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Kultur: Russische Pastelltöne: Wenn der Atem stockt

Wenn sich der zierliche Klaviervirtuose mit dem leicht weltabgewandten, philosophisch nachdenklichen Gesichtsausdruck an den Flügel setzt und Schuberts "Wanderer-Fantasie" spielt, dann klingt etwas an von Anatol Ugorskis eigener, tragischer Wanderschaft. Nach der bitteren Auswanderung aus Rußland begann für ihn 1990 in Berlin eine zweite, fast wirklichkeitsfremde, geradezu traumhafte Karriere.

Wenn sich der zierliche Klaviervirtuose mit dem leicht weltabgewandten, philosophisch nachdenklichen Gesichtsausdruck an den Flügel setzt und Schuberts "Wanderer-Fantasie" spielt, dann klingt etwas an von Anatol Ugorskis eigener, tragischer Wanderschaft. Nach der bitteren Auswanderung aus Rußland begann für ihn 1990 in Berlin eine zweite, fast wirklichkeitsfremde, geradezu traumhafte Karriere. Auch in Schuberts Musik verbirgt sich das ambivalente Spiel von Traum und Wirklichkeit. Ugorski erfaßte es nachtwandlerisch sicher. Da kam man mit einer ebenso dramatisch weit aufgerissenen wie schmerzhaft tiefen Klangwelt in Berührung. Eine alle üblichen Grenzen überschreitende Virtuosität ist im Spiel, aber auch ein überredend schöner Anschlag, zu lyrischer Sensibilisierung fähig wie zu harscher Schärfung der Konturen. Die ganze pianistische Leidenschaft und stilvolle Subjektivität, wie sie allen großen russischen Pianisten eignet, kam auch bei drei Präludien und Fugen aus Bachs "Wohltemperiertem Klavier" (II) zum Tragen. Mit solch pastellfarbener Zartheit und überirdischer Ruhe spielte er, dass man die berühmte Stecknadel hätte hören können, wenn sie zu Boden gefallen wäre.

In allem schwingt seine russische Seele mit. Ganz besonders bei den extrem schwierigen Sonaten von Franz Liszt (h-Moll) und Alexander Skrjabin (Nr. 2 und Nr. 9 "Schwarze Messe"), bei denen Ugorski mit ebensoviel Artistik, Suggestivkraft wie zauberhafter Poesie die Zuhörer im Kammermusiksaal der Philharmonie fesselte. Der außergewöhnliche Künstler wählt außergewöhnliche Wege. Er setzt bei Skrjabin wie Liszt, die er betont perspektivisch anlegt, in den schnellen Sätzen oft auf dynamische Extreme. In den langsamen Sätzen fallen bisweilen allzu lyrisch verklärte, leicht theatralische Züge auf. Bei Bach wie Liszt wirkte einiges auch ziemlich introvertiert. Nur auf eitle, kalte Perfektionssucht stößt man nirgendwo. Den Atem kann es einem schon mal bei den fast tonlos stillen Verschattungen oder trotzig wilden Virtuosenstürmen stocken lassen.

Eckart Schwinger

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