zum Hauptinhalt

Kultur: Salzburger Festspiele: Fade Feuerlippen

Wie sieht ein "Falstaff" auf unseren Bühnen gewöhnlich aus? So, als ob man alte Witze immer wieder erzählt.

Wie sieht ein "Falstaff" auf unseren Bühnen gewöhnlich aus? So, als ob man alte Witze immer wieder erzählt. Charme beiseite, dominiert der Wäschekorb, in dem der wuchtige Antiheld Sir John am Ende eines seiner erotischen Ausflüge das unfreiwillige Bad in der Themse nimmt. Der mordsmäßig große Haushaltsartikel wird von englischem Fachwerk umgeben, weil Mister Ford, der Hausherr, zu den wohlhabenden, ordentlichen Bürgern von Windsor gehört.

Größere Inszenierungen, etwa die Götz Friedrichs an der Deutschen Oper in Berlin vor vielen Jahren, haben versucht, das Schillernde des heiteren Weltabschiedswerkes von Giuseppe Verdi einzufangen: Fords Ordnung und Falstaffs Unordnung sind bereits vermischt, wenn der Bürger zum Unbürgerlichen ins Wirtshaus geht, auf den Verdacht hin, dieser betrüge ihn mit seiner Frau. Daraus lässt sich ein weises, komödiantisches Welttheater machen.

Was aber nun in Salzburg zu besichtigen ist, bestätigt das gängige Paradox eines ruhigen runden Festspielalltags. Alle Tage kann es keinen Marthaler geben, keinen Wernicke, Mussbach, Neuenfels, aber der Regisseur Declan Donnellan erneuert die Erfahrung, dass britischen Shakespeare-Experten nicht zu trauen ist. Sie lesen ihren Shakespeare, dem der Schuldenmacher und Genießer Falstaff entsprungen ist, vom Blatt und spicken ihn mit Anekdoten.

Mrs. Quickly, die älteste der lustigen Weiber von Windsor, nimmt der Story und ihrer Figur alle Abenteuerlust, indem sie einem manischen Strickzwang erliegt. Am Ende ist ein langer Schal für Sir John fertig. Dieser läuft mit seinem wattig ausgestatteten Theaterleib, der den "Weinschlauch" und "König der Bäuche" charakterisieren soll, wie eine groteske Bühnenschwangerschaft im holzgetäfelten Wirtshaus herum: Mein Bauch gehört mir. Der Hosenbandorden, der über Falstaffs Quartier schwebt, weil wir uns im Gasthof "Zum Hosenband" befinden, hätte zu einem anderen Rollenbild führen müssen: dem heruntergekommenen Ritter als dennoch respektablem Vertreter eines feudalen Systems. Immerhin bringt er einem jungen Paar Glück und stimmt zum Schluss die "Buffo-Fuge" an, das musikalische Prinzip der Ordnung.

Hier aber sucht die Regie ihr Heil in der Komik, den Titelhelden als Wasserspeier aus der Themse krabbeln zu lassen. Der Orchestergraben stellt in diesem Fall den Grund des Flusses dar. Und die Inszenierung stört, wenn sie Personen, über die im Text gesprochen wird, surrealistisch in ihr realistisches Bild bringt: dann wird die Bühne dunkel, und die Frauen machen sich Gedanken über den anwesenden Falstaff oder Ford über seine fremdgehende Gattin, die auf der Bühne beschäftigungslos neben ihm steht.

Bei respektablen Gesangsleistungen bleibt das Ensemble seltsam konturlos. Das Pärchen mit den Tennisschlägern, das dauernd von seinen Küssen und Feuerlippen redet, verhält sich wie im Kindergarten: Heidi Grant Murphy als Nannetta mit leichter Höhe und Soubrettentimbre und Massimo Giordano als blasser Fenton. Die übrigen Weiber von Windsor (Carmela Remigio als Alice Ford, Larissa Diadkova als Mrs. Quickly, Stella Doufexis als Mrs. Meg Page) benehmen sich so sehr nach Klischee, dass ihr Singen dem Desinteresse anheim fällt. Das wirkte unter Claudio Abbado in Berlins Philharmonie, dem Ursprung der Einstudierung, wesentlich unmittelbarer.

Dasselbe gilt für das eigentlich famose Dienerpaar Pistola/Bardolfo, besetzt mit Anatoli Kotscherga und Anthony Mee, während der Bariton Dwayne Croft als Ford neu im Männerbund steht, schmal in jedem freundlichen oder weniger freundlichen Wortsinn. Da ging die Post bei Lucio Gallo als eifersüchtigem Ehemann anders ab. Über Bryn Terfel, der dem unglücklichen Konzept nun nach einigen Absagen zugewandert ist, lässt sich sagen, dass er ein relativ junger Falstaff ist, mit stimmlicher Kraft, feinem Falsett und sympathisch vielen leisen, intimen Tönen. Daraus ließe sich mehr machen, wenn Regie stattfände.

Am Pult der Wiener Philharmoniker und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor hat Lorin Maazel die Leitung übernommen. Sein "Falstaff" kommt seinem "Tristan" vom Jahr 2000 nicht gleich. Wie schwer hat es aber auch das Parlando der Partitur, das knisternde Stakkato, die Präzision der leichtfüßigen, verzahnten Ensembles in dem entsetzlich riesigen Festspielhaus! Dennoch: Man könnte den Abend vergessen, wäre da nicht Maazel, der die musikalischen Charaktere - in den Bläsern der Kontrapunkt zu Sir Johns Verliebtheit in seinen Bauch bis hin zum Höhepunkt der vitalen Fuge, die vom Dirigenten quasi inszeniert wird - mit seinem künstlerischen Verstand verteidigt. Die New Yorker Philharmoniker können sich freuen. Ihr künftiger Chef ist nach den vergangenen Pulttänzen wieder für Überraschungen gut.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false