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Salzburger Festspiele: Rache ist schick

Salzburger Festspiele: Claus Guth beschließt seine Mozart-Trilogie mit „Così fan tutte“.

Wer das „Haus für Mozart“ nach dieser „Così fan tutte“-Premiere früh verlässt, weil er das Glück eines Randplatzes hat und das Applaudieren nicht recht von der Hand gehen will, dem schlägt draußen erst einmal eine Wolke Kohlenmonoxid entgegen. Wo man noch zu Gérard Mortiers Zeiten in Pferdeäpfel trat, da stehen jetzt mit sinnlos laufenden Motoren 30 bis 40 Limousinen des VIP-ShuttleService. Man trottet am legendären „Triangel“ vorbei, das vor nicht allzu langer Zeit einen Mittagstisch für Künstler und Studenten unterhielt und heute nur noch schick ist. Die gegenüberliegende Baracke übrigens, in der es bis vor einem Jahr eine Wechselstube und Schaufenster der Österreich-Werbung gab, haben sie weggerissen. Zugunsten eines Designer-Kubus für Kunst und wegen des „Furtwängler-Gartens“, in dem die Grashalme sicher einzeln gezüchtet wurden.

Salzburg 2009 ist der denkbar schlechteste, ja verrückteste Ort, um eine Regietheater-Debatte vom Zaun zu brechen, wie es der Schriftsteller Daniel Kehlmann in seiner Festspieleröffnungsrede vor einer Woche versucht hat. Zünden konnte das nicht, und wahrscheinlich ist Kehlmann jetzt ähnlich beleidigt wie sein Regisseur-Vater es war (um dessen Ehrenrettung es ging), als die Ästhetik ihn überholte und die Engagements ausblieben. Das Problem des Theaters sei seine Gedächtnislosigkeit, schreibt der Regisseur Nicolas Stemann in Erwiderung auf Kehlmann: „Wer Erfolg hat, hat in der Gegenwart Erfolg.“

Salzburg unter Jürgen Flimm bedeutet die Pervertierung dieses Prinzips. Die Erfolgreichen und Gegenwärtigen arbeiten zwar großenteils hier, bleiben aber merkwürdig unsichtbar und folgenlos, werden überwuchert von einem Society-Treiben, dem die Anlässe herzlich egal sind. Ob Sebastian Nübling in seiner „Judith“-Studie nach Hebbel und Vivaldi nun allerlei Texte, Figuren und Diskurse zertrümmert oder die amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato für Rolando Villazón einspringt – ausreichend Gelegenheit, beim Sterne-Koch X oder Y einen Tisch zu reservieren, bietet beides. In Bayreuth, so diagnostizierte unlängst die „Zeit“, sei das „kulturindustrielle Drumherum“ inzwischen mindestens genauso wichtig wie die Kunst. In Salzburg ist es längst wichtiger.

Die Gründe haben sicher damit zu tun, dass schon Karajan hier entsprechend wirkte. Man muss nicht puristischer sein als nötig, die Tatsache aber, dass die Macht der Sponsoren stetig steigt, hat Konsequenzen. Natürlich geht Siemens nicht her, nur weil die Firma den Abschluss der Salzburger Mozart /Da Ponte-Trilogie zeitversetzt im Internet streamt, und pfuscht Claus Guth ins Regiehandwerk. Ein Künstler wie Guth ist aber sensibel und clever genug, um zu begreifen, wo er sich befindet und welcher Geist hier weht. Unterschwellig, subversiv, wie ein schleichendes Gift hat dieser sich jetzt bis ins Mark von Mozarts Liebesprobe hineingefressen.

