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Erotisches Kapital, antikapitalistische Visionen. Sahra Wagenknecht, 42, und Oskar Lafontaine, 68, an Heiligabend. Foto: H. Tittel/dapd

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Sachbuch: Wo das Innerste zu Markt getragen wird

Entzauberung oder Verzauberung? Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim und Eva Illouz untersuchen in ihren Büchern "Fernliebe" und "Warum Liebe wehtut" die Zukunft der Liebe.

Liebe, Ehe, Familie – noch immer benützen wir die gleichen Begriffe für kulturelle Praktiken, die sich laufend ändern. Eine ganze Ratgeberindustrie lebt davon und richtet sich meist an Frauen. Mal wird ihnen geraten, nicht „zu sehr“ zu lieben. Mal empfiehlt man ihnen, sie sollten ihre erotischen Energien als „erotisches Kapital“ ins Arbeitsleben investieren, wie die britische Soziologin Catherine Hakim. Mal predigt man die Vernunftehe, wie der Journalist Sven Hillenkamp, der „Das Ende der Liebe“ beschwor, oder geißelt die Patchworkfamilie wie die Journalistin Melanie Mühl.

Doch die Probleme sind nicht individueller Natur. Deshalb lassen sie sich auch nicht therapeutisch lösen. Wer sich ernsthaft damit auseinandersetzen will, kann das nun mit zwei soziologischen Studien tun. Eher affirmativ ist die des Soziologen Ulrich Beck und der Psychologin Elisabeth Beck-Gernsheim, die unter dem Titel „Fernliebe“ das „globale Chaos der Liebe“ in Augenschein nimmt. Mit kritischer Energie „Warum Liebe weh tut“ aus der Feder der israelischen Soziologin Eva Illouz. Sie beschäftigt sich mit der Anbahnung von Liebesverhältnissen und den Gründen ihres Scheiterns. Nach gründlicher Analyse des Ist-Zustands gelingt ihr das Schelmenstück, ein Bild der „verzauberten Liebe“ zu entwerfen, das ihrer eigenen Terminologie entkommt.

Freiheit ist immer auch die Freiheit der Wahl. Sie ist erheblich schwieriger geworden, nicht zuletzt weil die Auswahl sehr viel größer ist. Im 19. Jahrhundert, so führt Eva Illouz am Beispiel der Romane von Jane Austen aus, war der Mann der Werbende und die Frau die Umworbene. Die Suche nach einem geeigneten Ehepartner fand im engen Kreis von Bekannten und Nachbarn statt. Die Eheschließung war eingebettet in das Verhandlungsgeschick zweier Familien.

Das hat sich mit dem Voranschreiten der Moderne geändert, bis hin zum gegenwärtigen Zustand, in dem, vermittelt durch das Internet, potenziell jeder mit jedem in Kontakt treten kann. Nun verhandeln Einzelne, und sie konkurrieren auf einem entfesselten Markt. Die politische Gleichheit zwischen Mann und Frau ist zwar verwirklicht, doch die Ungleichheit in Liebesdingen nimmt aus strukturellen Gründen zu, vor allem für Frauen, die beides wollen: einen anspruchsvollen Beruf und eine Familie nach klassischem Modell.

Im traditionellen Patriarchat standen Männer und Frauen unter dem gleichen Erwartungsdruck, eine Familie zu gründen. Seit den 1970er Jahren aber wurden Ehe und stabile Beziehungen optional. Für Männer, deren Status vor allem von beruflichem Erfolg abhängt, hat der Fortpflanzungsdruck abgenommen. Doch das Selbstwertgefühl von Frauen ist noch immer mit Kindern verbunden. Ihnen fällt nun nicht mehr nur die Rolle zu, Kinder zu kriegen, sondern auch, Kinder kriegen zu wollen. Von den Umworbenen werden sie zu den Agierenden auf dem Heiratsmarkt.

Die vielfach beschworene männliche „Bindungsangst“ dekliniert Illouz auf soziologische Fakten herunter. Männer haben mehr Auswahl auf dem Heiratsmarkt, weil sie sich in Hinsicht auf das Alter und die Bildung eher „nach unten“ orientieren und ihre Zeugungsfähigkeit anhält. Also können sie die „Bedingungen des sexuellen Tauschs“ diktieren, während Frauen mit zunehmendem Alter um ihre Fruchtbarkeit und Attraktivität bangen.

Da Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim bereits bestehende Paare und Familien untersuchen, sind Ungleichheiten auf dem Heiratsmarkt für sie kein Problem. Offensiv wehren sie sich gegen alle „universalistischen“ Theorien, worunter sie auch die Arbeiten von Eva Illouz subsumieren, die in ihren früheren Büchern den Zusammenhang zwischen Gefühlen und Konsumkultur untersucht hat.

In ihrer vor zwanzig Jahren erschienen Studie „Das ganz normale Chaos der Liebe“ haben die Becks dargelegt, wie die Widersprüche des Turbokapitalismus auf dem Rücken der Individuen ausgetragen werden. Sie fällt nun in ihren eigenen Augen unter das Verdikt des „Universalismus“. Denn all diese Theorien übersehen, so argumentieren sie, dass die „moderne Liebe und ihre Freiheitsparadoxien“ nur eine der „möglichen Entwicklungsrichtungen“ umfasst, nämlich die des Westens.

