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Kultur: Schädelspalt

THEATER II Eine simple Holztheke wird zur Bühne und schließlich zum Podest. Wer es da hinaufschafft, ist anerkannt.

THEATER II

Eine simple Holztheke wird zur Bühne und schließlich zum Podest. Wer es da hinaufschafft, ist anerkannt. Das ist Christopher Mahons Ziel, als er zum ersten Mal die Schankstube eines kleinen Dorfes vor den Toren von Castlebar im Nordwesten Irlands betritt. Christopher ist ein Aufschneider, der Sohn eines einfachen Tagelöhners, der hoch hinaus will. Sein Auftauchen durchbricht die Monotonie des kleinen Ortes, er verliebt sich in Margaret, die Tochter des Schankwirtes, und tischt, auf der Holztheke posierend, allen eine faszinierende Geschichte auf: Er habe seinen tyrannischen Vater in Notwehr mit dem Spaten erschlagen. Christopher wird zum Helden des Dorfes. Das Berliner Off-Theater Reißverschluss inszeniert John Millington Synges 1907 uraufgeführte Komödie „Der Held der westlichen Welt“ im Theater Zerbrochene Fenster als Groteske (bis zum 2. September jeweils freitags bis montags um 20 Uhr 30). Immer wieder muss Christopher den vermeintlichen Vatermord zum Vergnügen der Dorfbewohner mit imaginären Spatenhieben nachahmen. Das ist laut und emblematisch. In demselben Stil verschränken die Dörfler ihre Arme miteinander und rotten sich zu sensationslüsternen Grüppchen zusammen. In diesem Lärm droht die menschliche Tragödie des Hochstaplers unterzugehen: Die Zuschauer werden mit Dialogen konfrontiert, die einer barocken Oper entsprungen sein könnten. Allein der schwarze Bühnenhintergrund schluckt diese ans Hysterische grenzenden Sequenzen. Die Schankstube mit der Bar in der Mitte ist das einzige Bild der Inszenierung. Die Schauspieler leisten großen körperlichen Einsatz, bewegen sich wie Aufziehmännchen aneinander vorbei, geben kleine Tanztheatereinlagen oder verwandeln sich in Akrobaten. Wie ein Heiligtum wird die Holztheke umtanzt, und jeder, der versucht, sie zu erklimmen, wird von den anderen zurückgerissen. Am Ende wird sogar Christopher entthront, als sich seine Heldentat als Bluff entpuppt und der angeblich ermordete Vater mit blutüberströmtem Kopf in der Wirtshaustür steht. Sein Schädel ist gespalten und die Dörfler trachten danach, auch Christophers Schädel zu zertrümmern. Christophers angeblicher Vatermord war nichts als eine Kopfgeburt, ein durchdachter Plan, der in den Köpfen der anderen Dorfbewohner Gestalt annahm. So schnell wie „Der Held der westlichen Welt“ von ihren Fantasien Besitz ergriff, verschwindet er wieder. In blaues Licht getaucht bleiben die Dorfbewohner ereignistrunken alleine zurück. Nur ihre Köpfe schauen wie aufgespießt hinter der Holztheke hervor. Claudia Cosmo

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