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Kultur: Scharfe Bilder habe ich nur am Anfang gemacht

Robert Lebeck wollte reisen. Ein Glück, dass er gut fotografieren konnte. Nun zeigt ihn das Willy-Brandt-Haus von einer neuen Seite – in Farbe

Ihre Fotos sind berühmt, zur Zeit in Berlin zu besichtigen und zu kaufen. Gibt es ein Bild, das Sie im Kopf schon gesehen, aber nie fotografiert haben? Das deshalb nicht käuflich ist?

Das gibt es tatsächlich. Ich war 1970 bei einem Großeinsatz in Kassel, einem wichtigen Termin in der OstWest Entspannungspolitik. Willi Stoph, der DDR-Ministerratsvorsitzende, hat dort Willy Brandt getroffen. Gerade hatten mich zwei Redakteure vom „Stern“ gedrängt, ich sollte ihnen meine Filme geben, weil der Kurier nach Hamburg musste. Und da habe ich nicht wie sonst erst aus einer Kamera den Film genommen und den anderen eingesetzt, sondern beide zugleich rausgenommen. Das war ein Fehler. Ich hätte von meinen Prinzipien nicht abweichen sollen. Plötzlich waren beide Kameras leer, als vor meinen Augen Folgendes geschah: Da hing so eine DDR-Fahne, Spalterfahne hieß die, und zwei junge Männer sind die Stange hochgeklettert und haben die Fahne runtergerissen. Bis ich mit dem Filmeinlegen fertig war, wurde der eine schon verhaftet. Das Bild hatte wenigstens niemand anderes, das war der einzige Trost.

Sie trauern dem Moment nach?

Nein, das ist vorbei. Aber von da an ist mir sowas in meinen Träumen immer wieder passiert: Ich verheddere mich, kriege das Objektiv nicht rein oder den Deckel nicht ab.

Es hat Ihnen ja auch nie jemand gezeigt, wie das geht mit dem Fotografieren.

Stimmt, ich bin Autodidakt. Ich sage immer, ich habe alles nur von der Gebrauchsanleitung gelernt.

Von welcher Kamera?

Einer Retina 1A, meine „erste Kamera“. Meine erste Frau hat sie mir 1953 zum Geburtstag geschenkt. Die war so klein und handlich und für mich waren die Ergebnisse … also ich dachte, die wären gut. In der Drogerie habe ich Abzüge machen lassen, sechs mal neun mit Büttenrand. Völlig verkehrt für eine Zeitung. Als ich sah, was das kostete bin ich gleich zur Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg. Da sollte erstmal Geld reinkommen. Die Redaktion hat mich recht mitleidig angeguckt. Das nächste Mal hatte ich Abzüge im 13-mal-18-Format dabei, schwarzweiß, hochglanz und keinen Büttenrand. Da war der Bann gebrochen, die Bilder wurden gedruckt. Für die ersten habe ich acht Mark pro Foto bekommen, ausgegeben hatte ich 48 Mark.

So konnte es nicht weitergehen.

Doch. Ich arbeitete nebenbei im amerikanischen Hauptquartier. Als Oberaufseher der Putzfrauen. 350 Mark, glaube ich.

Ihre Bilder sehen oft aus, als hätten Sie sich nie für einen Beruf, sondern für einen Lebensstil entschieden?

Genau. Mir war egal, welchen Beruf ich habe. Hauptsache ich kann reisen. Das war das Ziel. Ich wollte Abenteuer erleben. Dann konnte ich mich nicht einmal mehr zum Essen verabreden. Ständig kam ein Auftrag dazwischen.

Und eines Tages war Schluss?

Ich habe den Übergang vom Fotoreporter zum Rentner geschafft durch Sammeln. Zwölf Jahre habe ich mich mit Zeitschriften beschäftigt, in Frankreich, wo ich wohnte.

Sie konnten Ihre Augen schlecht pensionieren. Die haben doch weiter Bilder gesehen?

Ja, das ist so. 666 Abbildungen, 2000 Seiten habe ich bei dem Versuch abfotografiert, eine „Geschichte der Fotoreportage“ zu schreiben. Aber ich bin nicht gut im Reproduzieren. Da müsste man viel exakter vorgehen. Ich hatte in Frankreich nur eine Ecke in einem alten Kuhstall und ein Reprogerät, das konnte man nicht rauf und runter schieben. Meine Frau hat mühsam das Gerät gerade gestellt. Wir haben es nur zusammen hingekriegt. Und dann haben wir den Preis bekommen für das weltbeste Fotobuch 2002, so eine richtige Oscar-Verleihung vom International Center of Photography in New York.

