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Kultur: Schächten: Ein Testfall für die Leitkultur?

Es kann eng werden für die Leitkultur. Das Bundesverwaltungsgericht muss an diesem Donnerstag darüber befinden, ob gläubige Moslems zum jährlichen Opferfest Tiere schächten dürfen.

Es kann eng werden für die Leitkultur. Das Bundesverwaltungsgericht muss an diesem Donnerstag darüber befinden, ob gläubige Moslems zum jährlichen Opferfest Tiere schächten dürfen. Diese Art der Schlachtung, das Ausblutenlassen bei Bewusstsein des Tieres, ist in Deutschland verboten - einerseits. Andererseits reklamieren viele Moslems und Juden das Schächten als notwendig, um ihren Glauben leben zu können.

Mehr noch als in den Debatten um Kopftücher und Religionsunterricht zeigt sich bei diesem Thema, wie es um Glaubensfreiheit und Toleranz im säkularisierten Deutschland wirklich bestellt ist. Der Staat hob bislang die Bedürfnisse des Tierschutzes in den Vordergrund. Das Schächten könnte jetzt zu einem Testfall werden. Denn auch wenn es vor Gericht um die verfassungsrechtlich verbürgte Glaubensfreiheit geht: Schächten bedeutet Ernährung - und gehört schon deshalb zum Kernbereich menschlicher Kultur.

Urteile darüber sind besonders heikel. Das deutsche Schächtverbot hat keine glückliche Tradition. In den 20er Jahren gab es darum heftigen Streit, aber keine Einigung. Wer wollte, durfte schächten. Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, wurde umgehend das "Erste Deutsche Tierschutzgesetz" in Kraft gesetzt. Es verbot diese Schlachtform rigoros, doch schlimmer noch war: Hitler zog daran einen großen Teil seiner antijüdischen Propaganda auf.

Auch nach Gründung der Bundesrepublik hielt man an dem Verbot fest, versah es aber, Gebot wieder erwachender Toleranz, mit einer unkomplizierten Ausnahme. Für das Schächten eines Tieres genügte eine einfache Anzeige bei der Behörde. Dabei blieb es jedoch nicht. Tierschützer forderten erfolgreich, die Ausnahmen einzuschränken. Das Tierschutzgesetz knüpft sie in seiner aktuellen Form deshalb an hohe Hürden. Warmblütige Tiere müssen vor dem Schlachten betäubt werden, es sei denn, "zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft" verlangen das Schächten, oder diese "zwingenden Vorschriften" untersagen den Genuss nicht geschächteter Tiere. Diese Erfordernisse bringen Behörden und Gerichte ins Schwimmen. Denn wer legt fest, was eine "Religionsgemeinschaft" ist und was sie "zwingend vorschreibt"? Meist christlich-abendländisch geprägte Beamte. Das passt nicht recht zur "weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates", die sich das Grundgesetz einmal vorgestellt hat.

Auch die "Islamische Religionsgemeinschaft Hessen" (IRH) scheiterte an diesem Konflikt - zunächst. Sie wollte anlässlich des Opferfests ein Schaf schächten lassen, fachgerecht, auf einem Biohof. Die Lebensmittelüberwachung lehnte dies ab. Vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt gab es dann im Herbst vergangenen Jahres eine Überraschung. Das Gericht erkannte nicht nur den moslemischen Zusammenschluss problemlos als "Religionsgemeinschaft" an, es enthielt sich sogar jeden Kommentars zu religiösen Fragen. Das gipfelte in dem in deutschen Urteilen selten gelesenen Satz: "Diese Wertung des Fiqh-Rates durch eine für verbindlich erklärte Fatwa ist vom Gericht nicht zu überprüfen". Gemeint war die Feststellung einer moslemischen Kommission, das zum Opferfest das Schächten gehört.

Die Behörde war ganz und gar nicht dieser Ansicht und legte Revision ein, deren Ergebnis heute verkündet werden soll. Ihr Argument: "Die Pflicht, Schlachttiere zu betäuben, steht nicht im Widerspruch zu allgemeinen islamischen Glaubensvorschriften." Damit sind die Schleusen geöffnet für eine lebhafte Debatte um den Pluralismus der islamischen Religion und die Glaubensfreiheit des Grundgesetzes. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Tierschutz dabei unter die Räder kommt. Zwar sind Tiere "Mitgeschöpfe" des Menschen - sie haben aber, anders als der Glaube, keinen Verfassungsrang.

Bislang haben sich die deutschen Gerichte um diese Diskussion gewunden. Auch das Bundesverwaltungsgericht. 1995 entschied es, das Schächtverbot betreffe gar nicht den Glauben, zumindest nicht der Verzehr geschächteten Fleisches. Wörtlich: "Anhänger dieser Religion können sowohl auf Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs als auch auf Fisch oder Fleischimporte ausweichen." So knapp wird es jetzt nicht mehr gehen, zumal der Kläger gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde erhoben hat. Sie ist zwar trotz der vielen Jahre noch immer nicht entschieden. In Karlsruhe könnte aber auch das aktuelle Berliner Verfahren landen. Entweder die IRH erhebt ihrerseits Verfassungsbeschwerde oder das Gericht selbst legt den Fall vor. Dann bestimmen die höchsten deutschen Richter nicht nur vieles in der Politik - sondern sagen auch, wie die Leitkultur auszusehen hat.

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