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Kultur: Sanfte Zwänge

Thomas Sautner zeigt in „Fremdes Land“, wohin eine Gesellschaft im Sicherheitswahn treibt

In der Zukunft ist das Migrantenproblem gelöst. Irgendwann wurden der Gesellschaft die hierzulande lebenden arabisch- und türkischstämmigen Mitbürger einfach zu riskant. Seit der großen „Moslem-Separation“ leben sie in hermetisch abgeriegelten Ghettos, nach bewährtem Vorbild sozusagen. Diese verlassen sie nur, wenn sie „draußen“ ihren Jobs nachgehen müssen, als Taxifahrer etwa. Natürlich müssen sie dann Überwachungsarmbänder tragen, mit denen sie jederzeit geortet werden können. „Diese verdammten Moslems sind einfach brandgefährlich“, lässt Thomas Sautner einen von der „Bürger-Security“, den Blockwarten der Zukunft, verkünden – nur wenige würden ihm im Jahr 2025 oder wann immer Sautners Roman „Fremdes Land“ spielt, widersprechen.

Seltsam nur, dass trotz aller Hightechkontrolle immer noch „Krieg“ herrscht gegen scheinbar allgegenwärtige muslimische Terroristen, die U-Bahn-Stationen und andere weiche Ziele mit „Mini-Nukes“ und Bio-Waffen attackieren. Und noch seltsamer, dass es in dieser Welt kaum jemanden gibt, der sich über diesen Umstand wundert - dass es vielmehr jeder für richtig hält, deshalb immer weitere Bürgerrechte für mehr „Sicherheit“ aufzugeben. Bis hin zum Recht, einen Bart zu tragen – lassen sich doch Bartträger schlechter von den überall installierten Kameras identifizieren.

„Freiheit ist nichts Selbstverständliches. Sie muss Tag für Tag neu behauptet, nötigenfalls erkämpft werden“ – sagt nicht Joachim Gauck, sondern im Roman der verzweifelte Vater der Hauptfigur Jack Blind. Wie dessen Name schon sagt, vermag Jack Blind bis zuletzt nicht zu sehen, wie es um die Welt, die er als Mitglied der künftigen Regierungspartei mitgestalten will, bestellt ist. Endlich an die Macht gekommen, dämmert zumindest dem Leser, dass nicht er und sein Chef Mike Forell die Fäden ziehen. Sondern ein monströser Beamtenapparat, repräsentiert durch die „Gräfin“ Juno, sowie Großkonzerne, deren „Vertreter“ beim „Präsidenten“ regelmäßig auf eine Tasse Kaffee erscheint – beides gelungen unheimlich gezeichnete Figuren. Die mit ihren Einflüsterungen den kindischen, anerkennungssüchtigen Forell nach Belieben manipulieren können. Am Ende glaubt der „Präsident“ selbst, die Idee, das Volk unter dem Motto „Caring Mom“ (statt Big Brother) mit „Gedankenchips“ zu beglücken, um auch noch die letzte Lücke im Überwachungsnetz zu schließen, stamme von ihm.

Die schöne neue Welt, die Thomas Sautner, Jahrgang 1970, mit den Mitteln der Satire und des schwarzen Humors präsentiert, zeigt, wohin eine von tausend Ängsten eingeschüchterte, risikointolerant gewordene Gesellschaft treibt. Vieles von dem, was der österreichische Autor beschreibt, dürfte demnächst Wirklichkeit werden: Wer trotz aller Verbote vom Alkohol oder Tabak nicht lassen kann, den nötigt der sanfte Zwang drastischer Beitragserhöhungen der Krankenkasse zum Umdenken. Wessen Vitalfunktionen beim Autofahren wiederholt aggressive Tendenzen verraten, dem nimmt der Autopilot nicht nur das Steuer aus der Hand, sondern verkündet ihm auch gleich ein Fahrverbot. Eine den grassierenden Sicherheits- und Kontrollwahn aufs Korn nehmende Dystopie also, wie man sie wohl eher von einer Juli Zeh erwartet hätte als von einem Autor, der sich in seinen vorangegangenen zwei Romanen mit dem fahrenden Volk der Jenischen beschäftigt hat.

Alles, was die Gegenwart an Themen hergibt, wird von Sautner zusammengerührt und in die Zukunft extrapoliert: Vom Neuro-Enhancement mittels emotionssteuernder „Feelgood“-Pillen über die Vermischung von Fiktion und Realität in den Medien bis zur Verwandlung der repräsentativen Demokratie in eine von Lobbyisten beherrschte Scheindemokratie.

Vom Überraschungspotenzial des Morgen, wie es etwa Thomas von Steinaecker 2007 in „Wallner beginnt zu fliegen“ entfaltete, liest man bei Sautner wenig. Hinzu kommt, dass seine ästhetischen Mittel begrenzt sind: Seine Figuren halten Vorträge, die allein der Information des Lesers dienen; viel wird, etwa in den essayistischen Passagen eines auktorialen Erzählers, behauptet und wenig gezeigt. Interessant wird es immer dann, wenn Sautner doch etwas zeigt, etwa die Folgen einer solchen Gesellschaft für das Gefühls- und Zusammenleben ihrer Mitglieder.

Es sind Alltagsszenen wie diese, die Sautners Roman lesenswert machen: Bei der Fahrt in der U-Bahn verkündet ein Display, dass einer der Mitfahrer im Wagen schwarzfährt; der funkgesteuerte Abgleich mit den P-Cards der Fahrgäste macht's möglich. Jeder versucht nun, mehr oder weniger unauffällig, am Gesichtsausdruck der anderen den Schwarzfahrer zu erraten – eine in dieser Welt beliebte Unterhaltung auf dem morgendlichen Weg ins Büro. Als Jack Blinds Hauptverdächtiger mit rot gewordenem Gesicht an der nächsten Station aussteigt und die Anzeige tatsächlich auf null zurückspringt, verspürt nicht nur Blind ein Triumphgefühl – eine Welle von Wir-Gefühl durchflutet diese ansonsten von „Feelgood“-Pillen wattierten Hirne.

Thomas Sautner: Fremdes Land.

Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2010.

250 Seiten, 19,95 €.

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