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Himmel hilf. Der Priester Petar (Nikola Ristanovski) in dem Film „Igla ispod praga“ von Ivan Marinovic.

© Soul Food Films

Sarajevo Film Festival: Gemeinsame Sachen

Was der Krieg auseinanderriss, bringt das Kino zumindest teilweise wieder zusammen: Eindrücke vom 22. Filmfestival in Sarajevo, von Provinzdramen, Stierkämpfen und einem türkischen Triumph.

Als die kroatische Diskuswerferin Sandra Perković bei den Olympischen Spielen von Rio Gold gewann, machte sie nicht nur mit dieser Spitzenleistung Schlagzeilen. Auch ihre Aussage, dass sie die serbische Weitspringerin Ivana Spanović anfeuere, wurde in vielen Balkan-Medien thematisiert. Es war ein schöner Kontrapunkt zu dem gruseligen Beschimpfungs- und Protesttheater, das serbische und kroatische Politiker kurz zuvor rund um den 21. Jahrestag der Krajina-Rückeroberung durch kroatische Truppen aufgeführt hatten.

Olympiasiegerin Perković ging sogar noch weiter: „Wir halten hier alle zusammen“, sagte sie über das Verhältnis der Athletinnen und Athleten aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens bei den Spielen. Scherzhaft fügt sie hinzu, dass die Bosnier zu den Kroaten in Therapie gingen, die Kroaten bei den Slowenen und die Slowenen bei den Serben. „Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen, dadurch sind wir stärker und es herrscht ein positiver Geist“, so die Sportlerin, die noch ein Baby war, als der gewaltsame Zerfall Jugoslawiens begann.

Dass die Menschen der Region noch immer viel verbindet und sie erfolgreich zusammenarbeiten können, zeigt sich seit einigen Jahren auch verstärkt im Filmgeschäft. So waren in der vergangenen Woche auf dem Filmfest von Sarajevo unter den 223 Filmen aus 61 Ländern auffallend viele Koproduktionen aus den einstigen jugoslawischen Republiken. Den Preis für den buntesten Ex-Yu-Mix teilten sich dort die serbisch-bosnisch-montegrinisch-französische Koproduktion „Svi severni gradovi“ von Dane Komljen, das slowenisch-mazedonisch-bosnische Drama „Nočno življenje“ von Damjan Kozole und das serbisch-kroatisch-bosnische Regiedebüt der Schauspielerin Mirjana Karanović mit dem Titel „Dobra žena“.

Eine Frau erfährt, dass ihr Mann im Krieg Zivilisten hingerichtet hat

Die Schauspielerinnen und Schauspieler der Region überspringen schon länger die neuen Ländergrenzen, wobei die mit Kusturica-Filmen bekannt gewordene Mirjana Karanović 2003 die erste Serbin war, die nach dem Krieg in einem kroatischen Film mitspielte („Svjedoci“). Zwei Jahre später übernahm sie die Hauptrolle im bosnischem Bären-Gewinner „Grbavica“ von Jasmila Žbanić . Die Regisseurin aus Sarajevo gehört nun zu den Produzentinnen von Karanovićs erstem eigenen Film, für den die Belgraderin auch das Drehbuch geschrieben hat. Angesiedelt in der Nähe von Belgrad, erzählt sie von der 50-jährigen Milena, die herausfindet, dass ihr Mann im Krieg an der Hinrichtung unbewaffneter Zivilisten beteiligt war. Sie hat ihn nie gefragt, was er in seiner Militärzeit genau gemacht hat, sondern sich auf Kinder und Haushalt konzentriert. Wie diese von Karanović selbst verkörperte titelgebende „gute Frau“ die Erschütterung ihrer heilen Welt verarbeitet, zeigt sie lebensnah und eindringlich.

Obwohl der Film in Sundance Premiere hatte und bereits bei einigen Festivals lief, war die erste Vorführung in Sarajevo für Karanović etwas Besonderes. Als die 3000 Zuschauerinnen und Zuschauer sie im Open Air Kino Metalac mit stehenden Ovationen empfingen, war das einer der berührendsten Augenblicke dieses 22. Sarajevo Film Festivals.

„Ich habe hiervon geträumt“, sagte Karanović sichtlich bewegt und fügte am folgenden Tag bei einem öffentlichen Gespräch hinzu, dass sie verstehe, dass in Serbien die Kriegsverbrechen verdrängt würden. „Aber ich kann da nicht mitmachen“, sagte die in ihrer Heimat von Nationalisten angefeindete Schauspielerin.

Die filmische Verarbeitung der kriegerischen neunziger Jahre hat einen festen Platz auf dem Festival, was diesmal vor allem die Dokumentationen übernahmen. So gewann Tarik Hodžić den Doku-Wettbewerb mit „Scream for me Sarajevo“, einem Porträt der Musikszene im belagerten Sarajevo, wo Iron Maiden- Sänger Bruce Dickinson ein legendäres Konzert gab.

Eine herausragende Dokumentation zeigte der in Linz lebende Siniša Vidović: „Korida“ führt in die jahrhundertalte Tradition der bosnischen Stierkämpfe ein. Es sind große Volksfeste, bei denen es keine Rolle spielt, aus welchem Landesteil die Tiere oder die Zuschauer stammen. Genau wie die Eigentümer der Stiere haben hier alle ähnliche Probleme, die sie bei den Kämpfen für eine Weile vergessen können. „Wir mögen Hinterwäldler sein, aber wenigsten sind wir alle zusammen“, sagt die Bullen-Eigentümerin Renata Prnjaković.

