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Kultur: Saitenwechsel

Die Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter kündigt ihren Abschied an

Anne-Sophie Mutter hört auf. Allerdings nicht gleich, sondern zu ihrem 45. Geburtstag, am 29. Juni 2008. Und auch das ist nicht sicher. Dem „Arte-Magazin“ sagte die Star-Virtuosin, ihre Ankündigung beziehe sich „nicht explizit auf dieses Datum, sondern auf eine gewisse Spanne, in der ich mein Leben auf der Bühne beenden möchte, bevor man hinter meinem Rücken davon träumt, dass ich zurücktrete“. Ihr Münchner Büro präzisierte, Mutter werde aufhören, wenn sie sich „älter als 45“ fühle.

Ein Entschluss, dem zweifellos Respekt gebührt. Nur wenige Musiker schaffen es, von der Droge Applaus wegzukommen. Ungezählte Operndiven mussten buchstäblich von der Bühne gebuht werden – und behaupteten auch dann noch, das Publikum liebe sie. Keine Regel ohne Ausnahme: Die Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender schockierte die Musikwelt, als sie im Vollbesitz der stimmlichen Kräfte ihren Abschied von der Bühne bekanntgab. Heute ist sie Intendantin des Innsbrucker Landestheaters. Auch Dietrich Fischer-Dieskau schied als Sänger in Würden – um als Rezitator, Autor und Dirigent weiter präsent zu bleiben.

Ob Mutter wirklich auf jedes Rampenlicht verzichten will? Schon als 13-Jährige spielte sie beim Festival in Luzern, bald darauf stellte Herbert von Karajan das Geigenwunder der Öffentlichkeit vor. Das war 1976. Heute wird sie auf das berühmte Schallplattencover nicht mehr gerne angesprochen, das sie leicht pummelig und allein mit ihrem Instrument in idyllischer Waldeinsamkeit zeigt. So warb der Teenager erfolgreich für Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Die Aufnahme wurde zur bis dahin meistverkauften Klassik-LP überhaupt. Zuletzt legte Anne-Sophie Mutter auf CD ihr großes „Mozart-Projekt“ vor: pünktlich zum Mozartjahr alle Violinkonzerte, Violinsonaten und Klaviertrios des Jubilars. Auch im Konzert, weltweit (in der Berliner Philharmonie am 24. Oktober). Und Pläne für die nächsten Jahre, ja, die hat sie auch.

Anne-Sophie Mutter war stets geschäftstüchtig und schloss lukrative Verträge mit Schallplattenfirmen und Konzertveranstaltern ab. Eehrenrührig ist das längst nicht mehr. Es dürfte sie in die komfortable Lage versetzt haben, nicht mehr aus materiellen Gründen spielen zu müssen. Weshalb eine Musikerin ihres Schlages, die das Musizieren nicht nur als Beruf sieht, mit dieser ihrer Berufung abschließen will, bleibt jedoch ein Rätsel. Orthopädisch gesehen ist das Geigen nicht gerade gesund, von körperlichen Gebrechen der attraktiven Solistin ist aber bislang nichts bekannt. Schließlich ist 45 für einen Instrumentalisten auch kein Alter. Selbst Sänger, die das Instrument in ihrem eigenen Körper mit sich herumtragen, halten meistens länger durch. Für einen veritablen Heldentenor etwa beginnt das eigentliche Berufsleben meist erst in dem Alter, in dem Anne-Sophie Mutter nun aufhören will.

Eine andere Spekulation: Vielleicht ist die Ankündigung ja Teil einer gut geplanten Werbestrategie. Klassische Musik wird von den Plattenfirmen inzwischen ebenso personalisiert wie Pop- und Rockmusik, hier sind Abschiedstourneen, letzte und allerletzte Abschiedskonzerte gang und gäbe. Und alle Fans, die noch nicht die Gelegenheit hatten, ihr Idol aus der Nähe zu bewundern, geben ihr letztes Hemd für eine letzte, überteuerte Karte.

Oder es liegt an der leidigen Reiserei: Vielleicht ist Mutter den Wanderzirkus einfach leid. Seit Jahren setzt sie sich mit ihrer Stiftung für den Geigernachwuchs ein und unterrichtet in München. Mit beeindruckendem Ehrgeiz hat sie von früher Kindheit an ihr Spiel perfektioniert, technische Probleme waren ihr fremd. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an den Nachwuchs, der in den Genuss der Förderung durch ihre Stiftung kommt. Üben helfe sowieso nicht weiter, wenn man ein Problem mit einer Komposition hat, sagte sie kürzlich. Dann lege man am besten die Geige hin und kümmere sich um ganz etwas anderes. Lesen könne da nützlich sein oder ein Museumsbesuch. So schickte sie eine ihrer Studentinnen zunächst in die Münchner Pinakothek zu den Impressionisten, als sie merkte, dass diese mit der Klangwelt Debussys nichts anfangen konnte. Das half.

Oder will Anne-Sophie Mutter sich vielleicht auf fremden Gebieten weiterbilden, nachdem ihre zweite Ehe mit dem amerikanischen Dirigenten und Komponisten André Previn kürzlich geschieden wurde? Wenn sie wirklich ernst macht, bleiben ihr zwei Jahre, die sie auf den Konzertpodien und in den Schallplattenstudios der Welt noch zubringen wird. Danach hat sie Zeit für viele Comebacks. Es sei denn, sie fühlt sich auch nach 2008 noch lange wie 45.

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