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Kultur: Schachtgestalten

Sie rennt wieder: In „Creep“ muss Franka Potente durch dunkle U-Bahn-Tunnel flüchten

Der Bahnsteig ist menschenleer. Eine Lampe flackert. Die Schritte auf den Fliesen hallen von den leeren Bahnhofswänden wider. Das Schild mit der Aufschrift „Letzte U-Bahn“ erlischt. Dann hört man nur noch das Summen der Neonröhren und den gepressten Atem eines Menschen, der hinter Rollgittern gefangen ist.

U-Bahnen sind unangenehme Orte. Man kennt das aus so ziemlich allen Großstädten. Mit zwanghaft leerem Blick starrt man sein fremdes Gegenüber an, wohl oder übel. Es gibt kein Tageslicht, die Sitze sind aufgeschlitzt und das Sicherheitspersonal ist auch nicht gerade vertrauenerweckend. Die eigentliche Zumutung aber liegt in der klaustrophobischen Situation eines zusammengepferchten, nicht versiegen wollenden Menschenstromes. Was aber, wenn das Gegenteil eintritt, und man sich alleine in den weitverzweigten Tunneln wieder findet, dem vernetzten Gewirr von Kanälen, Luftschächten und Gleistunneln?

Kate wollte eigentlich einen lustigen Abend verbringen. Auf irgendeiner einer Party von geschniegelten Galerie-, Werbe- oder Medienfuzzis hat sie die Nacht begonnen, in einem jener aufgekratzten Etablissements, wo gegelte Wichtigtuer ihre Sinne aus Champagnerflöten und zusammengerollten Geldscheinen betäuben. Kate ist eine von ihnen, eine Studentin, die den Dancefloor gegen die öden Hörsäle vertauscht hat. Nichts aber ist schlimmer, als auf der falschen Party zu tanzen, und als das Gerücht die Runde machte, dass der Filmstar George Clooney an einem anderen Ende der Stadt feiert, war Kate in die U-Bahn gestürzt. Wie sie díe Abfahrt im Bahnhof verschlafen konnte, weiß sie selbst nicht mehr, vermutlich lag es am Sekt.

In dem Film „Creep“ hat Franka Potente nichts zu Lachen. Die spröde deutsche Schönheit, die bei ihrem jüngsten Ausflug nach Hollywood im zweiten Teil des Achtzigerjahre-Remakes „Bourne Identity“ nach wenigen Filmminuten als Wasserleiche enden musste, macht da weiter, wo ihre Starkarriere mit „Lola rennt“ einst begann: Franka muss wieder rennen. Denn im Netz einer der tiefsten und bedrückendsten U-Bahnen der Welt, in der Londoner tube wohnt noch etwas anderes, das dem ersehnten George Clooney nur wenig ähnelt. Bald zieht sich eine Blutspur über die gefliesten Wände und Kate/Franka ist auf der Flucht vor einem namenlosen Schrecken, der sich irgendwo, tief unter der glitzernden Oberfläche der Großstadt eingenistet hat.

„Creep“ knüpft scheinbar nahtlos dort an, wo in den Siebziger- und Achtzigerjahren B-Movies ein ganzes Genre begründeten: beim Horror. Während Gruselfilme mit der Angst vor dem Unbekannten spielten, dass meist unsichtbar blieb und bei fantasiebegabten Menschen dadurch um so schrecklicher wirkte (wie etwa 1963 in Robert Wises Meisterwerk „Wenn das Blut gefriert“), sah der Horrorfilm ganz genau hin. Filme wie Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974), John Carpenters „The Fog – Nebel des Grauens“ (1980) oder Steven Spielbergs „Poltergeist“ (1982) und die zahlreichen B- und C-Movies der Splatter- oder Slasherfilme ließen das Blut nur so spritzen.

„Creep“, dessen erste Hälfte noch Grusel ist, will dieses Genre beerben. Spätestens nachdem das schwer beschreibliche Geschöpf (Sean Harris), das in der Londoner U-Bahn seine Opfer sadistisch und viehisch abschlachtet, zu sehen ist, bezieht der Film seinen Schrecken aus immer neuen Grässlichkeiten. Kaum glaubt man, gemeinsam mit Kate das Schlimmste überstanden zu haben, spritzt schon wieder neues Blut und drohen noch schrecklichere Qualen in der Dunkelheit nasskalter Schächte, auch eine schwer erträgliche Folterszene ist dabei.

Einzige Hilfe in diesem Albtraum sind Kate die Ausgestoßenen, die sie vorher verachtete: Obdachlose (Paul Rattray) und Junkies (Kelly Scott). Und auch das Monster selbst, so befiehlt ein Gesetz des Genres, entpuppt sich als Opfer der Gesellschaft, das nun furchtbare Rache für ertragenes Unrecht übt. So würdigte Charles Nodier 1830 in der „Revue de Paris“ die Literatur der Fantastik: „Fiktion tritt dort in Erscheinung, wo die Herrschaft der vereinbarten Wahrheiten aufhört, die dem verbrauchten Mechanismus der Gesellschaft ein Restchen Seele verleiht.“ Und sei es auch nur die Ahnung, dass im Unterbauch der Zivilisation andere Gesetze herrschen.

Am Ende ihres Horrortrips wird sich denn auch die arrogante Szene-Zicke Kate verändert haben. Ihre Statussymbole, Kreditkarte und Designertäschchen, hat sie verloren und auch die Fassade aus Einbildung und Ignoranz wird gründlich dekonstruiert. Wie einen Negativabdruck des Oberirdischen fängt denn auch die Kamera (Danny Cohen) die beklemmende Leere in gehetzten Irrfahrten ein. „Creep“ fügt dem Genre des U- Bahnthrillers, das von Joseph Sargents „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ (1974) bis Baek Woon-Haks „Tube“ (2003) reicht, eine besonders düstere Note hinzu.

Ob aber das ironiefreie Aufwärmen eines Genres, das heute allenfalls in hartgesottenen Spezialistenkreisen seine Anhänger findet, den erhofften Blockbuster-Effekt erzielen wird, ist fraglich. „Creep“ ist solide gemachter Horror, der im Unterschied zu mäßig aufregenden Filmen à la „Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast“ sein Genre bitter ernst nimmt. Am Mainstream dürfte das vorbei gehen.

Nachbemerkung: Man tritt aus dem Kino hinaus auf die Straße. Es ist Nacht geworden. Der U-Bahnsteig ist menschenleer. Eine Lampe flackert. Die Schritte hallen von den Bahnhofswänden wieder, Neonröhren summen. Auf der Anzeigetafel steht „Letzte U-Bahn“. Wenn Sie aus diesem Film kommen – nehmen Sie bitte ein Taxi.

Ab 10. März in 15 Berliner Kinos.

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