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Trinktrainer. Autor Wladimir Sergijenko lebt seit 20 Jahren in Deutschland.

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"Russisch Fluchen": Wodka ist des Russen Yoga

Nicht auf nüchternen Magen: Wladimir Sergijenko stellt sein Buch „Russisch Fluchen“ in Berlin vor und unternimmt dabei eine Erkundungsfahrt zur tiefen Seele eines melancholischen Volkes.

Als zu später Stunde die Hände zu Akkordeon-Klängen hochgeworfen werden, als „Hava Nagila“ ertönt, als der Schriftsteller zu einer Kasatschok-Breakdance-Einlage ansetzt und alles kreischt und klatscht, schwebt sie sicher irgendwo durch den Raum, die russische Seele.

Sie zu erklären, hat sich Wladimir Sergijenko vorgenommen. Der Autor von „Russisch Fluchen“ (Eulenspiegel Verlag, 144 S., 12,99 €) hat in Russland zahlreiche Gedichte und Erzählungen veröffentlicht und ist Organisator internationaler Kulturprojekte zur Förderung der russischen Sprache. An diesem Abend hat der Schelm mit angegrautem Haar und sumpffarbenem Jackett Großes vor.

Gut 80 Menschen haben sich im Atelier des Künstlers Nikolai Makarov im Wedding eingefunden, um gemeinsam mit Sergijenko das richtige Fluchen und das professionelle Trinken zu lernen, um den Russen in sich zu entdecken. Makarov veranstaltet hier hin und wieder Kakerlakenrennen, bei denen die Gläser ebenso an Wände zu fliegen pflegen wie ein Pinnchen zu Beginn von Sergijenkos Lesung. Seine düster-verrätselten Bilder hat Makarov an diesem Tag abgehängt. „Es ist nicht mein Abend, also hängen auch nicht meine Bilder“, erklärt der Maler mit dem Rasputin-Bart. Nein, hier wird nicht die Tiefe der russischen Seele gesucht, sondern ihr expressiver Ausdruck.

Sergijenkos Buch schildert in sieben amüsanten Episoden mit einigen melancholischen Momenten die Gelegenheiten, in denen Russen „Suka“ oder „Mudak“ sagen. Mudak kann trübsinniger Versager heißen oder Perversling. Wenn Sergijenko, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, mit starkem russischem Akzent erklärt, warum eine Frau ihren Mann als Mudak beschimpft, gibt es viel Gelächter. Ihre Tirade schließt die Frau mit der Bemerkung, dass ihr Mann – gäbe es eine Weltmeisterschaft für Mudaks – sicher den zweiten Platz belegen würde. Weil ein Mudak eben nicht für die ersten Plätze dieses Lebens gemacht ist.

Die direkte Übersetzung des Vulgären ist hingegen eher schwierig. Ein im Russischen durchaus mögliches Konversationsfragment, das auch so im Buch vorkommt, lautet etwa: „Die Schwanzerei von diesem Schwanz war so schwanzmäßig, dass bis heute im Schwanzland Gerüchte umschwänzen.“ Darauf ein Prosit.

„Wodkatrinken ist des Russen Yoga“, ruft Sergijenko ins Publikum. Das Ausatmen vor dem Kippen sei wichtig, zur Ruhe zu kommen eine Notwendigkeit. Immer mehr Zuhörer wagen sich dann an das anthropologische Experiment, eine so nahe wie unerklärliche Kultur zu ergründen. Bei Schmalz, Fett und sauren Gewürzgurken. Denn eine Lektion in Russisch Trinken ist am Ende eine Lektion in Russisch Essen.

Eine Kamera fällt um, im Saal wird es lauter, Bestellungen werden aufgegeben. „Nicht alleine, nicht auf nüchternen Magen, nicht verzagen“, ruft Sergijenko. Und schockiert die Zuhörer mit einer bitteren Erkenntnis: Richtig trinken bedeutet nicht, viel zu kippen und nüchtern zu bleiben. Besoffen werden sie alle. Es gehe darum, am nächsten Tag mit klarem Kopf zu erwachen und arbeiten zu gehen. Der wie ein Volkssport betriebene russische Alkoholismus dient also einem urdeutschen Wert, dem der Arbeit? Darauf ein „Na zdorovje“.

Bei allem Witz will Sergijenko nicht nur den Klischee-Kasper geben. Kurz wird er ernst, spricht über unfaire Visaregeln, über Multikulturalismus. Holt die Übersetzerin Nelly Möller auf die Bühne um sie zu fragen, ob er denn eigentlich richtige Literatur verfasse oder Unterhaltung betreibe. „Unterhaltung“, sagt sie etwas peinlich berührt. Dann trinken die beiden. Noch mal „Na zdorovje“.

Im Atelier sind auch viele Russen. Fast scheint es, als seien sie des ganzen Trinkens müde. Als schütteten sie nur immer weiter Wodka auf das Mahnmal des unbekannten russischen Trinkers, damit es ja nicht porös wird und zerfällt. Als fühlten sie eine Pflicht, die Erzählung vom trinkfesten, hartschaligen und weichkernigen Mannbären zu schützen. Denn eine andere Erzählung vom Russen gibt es im Westen noch nicht.

Am Ende des Abends bleibt die Erkenntnis, dass sogar linguistische Feinheiten wie Flüche ohne die Kenntnisse einer Sprache verständlich werden können, wenn sie nur in kernige Geschichten verpackt sind. Anthropologische Anmaßungen, wie die Suche nach der russischen Seele, sind dagegen zum Scheitern verurteilt. Oder, wie Wladimir Sergijenko es sagt: „Wenn man sich aufmacht, den Russen an sich zu verstehen, führt die Straße unweigerlich am Trinken und Fluchen vorbei. Und am Ende ist man vielleicht wieder am Ausgangspunkt und hat gar nichts begriffen.“Nik Afanasjew

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