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Konzept Kunst. Blick in die ehemalige Kantine des Areals, wo Karin Sander die Wände mit 1500 Blättern bedeckt.

© Ludger Paffrath

Sammler Axel Haubrok: Kunstort Fahrbereitschaft in Lichtenberg droht das Aus

Die Ausstellung „Paperwork“ ist grandios – und wohl die letzte in der Fahrbereitschaft in Lichtenberg. Der Bezirk stellt sich gegen den Kunstort des Sammlers Axel Haubrok.

Schon irre, was Papier alles aushält. Man kann es mit farbigen Stecknadeln oder Haftklammern traktieren wie Karin Sander, die Hartes mit Weichem verbindet oder Spuren aus Kuli, Bleistift und Fäden auf zuvor blütenweißen Oberflächen hinterlässt. Man kann es zerknüllen wie Turner-Preisträger Martin Creed, der aus nichts als Papier präzise Skulpturen formt. Und man kann es Jahrzehnte in Buchform zu Hause lagern wie Barbara und Gabriele Schmidt Heins, die zu den großen Entdeckungen der Schau „Paperwork“ zählen.

In den siebziger Jahren gehörten die Hamburger Schwestern zur Avantgarde, ihre gebundenen Konvolute aus gerissenem, sezierten, gefärbtem, verklebten Papier wurden 1977 und 1982 auf der Documenta in Kassel gezeigt. Danach ebbten die Ausstellungen ab, auch weil die beiden nicht vom Verkauf ihrer Arbeiten leben mussten und wenig Interesse an der Zerstreuung ihres Gesamtkunstwerks hatten.

Doch nun ist Weißzeit in der Lichtenberger Fahrbereitschaft, vier Ausstellungen umkreisen das Thema Papier in seiner grandiosen Vielgestaltigkeit und nehmen auch die frappierenden Bücher der Schwestern in den Blick. Ein Stockwerk tiefer zeigt Karin Sander 1500 Blätter, die die Möglichkeiten im Umgang mit dem Material deklinieren. Sie füllen die Wände der Kantine des Areals, wo zu DDR-Zeiten ein Fuhrpark mit Fabrikaten des Klassenfeindes gehegt wurde. Namen wie Florian Pumhösl, Georg Herold, Jonathan Monk oder Manfred Holtfrerich gesellen sich hinzu. Ein Meisterstück der poetischen Konzentration, das aufzeigt, was für Ausstellungen auf private Initiative und ohne öffentliche Gelder für die Allgemeinheit stattfinden können. Dennoch liegt ein Schatten über dem Grundstück: Das Bezirksamt Lichtenberg droht bei weiterer „Durchführung von Ausstellungen, Galerien, etc.“ mit der drastischen Strafe von 500 000 Euro.

Zieht Haubrok um, verlieren alle

Vor fünf Jahren haben Barbara und Axel Haubrok das Gelände im Industriegebiet gekauft. Ein Teil der Räume war bereits vermietet – an karitative Organisationen wie an Künstler, die hier in preiswerten Ateliers arbeiten. Die übrigen Gebäude, teils noch im Originalzustand, haben Haubroks sukzessive für ihre Sammlung erschlossen. So wie zuvor am Strausberger Platz, wo es eine Halle für Wechselausstellungen gab. Dass eine solche Nutzung mitten im Gewerbegebiet ebenso illegal wie die weit älteren Mietverträge ist, wusste das Paar nicht. Seitdem wird um das Areal gekämpft.

Politiker wie der ehemalige Kulturstaatssekretär André Schmitz oder Andreas Geisel, bis 2014 Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, versprachen Unterstützung. Ihr Engagement mündete in einer Duldung des Bezirks von zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr. Davon ist nun keine Rede mehr und „Paperwork“ die letzte Schau am Ort. Was sich das Stadtentwicklungsamt davon verspricht, wenn es den einzigen – zumindest dank seines öffentlichen Engagements sichtbaren – Kunstsammler aus dem Bezirk vertreibt, ist unklar. Es gehe um das „produzierende Gewerbe vor Ort“, ist aus dem Büro der Bezirksstadträtin Birgit Monteiro (SPD) zu hören. Um jenen Motor für Arbeitsplätze, der in diesem Bezirk so wichtig sei.

Das glaubt man gerne und schaut sich doch leicht ratlos auf der Herzbergstraße um. Geht es beim Gewerbe um das Dong Xuan Center gegenüber der Fahrbereitschaft, in dem man Gemüse, Plastikbesen und asiatische Suppen kaufen kann? Oder um das benachbarte H24 Hotel mit seinen 80 frisch renovierten Zimmern und zwei Suiten? Dass ein Bezirk sich gegen die Gentrifizierung stellt, wie sie überall in Berlin passiert, ist löblich. Und dass die Kunst oft als Vorbote dieser Entwicklung agiert, wissen wir alle. Bloß das Procedere unterscheidet sich diesmal: Für gewöhnlich nutzen Entwickler die prekäre Situation von Künstlern und laden sie in ihre Räume zwecks Aufwertung der Immobilie. Axel Haubrok aber gehört das Areal und die Kunst, er bietet günstige Ateliers in einem nicht gerade kunstverwöhnten Bezirk und möchte langfristig eine eigene Kunsthalle bauen. Zieht Haubrok um, verlieren hier alle.

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