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Kultur: Schatten der neuen Weltordnung

Der Irak-Krieg trifft nicht nur den Nahen Osten. Er zielt auch auf die westliche Gesellschaft /Von Slavoj Zizek

Das einzige gute Argument für einen Krieg gegen den Irak lautet: Die Mehrheit der Iraker sind Opfer von Saddam Hussein, sie sind froh, wenn sie ihn los werden. Er bedeutet eine solche Katastrophe für sein Land, dass eine amerikanische Besatzung für die Irakis allemal bessere Aussichten verspricht. Dabei ist keine Rede davon, „die westliche Demokratie in den Irak zu bringen“, es geht schlicht darum, den Alptraum namens Saddam loszuwerden. In den Augen der meisten Iraker können die Bedenken westlicher Liberaler nur zutiefst heuchlerisch erscheinen. Spielt für die denn überhaupt eine Rolle, was das irakische Volk empfindet?

Ich erinnere mich, dass Linke aus dem Westen in den frühen neunziger Jahren auf dieselbe Weise eingebildet krähten: „Jugoslawien existiert noch.“ Mich bezichtigten sie damals des Verrats an der einzigartigen Chance, mit Milosevic Jugoslawien zu erhalten. Meine Antwort war, dass ich noch nicht reif sei, ein Leben zu führen, das die Träume westlicher Liberaler nicht enttäuscht.

Es gibt kaum etwas Ideologischeres als ein westlicher Akademiker, der in seiner Arroganz einen Osteuropäer aus einem ehemals kommunistischen Land verkennt (oder noch schlimmer: versteht): einen, der sich nach der westlichen, liberalen Demokratie und nach ein paar Konsumgütern sehnt.

Trotzdem macht man es sich zu leicht, wenn man aus dieser Erkenntnis nun folgert, dass die Iraker in ihrem innersten Inneren wie wir sind und auch dasselbe wollen wie wir. Als ob wir die Leute nur von den ihnen auferlegten Zwängen befreien müssten – und schon teilen sie unsere politischen Träume. Kein Wunder, dass ein amerikanischer Politiker den Begriff der „kapitalistischen Revolution“ verwendete, um zu beschreiben, wie die Amerikaner ihre Revolution jetzt in alle Welt exportieren. Früher hielten sie nur den Feind in Schach, jetzt legen sie eine aggressivere Haltung an den Tag. Wie seinerzeit die untergegangene Sowjetunion sind es jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika, die unterschwellig die Weltrevolution herbeiführen wollen. Kürzlich erklärte George W. Bush: „Die Freiheit, die wir meinen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sondern Gottes Geschenk an die Menschheit.“ In der Tat, und wie der Zufall es will, sind die USA Gottes Prophet.

Amerikas Rolle im 21. Jahrhundert

Aber auch der abstrakte Pazifismus ist eine intellektuelle Dummheit und moralisch falsch. Gegen eine Bedrohung muss man sich wehren. Wie gesagt, Saddams Sturz wäre eine Erleichterung für die große Mehrheit des irakischen Volks, und deshalb hat jeder Protest gegen den Krieg auch etwas Verlogenes. Dennoch sind der Einmarsch und die Besetzung Iraks falsch, weil sie von den Falschen betrieben werden. Die Frage von Krieg und Frieden greift zu kurz. Es geht vielmehr um das diffuse Gefühl, dass etwas mit diesem Krieg schrecklich falsch läuft und dass sich etwas mit ihm unwiderruflich verändert.

Jacques Lacan hat einmal bemerkt, dass selbst dann, wenn alles stimmt, was ein eifersüchtiger Ehemann über seine untreue Frau behauptet, die Eifersucht noch immer ein pathologischer Fall bleibe. Das gleiche trifft heute für die Behauptung zu, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besitzt. Selbst wenn das stimmt (und vieles spricht dafür), steckt doch viel Falschheit in dieser Behauptung, wenn man den in Betracht zieht, der sie aufstellt. Jeder weiß, dass es in diesem Krieg um mehr geht als um Massenvernichtungswaffen. Und um mehr als Öl. William Kristol und Lawrence F. Kaplan schreiben in ihrem aktuellen Buch „The War Over Iraq“, dass es bei dieser Besetzung sogar um mehr geht „als um die Zukunft des Mittleren Ostens und den Krieg gegen den internationalen Terrorismus. Es geht um die Rolle, die Amerika im 21. Jahrhundert zu spielen beabsichtigt“.

