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Kultur: „Scharping war als Entschleunigungssymbol nicht mehr zeitgemäß“

Die Entlassung von Bundesverteidigungsminister Scharping ist das Ende eines langen politischen Dramas. War der Schlussakt eine gelungene Inszenierung?

Die Entlassung von Bundesverteidigungsminister Scharping ist das Ende eines langen politischen Dramas. War der Schlussakt eine gelungene Inszenierung?

Das war keine Inszenierung, sondern schlimmer: eine Tragödie.

Wessen Tragödie?

Scharpings Tragödie, ausgelöst durch die ästhetische Lesart seiner Körperhaltung. Runtergezogene Mundwinkel, steife Haltung, hochgezogene Augenbrauen: In den Jahrmillionen der Evolution haben die Menschen gelernt, eine derartige Physiognomie sofort als feindlich zu interpretieren und darauf – Distanzwaffen gibt es noch nicht lange – mit Weglaufen zu reagieren. Scharping mit seiner Ladestock-Wirbelhaltung passt genau in diese Interpretationslinie.

Er hat gesagt, er verlasse sein Amt „mit erhobenem Haupt und geradem Rückgrat“.

Leider wird ihm das aber nicht als Aufrichtigkeit, sondern als Naivität ausgelegt. Scharping hat das große Pech, von Natur aus in ein Körperschema zu passen, das den Leuten einen Rückschluss auf seine Wesensart nahe gelegt, die gar nicht zutrifft. Deswegen wurde er ständig mit herablassenden Kommentaren bis hin zu beleidigendem Mitleid konfrontiert, die ihn umso mehr herausgefordert haben. Auf das hämische Lächeln der Genossen reagierte er mit der Inszenierung der Badefotos.

Verhedderte sich der Minister mit der Korrektur seines Images immer weiter in sein Ungeschick?

Die Hänseleien waren eine Herausforderung für ihn, zu zeigen, wie vital und jugendlich er sei. Was kann emotionaler sein als eine Liebesbindung, wo kann das Körperschema stärker aufgebrochen werden! Er springt im Wasser hoch, reißt die Hände empor. Das war umso schädlicher, weil die Auffassung der Leute von seinem Wesen nun überhaupt nicht mehr mit seiner Erscheinung übereinzustimmen schien. Das ist tragisch, weil ein Mensch ja nur begrenzt etwas für sein Körperproportionsschema kann, die Breite der Schultern zu der Hüfte, die Länge des Halses, die Form des Kopfes und so weiter.

Scharping war also von vornherein ungeeignet für das Amt eines Spitzenpolitikers?

Er hatte keine Chance. In den siebziger Jahren, wo die linken Softies herrschten, wollte man lernen, äußerliche Körperschemata hintanzustellen. Es gab Einheitssandalen, Einheitsfrisuren, Unisexgebaren. Da konnte Scharping Karriere machen. In den Achtzigern begann mit den Yuppies eine neue Zuordnung von Wesen und Erscheinung, eine neue Härte wurde verlangt. Scharping kam in Schwierigkeiten.

Scharpings Problem war auch seine Langsamkeit.

Er fällt in das Zeitalter der Entdeckung der Langsamkeit, ein Generaltitel, der ausgehend von Nadolnys Roman, überall durchgesetzt wurde. Man huldigte der Entschleunigung des Lebens. In der Wirtschaft wird aber genau das Gegenteil gefordert: schnelle Entscheidung, Dynamik, Bedenkenlosigkeit. Scharping war als Entschleunigungssymbol nicht mehr zeitgemäß. Dabei hat er in der 99er Kriegskampagne fantastisch funktioniert, alle staunten. Seine Langsamkeit war ein Vorteil. Bevor er dumme Entscheidungen hätte treffen können, war die Entwicklung schon wieder weiter. Indem er nichts tat, lag er immer richtig.

Das Gegenmodell zu Scharping ist Schröder. Die Erklärung, in der er den Ministerwechsel verkündete, dauerte genau 39 Sekunden.

Der Kanzler war so schnell, weil er es vermeiden wollte, Begründungen zu geben. Er konnte auch keine geben, die Kampagne vom „Stern“ reicht nicht aus. So wird aus der Affäre ein Königsdrama wie von Shakespeare. Mit einem Bühnenbild wie aus einer Peymann-Inszenierung: im Hintergrund kosmisches Blau, durchsetzt mit roten Malewitsch-Quadraten. Dann der Auftritt, von rechts bis zum Mikrofon, das leicht axial verschoben ist, damit die Dynamik unterstreicht und die Kameras schwenken lässt. In straffem Schritt auf die Bühne in die Bildmitte, freies Sprechen, allerdings unter Hinweis auf einen Zettel, der das Beschlussprotokoll darstellt.

Das Urteil.

Der Kanzler fantasiert also nicht, es ist unabdingbar, was dort steht, aber er muss es nicht wie ein subalterner Gerichtsdiener vorlesen, er ist selbst der oberste Richter. Knappe, klare Sätze, so aufgebaut, dass jeder Zuhörer erkennt, es geht hier um etwas Höheres, Schicksalhaftes. Dann der Abgang, ohne dass das Volk, der Plebs, jemanden zur Rechtfertigung zwingen kann. Wenn der Herrscher seine Entscheidungen vor dem Volk diskutierte, wäre er lächerlich.

Statt über Wirtschaftskonzepte wird jetzt im Wahlkampf erst einmal über Hosenrechnungen gestritten. Kann sich die Opposition die Hände reiben über die Affäre?

Nein. Stoiber entspricht spiegelverkehrt exakt der Scharping-Figur. Er ist genauso hölzern, unbeholfen, verliert schnell die Übersicht. Wenn die CDU/CSU nicht aufpasst, droht Stoiber Scharpings Schicksal: die ständige Fehllesung seines Körperschemas.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

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