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Der russische Schriftsteller und Politiker Eduard Limonov starb am Dienstag im Alter von 77 Jahren.

© AFP/ Natalia Kolesnikova

Russischer Schriftsteller Limonov gestorben: Die bösen Kräfte der Dialektik

Eduard Limonov war erst Dissident, dann in der Rolle des verratenen Revolutionärs: Zum Tod des russischen Schriftstellers und Politikers.

In Moskau ist am Dienstagabend einer der merkwürdigsten Dissidenten gestorben, den die Sowjetunion hervorgebracht hat: der Schriftsteller und Politiker Eduard Limonov. In seiner Heimat ist er eine Legende, auch weil sich Limonovs tatsächliche Bedeutung für die russische Literatur des 20. Jahrhunderts kaum greifen lässt.

Man kann ihn für vieles halten, was ihn so anziehend oder selbst in der Ablehnung doch faszinierend macht. Limonov schien genau hineinzupassen in das Putin’sche Russland – und auch wieder ganz und gar nicht: zur gleichen Zeit originell und abstoßend, ein glühender großrussischer Nationalist und radikaler Linker, prinzipienfest bis zum Starrsinn und schwankend in seinen Bekenntnissen. Limonov war ein Aufklärer mit den Scheuklappen eines verbohrten Ideologen.

Der 1943 in der ukrainischen Region Donezk geborene Limonov ist einer der wenigen sowjetischen Dissidenten, die aus der Arbeiterklasse stammen. In den siebziger Jahren taucht der Autor in der Moskauer Bohème als linksradikaler Lyriker auf. Der Geheimdienst KGB wird offenbar rasch auf ihn aufmerksam. Limonov behauptet: Vor die Alternative gestellt, für die Tschekisten zu spitzeln oder in die USA ins Exil zu gehen, habe er den zweiten Weg gewählt. Der antisowjetischen Diaspora schließt sich Limonov im Exil dennoch nicht an, er unterstützt die kommunistische Partei.

Sein Debüt als Romancier bringt Limonov gleich den Durchbruch. Jedoch nicht in seinem Gastland USA, sondern in Frankreich, wohin er dann auch übersiedelt. Auf Deutsch erscheint der Roman unter dem Titel „Fuck Off, America“ erstmals 1982 im Scherz Verlag. Die literarische Qualität seines Erstlings wird Limonov nie wieder erreichen. Der Roman ist aggressiv, pornografisch und obszön, eine radikale Anklage gegen sein Gastland und dessen Schein von Freiheit.

Vor allem ist es ein Buch über Limonov selbst. Als er 1991 in der Sowjetunion erscheinen darf, trifft der Titel genau: „Eto ja, Editschka“, „Das bin ich, Edi“. Limonovs Werk, das ist von Anfang an Selbstbespiegelung, Arbeit an der eigenen Biografie, an der Selbststilisierung und der Selbstmythologisierung.

Lange vor Erfindung der Fake News ist Limonovs Werk vom Postfaktischen geprägt

Ob er beschreibt, wie er wirklich ist, wie er gern sein möchte oder ob er einfach nur erzählt – es ist nicht unterscheidbar. Lange vor der Erfindung des post-faktischen, der alternativen Wahrheiten oder der Fake News ist nicht nur Limonovs Werk von diesen Kategorien geprägt, der Schriftsteller lebte sein reales Leben danach.

Nach dem Untergang der Sowjetunion kehrt er nach Russland zurück, gründet eine eigene, die Nationalbolschewistische Partei. Limonov trauert dem Land nach, das ihn einst vertrieben hatte. Er opponiert gegen Jelzin und zieht in den Krieg, kämpft in pro-serbischen Milizen, für die Separatisten im georgischen Abchasien und in Transnistrien, der Moldau. Die Kriege finden ihn immer aufseiten der pro-russischen Kräfte. Bolschewistischer Internationalismus – das ist für Limonov kein Bekenntnis zu einem von Lenin ausgehenden Gedankengebäude. Für ihn ist Internationalismus der natürliche Ausdruck russisch-imperialer Ansprüche – lange bevor der russische Präsident Wladimir Putin auf diesen Zug aufspringt.

Eine Zeit lang sind Limonovs Nationalbolschewisten in der Opposition gegen Putin die hellste Erscheinung. Dann jedoch bekommen sie die merkwürdigen Kräfte der Dialektik zu spüren, manche nennen es auch Ironie der Geschichte. Ausgerechnet der Moment, der den Triumph ihrer nationalistischen Ideen bedeutet, leitet den Absturz der Nationalbolschewisten in die Bedeutungslosigkeit ein. Limonovs Partei begrüßt die Annexion der Krim 2014 als Wiedergeburt des imperialen russischen Projekts. 2000 Freiwillige ziehen als „Interbrigadisten“ in den Osten der Ukraine, um gegen Kiew zu kämpfen.

Gerne zeigte sich Limonov in langen, schwarzen Ledermänteln

Der Kreml jedoch kann diese Unterstützung nicht gebrauchen, Putin hat sich selbst an die Spitze des russischen Nationalismus gesetzt. Die Sicherheitskräfte in Moskau gehen rigoros gegen Limonovs Anhänger vor, sie verhafteten Dutzende. Limonov selbst entscheidet sich nun in seinem letzten Lebensabschnitt, die Rolle Trotzkis, des verratenen russischen Revolutionärs, zu spielen. Die äußere Ähnlichkeit ist verblüffend, was nicht nur an dem Spitzbart liegt. Schon seit Jahrzehnten zeigt er sich gern in langen schwarzen Ledermänteln. Er umgibt sich mit blutjungen Adepten, von denen lässt er sich als „Woshd“, „Führer“, anreden. Der Titel allerdings gehört zu Stalin, nicht zu Trotzki.

Limonov, der nun 77-Jährig an seiner Krebserkrankung gestorben ist, soll in aller Stille beerdigt werden. Auch das gehört zu den Widersprüchen eines Mannes, der sein Leben stets als öffentlichen Auftritt – geschrieben oder physisch – inszeniert hat.

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