Die Zukunft der internationalen Gemeinschaft steht auf dem Spiel. Die neuen Regeln werden bestimmen, wie die neue Weltordnung aussieht. Wir befinden uns inmitten einer stillen Revolution; nicht nur das Völkerrecht, auch die ungeschriebenen Gesetze der internationalen Politik werden sich ändern. Washington schilt den deutschen Bundeskanzler, einen demokratisch gewählten Führer, für seinen Widerstand gegen den IrakKrieg, obwohl er von der Mehrheit der Deutschen unterstützt wird. In der Türkei sind nach Umfragen 94 Prozent der Bevölkerung dagegen, dass US Truppen von ihrem Territorium aus diesen Krieg führen. Wo bleibt da in Washington der Respekt für die Demokratie? Diejenigen, die sich als globale Verteidiger der Demokratie aufführen, unterlaufen und schwächen in Wahrheit die Demokratie.

Man muss daran erinnern, dass das irakische Regime völlig säkular und nationalistisch ist, ohne Nähe zum populistischen islamischen Fundamentalismus. Saddam benützt die panarabischen Gefühle der Muslime nur zum Schein. Seine Karriere zeigt klar, dass er ein pragmatischer Machtpolitiker ist, der Allianzen wechselt, wenn es seinen Zwecken dient – erst im Iran-Krieg, als es ihm um die Ölfelder des Nachbarn ging, ebenso beim Überfall auf Kuwait, als er die anderen arabischen Staaten im Bündnis mit den USA gegen sich aufbrachte. Saddam ist kein vom Satan besessener Fundamentalist, der die Welt in die Luft jagen würde. Eine amerikanische Besetzung des Iraks allerdings könnte dort eine reale fundamentalistische Muslim-Bewegung zur Folge haben, verbündet mit anderen islamischen Staaten.

Folter für Terroristen?

Die Okkupation eines großen arabischen Kernlandes durch Amerika: Wie sollte das nicht weltweit Hass erzeugen? Man kann sich nur zu gut die Tausenden Jugendlichen vorstellen, die dann davon träumen, Selbstmordattentäter zu werden – und wie das die US-Regierung bestärken könnte, eine Art permanenten Ausnahmezustand zu verhängen. An diesem Punkt aber ist man leicht paranoid dazu verführt, sich die Frage zu stellen: Was, wenn die Leute um Bush genau das wissen und dieser „Kollateralschaden“ das wahre Ziel der ganzen Aktion ist? Was hieße es, wenn sich der Krieg gegen den Terror in Wahrheit auch gegen die amerikanische Gesellschaft richtet – um sie nach allen emanzipatorischen Exzessen der letzten dreißig, vierzig Jahre wieder zu disziplinieren?

Am 5. März sahen wir im Fernsehen das Foto des kurz zuvor gefassten Scheich Khalid Mohammed, des dritten Manns der Al Qaida. Ein Durchschnittsgesicht, jemand in einer schlafanzugähnlichen Sträflingskleidung, ein paar Blutergüsse, Hinweise schon auf erste Torturen. Moderator Pat Buchanans flotte Stimme fragte im amerikanischen Sender NBC: „Sollte dieser Mann, der alle Namen und alle Details künftiger Terrorpläne gegen die USA kennt, gefoltert werden, damit wir das von ihm erfahren?“ Das Erschreckende dabei war, dass das Foto bereits die Antwort suggerierte. Kein Wunder auch, dass die Antwort anderer Kommentatoren und Zuschauer ein überwältigendes „Ja!“ war.

Der Vorgang kommt dem sehr nahe, was Orwell einst in seinem Zukunftsroman „1984“ als „Hass-Sitzungen“ imaginiert hatte, auf denen den Bürgern Fotos der Verräter gezeigt wurden, um diese mit Buhrufen niederzuschreien. Und die Geschichte ging noch weiter: Ein Kommentator des amerikanischen Nachrichtensenders Fox forderte, dass wir mit dem in Pakistan Gefangenen alles tun dürfen, was wir wollen – ihm den Schlaf entziehen, seine Finger brechen und so weiter – denn er sei „ein Stück menschlicher Abfall ohne jegliche Rechte“. Dass solche öffentlichen Äußerungen bei uns heute möglich sind, ist die eigentliche Katastrophe.

Deshalb sollte man sich nicht mehr auf Nebenkriegsschauplätzen verkämpfen, bei Debatten darüber, wie verdammenswert Saddam ist, was die Kosten des Krieges sein werden, nicht einmal darüber, wie gut (oder schlecht) die Invasion im Irak vorangeht. Der Fokus für uns müsste vielmehr sein, was tatsächlich in unserer eigenen Kultur vorgeht, welche Art von Gesellschaft sich als Ergebnis des „Kriegs gegen den Terror“ entwickelt. Denn das entscheidende Ergebnis dieses Krieges wird eine Veränderung unseres politischen Systems sein.

Der Philosoph Slavoj Zizek lebt in Slowenien und den USA. Zuletzt veröffentlichte er u.a. „Der zweite Tod der Oper“ (Kulturverlag Kadmos). – Aus dem Englischen von Peter von Becker und Christiane Peitz.

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