Gedanklich ist diese Inszenierung sicher untadelig und eine weniger kopflastige Fortsetzung des „Figaro“ und „Don Giovanni“ als befürchtet; atmosphärisch aber lässt sie zu wünschen übrig. Auf der Bühne lauter gut aussehende, schlanke, spiellustige, ja -wütige Sänger und eine ansprechende Choreografie, im Graben das mutmaßlich beste Mozart-Orchester der Welt (die Wiener Philharmoniker), dazu ein Dirigent, Adam Fischer, der auswendig seines Amtes waltet und hingebungsvoll an der Szene hängt: Woran liegt es, dass so gar keine Stimmung aufkommen will und die handelnden Personen sich zwar vier Stunden lang felsenfeste Liebe, verbotene Lust, rasende Rache, Verrat und Versöhnung vorsingen, sich aber nichts Existenzielles dabei tut?

Der Beginn zeigt die Geburt jener frauen- wie männerverachtenden TreueWette, derzufolge das Stück lange als schlüpfrig galt und seicht. Eine Party löst sich auf, beschwipst bleiben die Gastgeber zurück, ein Wort gibt das andere. Christian Schmidts Bühne zeigt ein Loft, wie es sich heute ebenso gut in Neapel (dem Spielort) finden ließe wie am Prenzlauer Berg. Weißer Chic, mehrere Ebenen, ein Kamin und an den Wänden afrikanische Kunst. Mit diesen Masken werden Ferrando und Guglielmo hantieren, wenn sie sich als Türken ausgeben, um ihre Geliebten zu prüfen. Je treuloser die Frauen sind, je stärker in ihnen das Begehren des „Fremden“ keimt und reift, desto mehr ergreift die Natur von dem Ambiente Besitz.

Erst ist es nur der Blick vom sicheren Drinnen ins finstere Draußen, in einen Wald, dann ist es der Wald selbst, der die Ordnung des Wohnens und des Lebens aufbricht. Im zweiten Akt wachsen die Bäume buchstäblich aus der Polstergruppe heraus und statt Parkett oder Teppich bedecken Moos und Tannennadeln den Boden.

Eine treffliche Metapher, die zusammen mit Don Alfonsos mephistophelischen Moonwalks (elegant, aber stimmlich wenig dämonisch: Bo Skovhus) und Despinas arg überzogenen Girlie-Tiraden (Patricia Petibon noch mit einiger Nervosität bei ihrem Rollen-Debüt) nur einen Schluss, ein Finale zulassen: Da sitzen dann reichlich verstört die Falschen beieinander. Auch Gefühle, nun ja, haben ein schlechtes Gedächtnis. Zäh ist dieser zweite Akt trotzdem.

Vielleicht wird auch einfach zu gefahrlos musiziert. Die Wiener haben dieses Stück natürlich „drauf“, und solange kein rhetorischer Berserker wie Nikolaus Harnoncourt vor ihnen steht, spielen sie ihren Stiefel. Das klingt unter Fischer recht süffig und kompakt, vor allem die Hörner und Holzbläser lassen das Pastorale der Partitur wunderbar blühen – ein Feuer aber, etwas Spezifisches oder Scharfes, hat das Ganze nicht. Auch die in den Arien oft quälerisch langsamen Tempi irritieren: musikalische Großaufnahmen, die das Seelenleben der kreuzweise Liebenden unter die Lupe nehmen? Da hat selbst der alte Böhm einst tiefer gebohrt und gestochert.

Das Liebes-Quartett fügt sich fast nahtlos ins Klangbild: Florian Boesch als bodenständiger Guglielmo, Isabel Leonard als mutige, mit Persönlichkeit ein wenig geizende Dorabella und Topi Lehtipuu als engagierter, etwas meckernd timbrierter Ferrando. Alles keine großen Stimmen. Einzig Miah Perssons Fiordiligi umweht eine tragische Aura. Ihrem nicht betörend schönen, aber lebenssatten, stets an der Aktion orientierten Sopran nimmt man ab, dass diese Affäre Narben hinterlässt.

Wie zur Felsenarie im Loft der Strom ausfällt und Fiordiligi mit einer Taschenlampe Masken und Maskierte, Fremde und Vertraute abtastet und gegen ihre Angst vor der Angst ansingt, das berührt. Pfeifen im Wald – oft nicht das schlechteste Rezept.

Christine Lemke-Matwey

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