„Fernliebe“ versammelt unterschiedliche Formen von Fernbeziehungen: Paare, die an verschiedenen Orten der Welt leben und mit Hilfe von E-Mails, Skype und SMS ihre Beziehung aufrechterhalten, binationale Paare, die Verbindungen zu ihren Herkunftsländern unterhalten, Heirats- und Arbeitsmigrantinnen. Dass das Autorenpaar die Heirat zwischen Erster und Dritter Welt nicht einfach verdammt, sondern betont, dass dies in manchen Ländern der einzige Weg ist, dem Elend zu entkommen, leuchtet ein. Die aus purer Not und dem Wohlstandsgefälle zwischen den Weltregionen entstehende großfamiliäre Verbindlichkeit allerdings als neue Art familiären Zusammenhalts zu propagieren, ist ein starkes Stück.

Mit dem Konzept der „Weltfamilie“ wollen sie alle Familien beschreiben, die „im Binnenraum des eigenen Lebens mit der Welt konfrontiert“ werden. Doch auf welche Familie trifft das heute nicht zu? Da muss man nicht einmal die erwähnten Beispiele der polnischen Putzfrau, des lateinamerikanischen Au-pair-Mädchens oder der Pflegekräfte aus Osteuropa bemühen, die überlastete Mittelstandsfamilien kostengünstig entlasten. Welche Tochter lebt heute nicht für eine Zeit im Ausland, welcher Sohn hat keine Freunde, deren Eltern aus der Ferne kommen?

Weil das Autorenpaar sein Konzept der „Weltfamilie“ gegen die „nationale Normalfamilie“ profilieren möchte, wird das Buch spätestens dann ärgerlich, wenn es das boomende Adoptions- und Reproduktionsgewerbe als internationale Familienverflechtung beschreibt. Wie transnationale Konzerne die unterschiedliche Gesetzgebung verschiedener Länder ausnützen, so hat sich auch im Privaten eine neue Art von Familientourismus etabliert. Wer in Deutschland die Adoptionskriterien nicht erfüllt, adoptiert beispielsweise ein indisches Kind oder gibt eines in Auftrag. Was früher einfach Mutterschaft hieß, kann nun in drei Positionen zerfallen: in die soziale Mutter, die Eizellenspenderin und eine weitere Frau, in deren Körper die befruchtete Eizelle heranwächst.

Der Machbarkeitswahn hat auch das Verhältnis zu unseren Gefühlen im Griff. Marshall McLuhans gute alte Weisheit, dass das Medium die Botschaft ist, zeigt ihre erbarmungslose Plausibilität nirgendwo so deutlich wie bei technologiegestützter Intimität durch Skype, E-Mails und SMS. Sie sind eine brauchbare Krücke, um bestehende Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Doch sie erzeugen eine neue Form der Einbildungskraft, die dazu neigt, zum Selbstzweck zu werden.

Die Anbahnung von Liebesverhältnissen über Online-Partnerbörsen bleibt nicht zufällig häufig im Anbahnungsstadium stecken. Die Versprachlichung der gewünschten Merkmale führt zwar zu einer ständigen Verfeinerung des Rasters und des eigenen Geschmacks, unterhöhlt aber zugleich das Begehren. Die Vielzahl möglicher Partner und die allgegenwärtige Möglichkeit, in der nächsten Sekunde den Idealpartner finden zu können, untergraben nicht nur Intuition und Selbstwertgefühl, sondern fixieren das geschwächte Individuum am Rechner. Wer ein paarmal die Enttäuschung erlebt hat, dass es trotz übereinstimmender Suchkriterien beim ersten Treffen einfach nicht „funkt“, bleibt lieber gleich dort sitzen.

Die „Technologien der Wahl“, so Eva Illouz, haben die Struktur des Begehrens nach marktkonformen Parametern modelliert. Einen Ausweg aus dem Dilemma weiß sie nicht. Doch findet sie mit dem Begriff der „verzauberten Liebe“ eine wegweisende Vokabel, um das romantische Liebesideal dem Konsum zu entziehen. Sie zielt auf die Einzigartigkeit des Liebesobjekts, auf Überwältigung, Preisgabe des Eigennutzes und die Abwesenheit von Autonomie. Liebe kann niemals durch Selbstliebe ersetzt werden, wie uns eine konsumselige Wohlfühlkultur glauben machen will. Wer liebt, ist abhängig und verletzlich. Deshalb tut Liebe weh, immer schon und immer wieder. Wer den Schmerz um jeden Preis vermeiden will, verliert die Fähigkeit zur Liebe, die nicht nur ein „kulturelles Ideal“ ist, sondern „die soziale Grundlage des Selbst“.

Die Männer sind die Nutznießer der sexuellen Revolution, weil sie im Gegensatz zu Frauen „sexuelles Kapital“ akkumulieren können. Denn nur das Ansehen des Mannes steigt durch die Anzahl seiner Eroberungen. Damit das weibliche Begehren, dessen Befreiung einmal das Ziel der Revolution gewesen ist, nicht allmählich erlahmt, ist es an der Zeit, dass beide Geschlechter gemeinsam „Modelle emotionaler Männlichkeit heraufbeschwören, die nicht auf sexuellem Kapital beruhen“.

Der Versuch, die Ethik aus der Sexualität herauszuhalten, muss als gescheitert gelten. „Von der Frage unserer Pflichten gegenüber anderen und ihren Gefühlen“ kann sie nicht getrennt werden. Man wünscht sich, möglichst viele Leser würden dieses Buch geduldig studieren. Dann wäre ein Bewusstseinswandel denkbar, der Männer und Frauen befähigt, „neue Formen leidenschaftlicher Liebe“ zu erfinden.

Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim: Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 280 Seiten, 19,90 €.

Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 465 Seiten, 24,90 €.

Meike Feßmann

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