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Beschreibt „eine Kulturrevolution von rechts“. Der Publizist Andreas Speit.

© privat

Sachbuch von Rechtsradikalismus-Experte Andreas Speit: Die Mitte der Gesellschaft driftet nach rechts

In „Die Entkultivierung des Bürgertums“ widmet sich Andreas Speit dem gegenwärtigen sprachlichen Wandel. Seine Empfehlung: sprechen und widersprechen.

Von Caroline Fetscher

Am Befund kann es kaum Zweifel geben. Die Mitte der Gesellschaft, schreibt Andreas Speit, „driftet seit geraumer Zeit nach rechts, erst allmählich, nun beschleunigt“. Diesem Phänomen widmet der Publizist und Experte für Rechtsradikalismus sein neues Buch „Die Entkultivierung des Bürgertums“.

Die Entkultivierung des Bürgerlichen nennt der Autor auch „eine Kulturrevolution von rechts“, die sich am sprachlichen Wandel zeigt, am neuen „Setting von Wortwahl, Verallgemeinerungen und Vorhaltungen“. Wenn etwa beiläufig von jüdischen Deutschen gesprochen und Israel als „ihr Staat“ bezeichnet wird, horcht der Autor auf. Oder wenn im „ökonomischen Kältestrom“ der Gegenwart rassistische AfD-Begriffe wie „Messermann“ ins Alltagsgeplauder geraten.

Speit warnt vor bürgerlichen Tabubrechern wie Martin Walser, Thilo Sarrazin oder Peter Sloterdijk, die als Wegbereiter in die Mitte wirken, wo er den „Konflikt zwischen Citoyen und Bourgeois“ ausmacht. Dem Bourgeois liegt primär an Macht und Wohlstand, er denkt tendenziell national-egoistisch. Der Citoyens fordern Aufklärung, Gerechtigkeit, sie denken eher europäisch und international.

Dieser Konflikt geht auch mitten durch die bürgerlichen Individuen, deren rechte Anteile sich klammheimlich freuen am Rüpeln und Pöbeln der anderen. Passend wählt Speit einen Satz von Hannah Arendt als Motto: „Was uns verstörte, war nicht das Verhalten unserer Feinde, sondern das Verhalten unserer Freunde.“

Alarmzeichen klarer erkennen

Erhebungen sehen derzeit 30 und mehr Prozent der Bundesbürger „populistisch eingestellt“, während 54,1 Prozent Asylsuchende „eher“ ablehnen. Der Autor vergleicht das mit der Stimmung in der späten Weimarer Republik, als radikale Ressentiments schleichend normaler wurden, bis das Regime da war, das sie zur Norm erhob und neue, „völkische“ Autoritäten etablierte.

Verbale Verwahrlosung war damals der Beginn der Entkultivierung, mit der die Demokratie sabotiert wurde, die von Sprache lebt. Alarmzeichen klarer zu erkennen, dazu trägt der engagierte, gut zu lesende Band bei. Er liefert außerdem einen Überblick der wichtigsten aktuellen Studien zum Thema.

[Andreas Speit: „Die Entkultivierung des Bürgertums. Ab wann ist man mehr als rechts?“ Orell-Füssli, Zürich, 2019. 101 S., 12 €.]

Entkultivierung setzt ein mit dem, was heute im Alltag umherschwirrt: „Bin ich denn schon rechts, nur weil ich laut sage, dass Ausländer krimineller sind als Deutsche?“ „Sollen wir jetzt noch das Clubschiff Aida ins Mittelmeer schicken, um Afrikaner an Bord zu hieven?“

Inflationär geworden ist parallel die Klage derer, die sich „in die rechte Ecke gestellt“ sehen. Sie ist bezeichnend, denn die so klagen haben den Eindruck, dass ihre Haltung keineswegs in einer Ecke siedelt, sondern munter auf einem bevölkerten Marktplatz.

Speits Empfehlung: sprechen und widersprechen. Kritisch und klar auf rechte Aussagen reagieren. Auch beim Grillfest, in der Kantine, auf dem Fußballplatz, im Familienkreis. Immer und überall verbalen Mikrowiderstand leisten. Und sich fragen: Rede und denke ich schon selber so? Vielleicht? Manchmal? Da, dort? Ich auch?

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