Das Festival bringt die Menschen der Region zusammen

Himmel hilf. Der Priester Petar (Nikola Ristanovski) in dem Film „Igla ispod praga“ von Ivan Marinovic.
Himmel hilf. Der Priester Petar (Nikola Ristanovski) in dem Film „Igla ispod praga“ von Ivan Marinovic.

© Soul Food Films

Auch das Sarajevo Film Festival hat diese Kraft, die Menschen der Region zusammenzubringen – und ein bisschen Glamour auf den roten Teppich vor dem Nationaltheater der bosnischen Hauptstadt. Denn immer wieder schauen hier auch Hollywoodstars vorbei. Morgan Freeman, Angelina Jolie, Michael Fassbender und Benicio Del Toro waren schon zu Gast. Diesmal kam Robert De Niro zur Eröffnung, bei der eine restaurierte Fassung von Scorseses „Taxi Driver“ gezeigt und ihm das „Herz von Sarajevo“ für sein Lebenswerk verliehen wurde. Ein weiteres Ehrenherz bekam der britische Regisseur Stephen Frears, der sein Biopic „Florence Foster Jenkins“ mit Meryl Streep in der Hauptrolle dabei hatte.

Im Spielfilm-Wettbewerb traten diesmal nur acht Filme an, zwei weniger als 2015. Dafür kamen drei außer Konkurrenz gezeigte Werke hinzu. Das Festival, dessen Schwerpunkt auf Produktionen aus Südosteuropa liegt, hatte in diesem Jahr besonders stark damit zu kämpfen, dass viele Regisseurinnen und Regisseure bereits auf Konkurrenz-Festivals eingeladen waren. So hatte die Bulgarin Ralitza Petrova mit ihrem packenden Drama „Godless“ in der Vorwoche schon den Goldenen Leoparden von Locarno gewonnen, als sie in Sarajevo den Spezialpreis der von Regisseur Elia Suleiman geleiteten Jury erhielt. Ihre Hauptdarstellerin Irena Ivanova konnte sich über eine Wiederholung ihres Schweizer Triumphes freuen. Sie wurde auch in Sarajevo zur besten Schauspielerin gekürt, obwohl sie im Hauptberuf eigentlich Dichterin ist.

Petrova drehte „Godless“ auf 35 Millimeter und im 4:3-Format, beides scheint derzeit ein kleines Revival zu haben. Noch zwei weitere Wettbewerbsbeiträge, darunter „Scarred Hearts“, Radu Judes großartige Hommage an den rumänischen Schriftsteller Max Blecher, hatten das fast quadratische Guckkastenformat. Auf klassischem Filmmaterial drehte neben Petrova auch der türkische Regisseur Mehmet Can Mertoğlu, der mit seinem Debütspielfilm „Albüm“ den Hauptpreis des Festivals gewann. Damit ging das „Herz von Sarajevo“ nach Deniz Gamze Ergüvens Vorjahressieg mit „Mustang“ zum zweiten Mal in Folge in die Türkei. Erneut ein gute Entscheidung.

In "Albüm" organisiert ein Paar eine Adoption

„Albüm“ blickt auf einfühlsame und auch witzige Weise auf den sozialen Druck, dem sich ein türkisches Mittelschichtspaar ausgesetzt sieht, das keine eigenen Kinder bekommen kann. Mit hohem Aufwand organisieren die beiden eine Adoption – und ihren Umzug in die Provinz. Denn niemand soll mitbekommen, dass das Baby nicht ihr leibliches Kind ist. Auch ein Album mit gestellten Schwangerschaftsbildern legen die Beamtin und der Lehrer an.

Auf ihrer in ruhigen, langen Einstellungen inszenierten Tour de Force treffen sie immer wieder auf männliche Autoritätspersonen, die hinter wuchtigen Schreibtischen und unter großen Atatürk-Porträts thronen. Bis man mit ihnen zur Sache kommen kann, müssen immer erst private Dinge besprochen oder Pokerpartien am Dienstrechner beendet werden. Ein beeindruckendes Debüt.

Das gilt auch für „Câini – Dogs“ des rumänischen Regisseur Bogdan Mirică. In einer Art Provinzwestern, der weit von den sozialrealistischen Dramen des jüngeren rumänischen Kinos entfernt ist, treffen ein junger Städter, ein Polizist und ein Gangsterboss aufeinander. Das ruhige Sommerdrama hat eine zeitlose Qualität und ist zugleich ein genaues Mentalitätsporträt der Menschen in der wilden Grenzregion zur Ukraine.

Das Motiv Männer vor imposanter Landschaft verbindet „Câini“ mit „Igla ispod praga“ von Ivan Marinović, der seinen Debütspielfilm in seiner montenegrinischen Heimatregion drehte. Er erzählt vom orthodoxen Priester Petar (Nikola Ristanovski), der nach seiner Scheidung in das Dorf zurückgekehrt ist, in dem seine demente Mutter lebt. Seine alten Freunde bedrängen ihn, das Land seiner Familie an einen Investor zu verkaufen. Sie selber planen dasselbe mit ihrem Land – eine große Golfanlage soll entstehen. Marinović hat das als melancholische Komödie angelegt, deren Ton sich angenehm vom Krawall klischeehafter Balkan-Komödien unterscheidet. Sie entstand als montenigrinisch-serbische Koproduktion mit Schauspielern aus Serbien, Kroatien, Montenegro und Mazedonien. Die Männer, die sie verkörpern, sitzen nach ihrem großen Krach alle zusammen an einem Tisch und trinken etwas. Sie werden Freunde bleiben.

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