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Gefährdetes Glück. Kochbuchautor Lou (Seth Rogen) und seine Frau Margot (Michelle Williams).

© Koolfilm

Sarah Polleys Liebesfilm: Diese Ehe zerbricht leise

Berühmt geworden ist Sarah Polley als sensible Schauspielerin. Mit „Take This Waltz“, einer ungewöhnlich erzählten Dreiecksgeschichte, legt sie ihre zweite Regiearbeit vor. In der Hauptrolle: die wunderbar sensible Michelle Williams.

Little Portugal und Little Italy, die benachbarten Stadtteile westlich der Downtown von Toronto, muss man sich wie ein traumgewordenes, altwestberliner Kreuzberg vorstellen: mit künstlerischen, verspielten, von der grobmotorischen Vitalmoderne unberührten Lebensformen, nur nicht in Mietskasernen, sondern in sehr kleinen Einfamilienhäusern mit winzigen Gärten drumherum. Mit Nachttischventilatoren, die sommers in niedrigen Mansarden summen. Mit Wohnküchen, deren Kühlschranktüren sich unter der Last ihrer lustigen Magnetbotschaften zu verziehen drohen. Mit Holzveranden, von deren Geländern die Farbe abblättert in der Sonne. Und alle Welt hört und sieht all dem glücklich zu.

In einem dieser Häuschen haben sich Margot (Michelle Williams) und Lou (Seth Rogen) urgemütlich eingerichtet: er ein Kumpeltyp und Kochbuchautor mit Spaß an unermüdlich zu variierenden Hühnchenrezepten, sie auch irgendwie mit Autorinnenehrgeiz, nur bleibt es einstweilen bei peripheren Werbetextaufträgen. Ja, ein Verpuppungsheim ist dieses Gehäuse ihrer inzwischen fünf Jahre alten Ehe und ihrer einst aus Zärtlichkeit geborenen, zur Routine gewordenen Rituale. So lieb sind die zwei miteinander im zarten Alltag ihrer Ich-AGs, dass die Liebe, die unersättliche, langsam zu verdursten scheint.

Eigentlich noch kein unabweisbarer Nährboden, um sich dringlichst anderweitig zu verlieben, und doch implodiert dieses ewig kindliche Universum beim erstbesten beiläufigen, aber erwachsenen Annäherungsversuch. Auf Recherchereise lernt Margot den sanften, melancholischen, zurückhaltenden Daniel (Luke Kirby) kennen, und – wie Michelle Williams das in einem winzigen Gesichtergewitter spielt! – schon ist es um ihre aufgeräumte Kleineliebewelt geschehen. Im Taxi sagt sie Daniel leise, und es ist, als hielte sie schreiend ein Stoppschild hoch: „Ich bin verheiratet!“ Andererseits ist der hübsche Kunstmaler, der zum Geldverdienen Rikscha fährt, unlängst gegenüber zur Miete eingezogen.

Was passiert? Nichts, könnte man sagen. Margot lädt Daniel ins Hallenbad ein, und während sie umeinander herumtauchen, hält Daniel sich fast an das unausgesprochene Berührungsverbot. Margot sitzt mit Daniel in einer der bunten, stillen Nachbarschaftskneipen, und als sie ihn zu einer Sprachverführung auffordert, wird er hinreißend explizit in der Möglichkeits- oder auch der Vergangenheitsform. Vollends bezaubernd dann Margots Fluchtversuch: „Treffen wir uns in 30 Jahren wieder, am Leuchtturm von Cape Breton!“ Und Daniel ist so einverstanden, wie man mit einem Traum immer einverstanden sein kann.

Natürlich passiert alles in diesen wenigen, ja, sagen wir das komische Wort: keuschen Begegnungen. Vor allem passiert Margots Entfernung von Lou, während sie bei ihm ist wie immer, während sie Partygastgeberin ist mit ihm wie immer, während sie mit ihm schläft fast wie immer. Ein paar heiße Sommerwochen gehen dahin, und Margot durchträumt sie in luftigen Küchenhandtuch-Karoshirts und Jeans-Shorts, während doch bleiben, bleiben, bleiben soll, was war. Dabei vergeht die Liebe zu Lou ja keineswegs, auch das zeigen Gesicht und Körpersprache von Michelle Williams, nur kann sie nicht mehr gegen dieses so unaufhaltsam andere Gefühl bestehen. Und dass auch dieses Gefühl alt werden kann: Wer ahnte das nicht, zumindest augenblicksweise, mitten in einer neuen Liebe.

Das ist das ganze Thema dieser minimalistischen, großen zweiten Regiearbeit der inzwischen 34-jährigen Sarah Polley, die aus ihren verletzlichen Kinorollen – von Atom Egoyans „Das süße Jenseits“ (1997) bis zu Isabel Coixets „Das geheime Leben der Worte“ (2005) – nur hinübergewechselt scheint in die Erfinderin solcher Welten für andere. In ihrem Regiedebüt „Away From Her“ (deutscher Titel: An ihrer Seite, 2006) war es Winter, und ein uralt vertrautes Ehepaar verlor sich fast im Zeichen von Alzheimer. Diesmal geht, nicht minder schmerzlich, im beginnenden Lebenssommer eine tiefe Nähe verloren, und eine andere fängt vielleicht an.

Eindeutig will Sarah Polley aber nur in ihrem Bekenntnis zur Mehrdeutigkeit verstanden sein. „Take This Waltz“ sagt, dass wer gewinnt, verliert. Und dass wer verliert, auch gewinnt. Dass es nicht um das Mehr geht, sondern um das Andere. Und dass dieses Andere im Wesen ähnlich, ja, scheinbar identisch sein kann, weil man sich selber so unrettbar ähnlich bleibt. Als Plädoyer für das eine oder das andere, gar den einen oder den anderen, ist das keineswegs zu verstehen; eher als eines für die Bewegung an sich.

Auszuhalten ist Polleys alterslose Weisheit am ehesten im Tanz. Das kann ein Karussell sein, in dessen Gondel man die Bodenhaftung lustvoll verliert. Oder der von Leonard Cohen gesungene traurigste Wiener Walzer der Welt, der dem Film den Titel gibt. Im Dreivierteltakt lösen sich, während die Kamera durch ein Loft kreist, so groß wie zehn Häuser in Little Portugal und Little Italy zusammen, alle Gewissheiten auf: Zweisamkeit, Zukunft, Vergangenheit. Nur nicht das unkaputtbare menschliche Bedürfnis nach Liebe.

In Berlin in den Kinos Bundesplatz, Cinemaxx, FaF, Kant, Passage; OmU im Central und fsk

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