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Die irische Schriftstellerin Sally Rooney.

© Patrick Bolger

Sally Rooney und die BDS-Bewegung: Der Buchboykott

Starautorin Sally Rooneys lässt ihren dritten Roman vorerst nicht ins Hebräische übersetzen – aus Protest an der israelischen Politik.

Freundschaft, Liebe, Kapitalismuskritik – um diese Themen kreisen Sally Rooneys Romane. Die 30-jährige Irin ist ein Star der Literaturwelt, ihre drei Bücher sind Bestseller, die als Serien verfilmt wurden und werden. Rooney, die sich als Marxistin bezeichnet, gilt als Stimme der Millenials.

Ihre Leser und Leserinnen in Israel können diese Stimme jedoch vorerst nicht mehr hören. Die Autorin hat verhindert, dass ihr neuer Roman „Schöne Welt, wo bist du“ vom israelischen Verlag Modan ins Hebräische übersetzt wird. Der Grund: Die Palästina-Politik Israels.

Rooney nennt das Stichwort „Apartheid“

Sie sei sehr stolz gewesen, dass ihre ersten beiden Romane ins Hebräische übersetzt wurden, schrieb Rooney in einem Statement, das unter anderem dem „Guardian“ vorliegt. Ihr wäre es eine Ehre, wenn auch ihr drittes Buch ins Hebräische übersetzt werden würde. „Ich habe mich aber für den Moment dazu entschlossen, die Übersetzungsrechte nicht an ein in Israel ansässiges Verlagshaus zu verkaufen“, so die Autorin.

Als Grund führt sie den Bericht der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ an, der dieses Jahr veröffentlicht wurde und darlege, dass das System in Israel den Kriterien von Apartheid nach internationalem Recht entspreche.

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Sie erwähnt außerdem die BDS-Bewegung: Ihr sei bewusst, dass es auch in anderen Staaten Menschenrechtsverletzungen gebe, so Rooney. Sie würde aber in diesem besonderen Fall dem Aufruf der palästinensischen Bevölkerung folgen.

Besonders in Großbritannien ist die Bewegung beliebt

BDS, kurz für „Boycott, Divestment, Sanctions“, existiert seit 2005, als knapp 170 palästinensische Organisationen zu einem Boykott gegen Israel aufriefen. Die Kampagne sieht sich in der Tradition des Kampfes der Südafrikaner:innen gegen Apartheid und ruft zu einem umfassenden kulturellen und wirtschaftlichen Boykott Israels auf. Insbesondere in der linken Szene Großbritanniens und Irlands ist die Bewegung stark.

Zahlreiche Künstler:innen unterstützen sie, darunter die Autorin Laurie Penny, Rapper:in Kae Tempest, Regisseur Ken Loach und Pink-Floyd-Mitgründer Roger Waters. Um die schottische Hip-Hop-Band Young Fathers gab es einen Eklat, als sie 2017 eine Teilnahme beim Pop-Kultur-Festival in Berlin absagten, weil das angeblich von Israel mitfinanziert sei.

Der Bundestag verabschiedete eine Resolution

2019 stimmte der Bundestag nach einer kontroversen Debatte für eine Resolution mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Darin heißt es, dass Argumentationsmuster und Methoden der Bewegung antisemitisch seien, da der allgemeine Boykott-Aufruf in seiner Radikalität zur „Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes“ führe. Der Kampagne oder Gruppierungen, welche die Ziele der Kampagne verfolgen, sollen finanzielle Unterstützung oder Räumlichkeiten verweigert werden.

Sally Rooneys Einstellung zur BDS-Kampagne ist kein Geheimnis. Sie unterzeichnete in diesem Jahr gemeinsam mit tausenden internationalen Künstler:innen einen offenen „Brief gegen Apartheid“. Bereits vor zwei Jahren solidarisierte sie sich mit der pakistanisch-britischen Schriftstellerin Kamila Shamsie, nachdem ihr wegen BDS-Sympathien der Nelly-Sachs-Preis entzogen wurde.

Auch Alice Walker verhinderte eine Übersetzung

Shamsie twitterte am Dienstag, dass es den Schriftsteller:innen nicht darum ginge, eine Sprache zu boykottieren. „Unsere Taten ehren den Aufruf der palästinensischen Zivilbevölkerung zum Boykott der Institutionen, die mit dem Israelischen Staat verbunden sind“, so die Autorin.

Auch die Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker verhinderte 2012 die Übersetzung ihres Romans „Die Farbe Lila“ ins Hebräische und nannte „Apartheid und die Verfolgung der Palästinenser“ in Israel als Grund.

Rooney ist also nicht die erste Autorin, die diesen Schritt geht. Aufgrund ihrer enormen Popularität und ihres Status als Stimme einer Generation wiegt ihre Entscheidung aber besonders schwer – und hat eine Debatte über Sinn und Unsinn eines Übersetzungsboykotts losgetreten.

Ins Chinesische und Russische ist Rooney übersetzt

Rooneys Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter ins Chinesische und Russische. In China wird die Minderheit der Uiguren systematisch verfolgt, in Tschetschenien werden Homosexuelle gefoltert und getötet. Sollte russisch- oder chinesischsprachigen Leser:innen deshalb eine Auseinandersetzung mit Rooneys Literatur verweigert werden?

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Der Ullstein-Verlag verteidigt Rooney

Der Ullstein-Verlag, der Rooneys Roman in Deutschland verlegt, verteidigte die Autorin in einem Statement. Kritik an israelischer Politik werde in Deutschland aufgrund der Geschichte „mit besonderer Sensibilität“ betrachtet. Während die BDS-Bewegung vom Bundestag als antisemitisch bewertet wurde, habe das Parlament in Irland die israelische Siedlungspolitik offiziell verurteilt, heißt es in dem Statement.

Man gebe im Verlag verschiedenen Perspektiven Raum, Antisemitismus gehöre aber klar nicht dazu. Rooneys Roman sei ein „nachdenkliches, vielschichtiges und politisch waches Buch einer weltweit respektierten Schriftstellerin über die Gegenwart“.

Welcher Verlag entspricht den BDS-Regeln?

Sally Rooney selbst betonte in ihrem Statement, dass sie eine Übersetzung ihres neuen Romans ins Hebräische nicht ausschließe, sofern sich ein Verlag finden lasse, der sich mit den Boykottregeln der BDS-Bewegung vereinbaren ließe. Was genau dies beinhalten müsste, ist allerdings nicht klar.

Mit der Haltung, dass man keine Sprache, sondern israelische Institutionen boykottieren wolle, machen es sich Rooney und ihre Kolleg:innen ohnehin etwas zu leicht – und verhindern einen Diskurs, den Romane eigentlich anfachen sollten. Große Literatur öffnet Grenzen, lädt Leser und Leserinnen in neue Welten ein. Ein Boykott schließt sie aus.

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