zum Hauptinhalt
Als sei es heute. Anja Plaschg und Laurence Rupp in „Die Geträumten“ von 2016.

© Grandfilm

Ruth Beckermann Werkschau: Geschichten aus dem Wiener Schtetl

Über das Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit: Das Kino Arsenal widmet der österreichischen Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann eine Werkschau.

Ruth Beckermanns Mutter war ein „echtes Wiener Mädel“. Im Alter von 14 Jahren wanderte sie nach Palästina aus und war nach dem Krieg fest entschlossen, nie wieder in Wien zu leben. Es kam anders, und als Frau Beckermann ihrer Tochter Ruth Jahrzehnte später in dem Dokumentarfilm „Die papierene Brücke“ (1987) von ihrem ungeplanten Wohnortwechsel nach Wien erzählt, hört man ihrer Stimme immer noch ein gewisses Bedauern an. Es ist genau diese Ambivalenz gegenüber Österreich und dessen Geschichtsverhältnis, die Ruth Beckermann als Kind von Holocaust-Überlebenden seit den achtziger Jahren immer wieder zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit macht.

Das Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit schreibt sich in ihrem einzigen auch mit Mitteln der Fiktion arbeitenden Film „Die Geträumten“ (2016) fort, in dem sie den Briefwechsel zwischen den Dichtern Paul Celan und Ingeborg Bachmann in unserer Gegenwart inszeniert.

In ihrem jüngsten Film „Waldheims Walzer“, der auf der Berlinale den mit 50 000 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis erhielt, legt Beckermann jene heftige Politdebatte frei, die 1986 anlässlich der Kandidatur des ehemaligen UN–Generalsekretärs Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten geführt wurde – und symptomatisch für das österreichische Geschichtsbewusstsein stand. Waldheims hartnäckige Verleugnung seiner NS-Vergangenheit spiegelte kongenial das Verdrängungsverhältnis Österreichs zur eigenen Vergangenheit wider. Beckermann kompiliert Bilder aus TV-Archiven, aber auch aus selbst gedrehten Videoaufnahmen von Waldheim-Protesten und macht sie zum zwingenden Tatbestand: Politiker wenden sich gegen die „ehrlosen Gesellen vom jüdischen Weltkongress“, antisemitische Passanten beschimpfen Demonstranten: „Waldheims Walzer“ öffnet einen Resonanzraum der gegenwärtigen rechts-rechten Innenpolitik.

Aufbruch in den Osten

Auch in anderen Werken Beckermanns hinterlässt die Waldheim-Debatte ihre Spuren. In „Die papierene Brücke“ tritt die Regisseurin eine Reise in den Norden Rumäniens an. Sie will „Bilder zu den Geschichten der Kindheit suchen“, vor allem in Czernowitz, der alten Hauptstadt der Bukowina, von dessen multikultureller Offenheit ihr der Vater immer vorgeschwärmt hat. Czernowitz wird nicht erreicht, aber das sei vielleicht sogar gut, überlegt Beckermann in ihrem signifikant präsenten Erzählton aus dem Off: „Wenn man von Orten keine Bilder hat, bleiben die Erinnerungen.“ Beckermanns Aufbruch in den Osten steht in gegenläufiger Bewegung zu der des Vater, der nach dem Krieg von Rumänien nach Wien kam. Dort muss er sich schließlich von einem Waldheim-Anhänger am Stephansplatz beschimpfen lassen – eine Szene, die in „Waldheims Walzer“ ihre Fortsetzung findet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Es ist die „Angst vor dem Vergessen“, die Ruth Beckermann in ihren Suchbewegungen beflügelt und ihr Werk zu wichtigen Arbeiten einer Mitte der achtziger Jahre entstehenden Gedenklandschaft macht. Mit dem Porträt des jüdischen Kommunisten Franz Weintraub (später West) in „Wien retour“ (1983) liefert Beckermann der „Ära der Zeitzeugen“ ein Glanzstück. In glasklarem Wienerisch schildert West seine Erlebnisse während des Austrofaschismus – eine Erzählung, die Beckermann mit historischen Filmdokumenten untermalt. „Nach Jerusalem“ (1991), eine Bestandsaufnahme davon, was vom zionistischen Traum übrig blieb, beendet nach „Die papierene Brücke“ ihre Trilogie über jüdische Identität.

Die Welt vor der eigenen Haustür

Oft bilden Aufbrüche den Ausgangspunkt für Beckermanns essayistische Recherchefilme. Beckermann markiert ihre Reisebewegungen durch ruhige Kamerafahrten, die die vorbeiziehenden Landschaften aufnehmen, ehe die Kamera wieder auf den Gesichtern ihrer Protagonisten ruht. Es kann sich dabei um eine Fahrt nach Ägypten wie in dem zartfühlenden Sisi-Film „Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“ (1999) handeln, der den weiblichen Blick der Kaiserin Elisabeth auf den „Orient“ zum Thema hat. Oder um einen Roadtrip wie in „American Passages“, der die Wahl Obamas zum Anlass nimmt, dessen Aufbruchsgedanken mit dem Alltag im US-Hinterland abzugleichen.

Manchmal findet sich die Welt aber auch vor der eigenen Haustür. In „Homemad(e)“ von 2001 betreibt Beckermann ein mapping ihrer Wohnstraße. Inmitten von Lokalen und Kaffeehäusern treffen sich Zugereiste – vom persischen Restaurantbesitzer bis hin zu Herrn Doft, dem Betreiber eines Textilgeschäfts. Auch Herr Doft ist ein Holocaust-Überlebender, der seine Familie verloren hat. Das werde er nie verzeihen, sagt er, „nicht einmal Gott“.

Bis zum 29. April im Arsenal

Alexandra Seibel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false