Hat sich denn ihr Blick auf Bilder über die Jahre verändert?

Oh ja, letztes Jahr habe ich ein paar Fotos gemacht von Berlin. Mit der Digitalkamera von meiner Frau. Die sind in dem neuen Farbband „Unverschämtes Glück“ zum ersten Mal veröffentlicht. Da bin ich im oberen Busdeck gefahren und habe gemerkt, dass man damit sehr schöne Bilder machen kann. Unschärfe und Pixel waren plötzlich eine künstlerische Verfremdung, die mir Freude machte. (Zeigt verwaschene Bilder von den Nordischen Botschaften, die Busspur von oben, Regen auf der Scheibe.) Scharfe Bilder habe ich nur am Anfang noch gemacht.

Das ist völlig anders, als die Bilder, die man von Ihnen kennt.

Ich war mal gegen alles, was nicht journalistisch war. Experimente habe ich verabscheut. Ich war absolut korrekt: nicht so viel inszenieren und nachhelfen und immer fair und objektiv bleiben. Ich war sogar dagegen, die Kamera schief zu halten wie Rodschenko es tat. Aber ich kann machen was ich will. Ich bin nicht mehr im Auftrag einer Redaktion unterwegs. Ich war ja fest angestellter Fotoreporter einer Illustrierten, bei „Revue“ oder „Kristall“, dann beim „Stern“. Die haben mich immer gut bezahlt und mich verwöhnt, indem sie mir die besten Aufträge gaben. Es durfte auch immer das teuerste Hotel sein und wir flogen wenn nicht Erster, dann Business-Klasse. Es war paradiesisch. Da konnte ich doch niemanden enttäuschen. Fand ich. Ich fühlte mich immer als Diener meiner Herren. Es fiel mir ja auch leicht. Ich wusste genau, was eine Illustrierte haben will, ich habe wie ein Chronist gearbeitet. Das passte gut zusammen. Wir haben voneinander profitiert.

Sie haben für ein Jahr die Seiten gewechselt und waren bei Geo für die Optik zuständig.

Ich war gerade 50 und dachte, da müsste man sesshaft werden, ein guter Schreibtischjob sei begehrenswert. Dann musste ich ständig Aufträge vergeben und wäre am liebsten selber gefahren. Ich fühlte mich ein bisschen überflüssig. Max Scheler, mein Stellvertreter, hat mir die ganze Arbeit abgenommen. Das einzige, was er nicht mochte, war Entscheidungen treffen. Das viel mir leicht: „Das machen wir, das bringen wir, immer große Strecken, 20 Seiten und soundsoviel Geld sind wir bereit zu zahlen.“

Sie waren unterfordert?

Man fing erst um zehn an, da hat die Sekretärin aus der Kantine das Frühstück geholt, dann war Mittag, da hat man jemanden in der Osteria gleich nebenan zum Essen eingeladen. Dann ist man um drei aus dem Restaurant gekommen und um fünf war dann wieder Schluss. Es war zu leicht.

Was halten Sie für Ihr wichtigstes Bild?

Die zwei Bilder, die am meisten gedruckt werden, sind ganz gut. Auf einem wird dem König Baudouin von Belgien der Säbel gestohlen. Auf dem anderen trauert Jackie Kennedy mit ihrer Schwester am Sarg von JFK. Das Jackie-Foto ist besser komponiert. Das Säbelbild war ein Wunder, aber es war gegen die untergehende Sonne aufgenommen.

Muss man dreist sein als Fotograf?

Man kommt auch ohne aus. Aber wenn ich gute Bilder sah, bin ich ausgerastet. Da konnte ich nicht für mich garantieren. Im Allgemeinen mache ich bei Widerständen einen Umweg. Das habe ich in den letzten Kriegstagen gelernt. Wenn die Russen uns überholt hatten, mussten wir sehen, dass wir einen Bogen schlugen. Wir waren eine Batterie von Flaks, zwischen Stettin und Schwerin, die gegen Panzer eingesetzt wurden. Nur zwei waren heil davongekommen, ein Leutnant und ich. Ich habe auch gar nichts mehr gehört. Ein Inferno. Um den Russen zu entkommen, musste man sich etwas einfallen lassen. Das war so eine Art Ausbildung zum Fotoreporter.

Das Gespräch führte Deike Diening

„Unverschämtes Glück“, Robert Lebecks Farbfotografien sind im Willy-Brandt-Haus bis 18. Mai zu sehen; die Galerie Camera Works zeigt seine Schwarzweiß-Bilder bis 17. April.

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