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© APA

Salzburger Festspiele: Gezucke und Gekreische

Eröffung in Salzburg: Der Schriftsteller Daniel Kehlmann greift das Theater an.

Zum Auftakt eine schrille Attacke. In seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele geißelte der Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) den Modernisierungszwang des heutigen Theaters. Der 34-jährige Bestsellerautor ist dieses Jahr in Salzburg der „Dichter zu Gast“. Am Samstagabend hatte Christof Loys szenische Interpretation des Händel-Oratoriums „Theodora“ im Großen Festspielhaus Premiere. Sebastian Nübling zeigt ab Montag seine „Judith“ nach Hebbel und Vivaldi, mit Anne Tismer in der Rolle der Frau, die ihr Volk durch einen brutalen Mord befreit; beides gewiss Beispiele für Kehlmanns Feindbild Regietheater.

Bereits vor Beginn der Festspiele ist über deren künstlerische Relevanz und die Qualität der Aufführungen diskutiert worden. Mehrere Theatermacher kritisierten das Festival als veraltet und forderten einen Generationswechsel. Bei den Festspielen sei alles immer noch so wie vor zwanzig Jahren, sagte der ehemalige Salzburg-Intendant und Operndirektor Gérard Mortier. Es fehlten die „besten Regisseure und Dirigenten“. Die Salzburger Festspiele stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Das Spiel der Mächtigen“.

Daniel Kehlmann sprach in eigener Sache. Er würdigte seinen Vater Michael Kehlmann als großen Theatermacher, der aber in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen sei und deshalb seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte. Grund sei dessen Einstellung gewesen, dass der Regisseur ein Diener des Autors sei. „Als mein Vater durch den Wandel der Umstände seine Arbeit nicht mehr ausüben konnte, senkte sich allmählich die Krankheit des Vergessens auf ihn herab, bis ihn ganz zuletzt die Demenz vom Bewusstsein der Enttäuschung befreite.“ Michael Kehlmann (1927 – 2005) war ein österreichischer Regisseur. Er arbeitete am Burgtheater, machte sich aber in den fünfziger und sechziger Jahren vor allem als Fernsehregisseur einen Namen.

Daniel Kehlmann nutzte seinen Auftritt zu einer Generalabrechnung: Heute seien Ausländer, die in Deutschland ins Theater gingen, ziemlich verwirrt. „Was das denn solle, fragen sie, was denn hier los sei, warum das denn auf den Bühnen alles immer so ähnlich aussehe, ständig Videowände und Spaghettiessen, warum sei immer irgendwer mit irgendwas beschmiert, wozu all das Gezucke und routiniert hysterische Geschrei? Ob das denn staatlich vorgeschrieben sei?“ Ob man Schiller in historischen Kostümen oder aktualisiert aufführen solle, sei die am stärksten mit Ideologie befrachtete Frage überhaupt. „Eher ist es möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten, als leise und schüchtern auszusprechen, dass die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung, auf keinen Fall aber ein per se reaktionäres Unterfangen.“

Für Kehlmann ist das Regietheater längst im bürgerlichen Leben angekommen, das er zu Beginn seiner Rede mit dem Max-Reinhardt-Zitat „eng begrenzt und arm an Gefühlsinhalten“ beschrieb. Max Reinhardt war der Begründer der Salzburger Festspiele und einer der ersten Vertreter des Regietheaters. „In einer Welt, in der niemand mehr Marx liest und kontroverse Diskussionen sich nur noch um Sport drehen, ist das Regietheater zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologie degeneriert“, schimpfte Kehlmann. Wer gegen das sogenannte Regietheater sei, müsse nicht konservativ sein, aber gerade manch tiefkonservativer Mensch halte die teuren und konventionellen Spektakel des Regietheaters für unangreifbar. dpa/Tsp

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