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Kultur: Saugen statt säugen

In Berlins Sophiensälen beginnt ein Monat der Schwestern: Auftakt mit Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“

Von Sandra Luzina

Feucht glänzt der Lipgloss. Wenn Emily ihren roten Mund zum Kuss öffnet, wer kann da widerstehen? Wenn sie dann zubeißt, ist es um Carmilla geschehen.

Sie wollen saugen, nicht säugen. Sie wollen begehren, nicht gebären. Sie sind lüsterne Vampirinnen. Elfriede Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“ weist keinen Ausweg aus dem feministischen Dilemma. Doch das Stück zeigt eine lockende Versuchung – so sieht es jedenfalls das junge Regie-Duo Daniela Kranz und Jenke Nordalm, seit der Produktion „Giftmörderinnen“ auf unangepasste Weiblichkeit spezialisiert.

Ein lustvoller und böser Jelinek-Theaterabend, voller szenischer Fantasie und kluger Ironie. Unbekümmert machen sich die Regisseurinnen über die Textmontage her. „Krankheit oder moderne Frauen“, 1987 entstanden, ist ein Streifzug durch Genres: von Emily Brontës „Sturmhöhe“ über die Vampirklassiker „Dracula“ und „Carmilla“ bis hin zur österreichischen Kronenzeitung.

Die Sophiensäle haben gleich den ganzen März zum Frauenmonat ausgerufen. Zum Auftakt können moderne Frauen sich die Frage stellen: Wie krank sind wir eigentlich? Elfriede Jelinek begreift Krankheit als produktive Verweigerung. Emily und Carmilla entziehen sich ihrer Bestimmung als Geliebte, Hausfrau und Mutter – als Untote eine thematische Obsession der Jelinek. Hier sind es die Frauen, die keinen Ort in einer männlich Ordnung finden und deshalb zu einem Zwischensein verurteilt sind. Das ist schön und schrecklich zugleich. Befreiung und Bedrohung.

Die beiden Männer Heidkliff und Hundekoffer stehen für ein männliches Prinzip. Heidkliff sagt: „Ich bin ein Maß. Ich bin ein Muss“. Er ist Gynäkologe und Zahnarzt: Ihn treibt der Drang, die Frau zu be-greifen, und nur zu gern würde er Emily von einem Frauenleiden kurieren; der blonde Björn-Ole Blunck gibt ihn mit schmierigen Schwarzwaldklinik-Charme. Benno Hundekoffer ist Steuerberater und Inbegriff des Saubermannes. Kim Walterskirchen spielt ihn als dumpfen Samenspender. Den Frauen gehört das Spiel aus Verweigerung und Verführung. Anna Stieblich ist wunderbar komisch als Glucke und Gebärmaschine, geübt ist sie in der weiblichen Kunst, sich für niedlich-nichtig zu erklären: „Ich bin nichts Halbes und nichts Ganzes.“ Und Meriam Abbas spielt ihre lesbische Krankenschwester Emily als grazile Viper, hinreißend aufsässig und köstlich überspannt.

Sabina Nodalm hat den Festsaal in eine Kathedrale verwandelt: Geschlechterjagd zwischen Kirchenbänken. Das lesbische Paar lässt sich auf einem Altar nieder. Dazu ist Sakral-Pop zu hören, die Disco-Version des Vaterunsers und die „Teaches of Peaches“, die Lektionen der Sexpriesterin. Gierig nuckeln Emily und Carmilla an den Blutkonserven, bis die liebestollen Vampirinnen dann der Katzenjammer ergreift. Auch als Untote sind sie vor männlicher Rache nicht sicher: Am Ende drehen die Männer den beiden Frauen mit lauten Knacken den Hals um.

Natürlich ist die Dumpfheit und Brutalität, mit der Jelinek die herschende Geschlechterordnung zeichnet, zum Gruseln. Die Inszenierung aber verzichtet auf verbissene oder verblasene Patriarchatskritik. Stattdessen Polemik und Witz. Sie signalisieren: Bloß nicht still an den Geschlechterverhältnissen leiden, lieber mal wieder kräftig zubeißen!

Sophiensäle, heute und 12.-16. März, 20 Uhr

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