morabito verspürten ein gerüttelt Maß an Unbehagen gegenüber diesem romantischen Märchenstoff und ließen ihn förmlich verrascheln, als Rusalka am bösen Ende ihren Todeskuss praktizierte. Also schufen sie in Salzburg eine final sehr aktive Rusalka, die die Leiche des Prinzen in den Gulli drückt und ihr schnell noch ein Kruzifix hinterherwirft. Das gab, so verkopft es anmutet, natürlich Ärger.

Der gebürtige Kärntner und kommende Intendant des Münchner Residenztheaters, Martin Kusej (an seinen besten Abenden vielleicht der zärtlichste aller Berserker auf dem Theater), hat die „Rusalka“-Fäden von Wieler und Morabito nun weitgehend entwirrt, indem er aus deren psychologisierendem Behauptungstheater im Münchner Nationaltheater einfach ein spätbürgerliches Trauertraumspiel destilliert: ohne Zeigefinger, aber packend und poetisch, realistisch und, ja, berührend.

Es ist dies mit Abstand die beste Produktion seit Jahren an der von Nikolaus Bachler nicht eben glücklich geleiteten Münchner Oper – und das kommt so: Natur (Tannenrauschen und Bergesblick inklusive) finden sich lediglich noch auf einer Fototapete. Jede Idylle ist hier Behauptung, Rusalkas „Lied an den Mond“ ein einziger Hilfeschrei. Vor dem Kunstprospekt hausen der Wassermann und die bei der Verwandlung Rusalkas hilfreiche Hexe Jezibaba. Nebenbei: Bis in einzelne Bühnenbilddetails hinein (Martin Zehetgruber) erinnert die Produktion an den Stuttgarter „Ring“ der vier Regisseure; auch Kusej ist also ein Kind der Zeheleinschen Dramaturgie. Auf einer zweiten Ebene dann vegetieren die Nymphen vor sich hin („ohne Hemd und ohne Röckchen“, wie das Libretto sie sah). In München haben sie zwar etwas an, allerdings liegt, was Schaudern macht, ein Hauch von Amstetten über den Wassermann-Szenen, wer dächte hier nicht an Josef Fritzls grässliche Katakombe oder an Natascha Kampuschs Kellerzimmer.

Münchens Rusalka ist die Lettin Kristine Opolais, die erst im September während der Proben für ihre schwedische Kollegin Nina Stemme eingesprungen war. Bis in die kleinste Körperbewegung und Geste hinein, vom Tapsen im Wasser bis zum Staksen auf ungewohnten Stöckelschuhen, nimmt sie die Rolle existenziell an, warm und eher dunkel strömt ihr Sopran. Hergerichtet als Allerweltsbarbie fällt diese Rusalka unter eine pervertierte (oberbayerische) Jagdgesellschaft, sieht stumm und traurig zu, wie der Prinz (silberhell und mühelos: Klaus Florian Voigt) sie fallen lässt, kaum dass sie sich zur Menschenwelt erhoben fühlt. Genau dann erlaubt sich Kusej einen weiteren genialen Kunsttrick: Den Wassermann gibt es gleich doppelt, er ist Schinder und Schutzschild zugleich.

Mit solchen Ambivalenzen arbeitet auch der tschechische Dirigent Tomas Hanus: idiomatisch, fließend, buchstäblich beredt einerseits, sucht er mit dem exzellenten Bayerischen Staatsorchester immer den dramatischen Moment. Während Kusejs letztem Bild hebt Hanus das Werk musiksprachlich endgültig aus allen spätromantischen Angeln. Nymphen und Prinz landen in einem weiteren Gefängnis: dem Irrenhaus. Und nur Rusalka, vielleicht, fliegt über das Kuckucksnest. Mit stillem Triumph überlebt sie den Selbstmord des Mannes, der sie hätte lieben sollen. Dvoraks „Rusalka“ taugt gewiss noch für viel. Fürs Märchen aber nimmermehr. Ovationen, vor allem für Kristine Opolais.

Bayerische Staatsoper München, wieder heute und am 28. Oktober sowie am 4. November.

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