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Kultur: Saddam wohnt noch hier

Zwischen Krieg und Nachkrieg: Wie sich Künstler im Irak mit den neuen Verhältnissen arrangieren

Im neuen Irak kommt die Freiheit in vielen Formen übers Land. Für den Maler Wissam Rady hat sie die Gestalt einer Ratte. „Für dieses Bild hätte man mich vor einem Jahr mit Gewissheit zum Tode verurteilt“, sagt er und verpasst der Ratte auf der Schulter des alten Mannes einen letzten Pinselstrich. Nicht irgendeine Schulter ist es, auf der die Ratte hockt, sondern jene, auf der 35 Jahre lang die Macht im Irak ruhte: die Schulter Saddams. Rady malt ihn nicht mehr in Herrscherpose, sondern als zotteligen Alten – beinahe so, wie die Amerikaner den Despoten im vergangenen Dezember aus einem Erdloch in der Nähe von Tikrit gezogen haben.

Vom Palastkönig zum Erdlochbewohner – der Abstieg des Diktators hat auch in der irakischen Kunstwelt Spuren hinterlassen. In vielen Galerien Bagdads findet man heute Bilder, die vor dem Krieg undenkbar gewesen wären. Das Ölgemälde von der Autobombenexplosion vor der Moschee in Nadschaf etwa, bei der im vergangenen August Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim ums Leben kam. Nabil Houssain hat es gemalt, auch er ist, wie Wissam Rady, Schiit und wollte mit dem Bild „ein Statement gegen den Terror“ abgeben. Die anderen Bilder in seiner Galerie zeigen, wohin er sich vor dem Krieg geflüchtet hatte: Opulenter Orient füllt die Wände, Szenen aus dem Bazar oder einem Harem, nichts, in dem irgendein Bezug zu Saddam hätte vermutet werden könnte.

„Das Porträt“, sagt Rady in seiner Galerie ein Stockwerk höher, „ist meine persönliche Rache an Saddam.“ Rache an dem Mann, dessen Häscher ihn anderthalb Jahre ins Gefängnis sperrten, weil er einen Witz über den Präsidenten erzählt hatte. Rache, mit der der 35-Jährige außerdem gutes Geld verdient, denn die orignellen Porträts finden unter den Ausländern in Bagdad reißenden Absatz. Mancher Iraker hingegen würde Radys Bilder am liebsten in derLuft zerfetzen – und ihn gleich dazu. „Du beleidigst nicht nur unseren Führer, der immer noch Präsident aller Iraker ist, sondern auch uns, sein Volk!“, stand in dem handgeschriebenen Drohbrief, der vor ein paar Wochen unter der Ateliertür durchgeschoben wurde. Der Maler gibt sich gelassen: „Von so einem jabaan, so einem Feigling, lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich will keine Angst mehr haben.“ In der Linken hält Rady ein Foto von Saddam am Tag seiner Festnahme, doch der Künstler sieht so gut wie nie hin. „Für dieses Gesicht brauche ich keine Vorlage. Wir hatten ihn Tag und Nacht vor Augen, im Fernsehen, auf der Straße, in den Schulbüchern, selbst im Schlaf. Ihn kann ich jederzeit aus dem Gedächtnis malen.“

Natürlich malt Rady Saddam in diesen Tagen nicht zum ersten Mal. Als junger Soldat bei der Armee fertigte er häufig jene übermanngroßen Saddam-Porträts, deren Anblick im Irak bis zum Einmarsch der Amerikaner so geläufig war wie der von Dattelpalmen. „Ich habe diese Bilder nur gemalt, um ein paar Tage freizubekommen“, sagt Rady heute, wie die meisten Künstler im Irak unwillig, seinen Anteil am Personenkult einzuräumen.

Nie hätte sich Rady träumen lassen, Saddam eines Tages als Gefangenen zu malen. Auch dass er selbst in einem von Saddams Palästen ein- und ausgehen würde, weil er im Hauptquartier der Amerikaner eine Galerie für das Kunstgeschäft mit den Soldaten betreibt, wäre jenseits aller Vorstellungen gewesen. Der Geschmack der Militärs ist eher schlicht: Am liebsten sehen sie sich und ihre Lieben in Öl. Für 50 Dollar malt Rady die Soldaten, ihre Ehefrauen und Kinder. Als Vorlagen geben sie Hochzeitsfotos oder Schnappschüsse vom letzten Kindergeburtstag. So zieht mit jedem Bild amerikanische Vorstadtidylle in Radys staubiges Atelier im Bagdader Geschäftsviertel Karrada ein, wo der Strom im Zwei-Stunden-Rhythmus kommt und geht.

Unter der sporadischen Stromversorgung leidet auch die Hewar-Galerie in Wasiriya im Norden Bagdads. Das ist aber auch das Einzige, was die Künstler hier mit denen im stärker kommerziellen Karrada gemeinsam haben. Die Hewar-Galerie gleicht einer grünen Oase im lauten, smog-verseuchten Bagdad. Wegen der türkischen Botschaft nebenan, die schon einmal Ziel einer Autobombe war, sind die Straßen ringsum für den Verkehr gesperrt, seither hört man auf den Holzbänken im verwunschenen Garten vor der Galerie nur noch Vogelgezwitscher und die leisen Gespräche der Künstler.

Hier trifft sich die Kunstelite des Landes. Künstler sitzen unter Palmen, trinken Tee, rauchen und reden über die Kunst, den Krieg, das Leben. Einer ruft, frei nach Picasso: „Revolution in der Kunst bedeutet nicht, ein Gewehr zu malen.“ Ein Maler hat Arbeiten mitgebracht: zehn raffinierte Collagen aus den seit Kriegsende in Bagdad allgegenwärtigen Graffitis. Eine der nachgebildeten Mauern zeigt ein durchgestrichenes „Welcome to the USA“, auf einer anderen klebt ein Flugblatt mit dem amerikanischen Zeitplan für die Rückgabe der Souveränität, dahinter schimmert ein Foto von Saddam.

Über dessen Regime hört man hier im Garten wenig böse Worte. „Saddam hat sich kaum in die Kunst eingemischt“, sagt ein Bildhauer, „schon weil er die meisten unserer Arbeiten nicht verstanden hat.“ Den renommierten irakischen Künstlern, meint ein anderer, sei es gut ergangen: „Wir durften reisen und mussten nicht einmal die sonst üblichen 400000 Dinar Ausreisesteuer zahlen. Wir bekamen günstige Kleinkredite, und die Studenten an den Unis sogar kostenloses Zeichenmaterial.“ Die Etats der Museen für neue Werke waren üppig, auch für die Paläste und Ministerien kaufte das Regime großzügig ein.

Ein Mann mit langen weißen Haaren betritt den Garten und wird freudig begrüßt: Qasim al-Sabti, Kopf der Hewar-Galerie. Zudem Schutzheiliger der geplünderten irakischen Kunst. Vor dem leergeräumten „Saddam Arts Center“, das vor dem Krieg die Werke der Pioniere der irakischen modernen Kunst beherbergt hatte, begriff er das ganze Ausmaß: „Unsere Kunstgeschichte – in der Hand von Dieben." Also begann er auf eigene Faust zurückzuerwerben. Al-Sabti verkaufte sein Auto, kratzte Ersparnisse zusammen und ließ in der Stadt verbreiten, er nehme geplünderte Werke zurück. Für 47 Exponate hatten seine 8600 Dollar gereicht, für einen Kunstprofessor in Bagdad viel Geld. Wenn das Museum eines Tages wieder hergerichtet ist, will er die Werke zurückgeben. Vorerst lagern sie in seiner Galerie.

Währenddessen leidet der Maler Wissam Rady in seiner eigenen kleinen Galerie in Karrada wieder an Saddam. Wenige Motive sind in Bagdad so begehrt wie sein Porträt des gestürzten Tyrannen mit wirrem Bart und Ratten auf der Schulter, das Journalisten in aller Welt bekannt gemacht haben. „Acht Mal habe ich das Motiv jetzt gemalt, jedes Bild ist verkauft, bevor ich fertig bin. Aber jetzt ist Schluss! Wirklich frei bin ich erst, wenn er meine Arbeit nicht mehr dominiert.“

Susanne Fischer

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