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Kultur: Schattenmann

Das System Putin: ein Berliner Symposium

Wladimir Putin verbrachte ein angenehmes Wochenende in Berlin. Er plauderte mit Freund Gerhard Schröder und unterzeichnete den Vertrag über eine Gaspipeline durch die Ostsee. Auf dem Symposium des Literaturfestivals in der Heinrich-Böll-Stiftung und im Haus der Berliner Festspiele, das sich ihm unter dem Titel „Das System Putin“ widmete, erschien er nicht – es hätte ihm auch die Laune verdorben. Dass der Schriftsteller Viktor Jerofejew ihn eine „Arbeitsmaschine“ nannte, war noch eine der freundlicheren Bemerkungen.

Der „lupenreine Demokrat“, für den ihn der Kanzler hält, ist für fürchterliche Taten verantwortlich. Der Genozid an den Tschetschenen, das Massaker in der Schule von Beslan und der fragwürdige Prozess gegen den Oligarchen Michail Chodorkowski sind nur die Spitze des Eisbergs namens Kreml-Regime. Jerofejew attestierte dem ehemaligen KGB-Agenten Putin eine erstaunliche Fähigkeit zum Verschwinden. Und was werden nicht alles, da man seiner nicht habhaft wird, für Vergleiche gezogen: Milosevic, Pinochet. Swetlana Ganuschkina hingegen, die unermüdliche Vorsitzende von Memorial Moskau, sah in Putin einen kleinen Jungen, der plötzlich auf einem Podium aufwachte. Von Verzauberung sprach auch Alexander Ryklin: Natürlich sei Putin religiös, sagte der Journalist, sonst könne man nicht als Mensch einschlafen und als Zar aufwachen.

Doch steuert der Schillernde auch ein „System“, das seinen Namen zu tragen verdient? Auf Boris Jelzins sieben Bankbarone, so der Osteuropa-Experte Hans- Henning Schröder, folgten Oligarchen von Putins Gnaden. Inzwischen gebe es Anzeichen, dass sich jetzt die Gefolgsleute aus den Geheimdiensten und der Petersburger Zeit bedienten: Der 24- jährige Sohn eines Ministers sei Vorsitzender der Außenhandelsbank geworden, von einem glänzenden Diplom sei nichts bekannt. Putins Machtausübung scheint sich in einer für deutsche Beobachter unfassbaren Unsichtbarkeit zu vollziehen. Für Lila Schewzowa vom Moskauer staatlichen Institut für internationale Beziehungen ist der Kreml ein „Schlangennest“ mit liberalen Technokraten, die bis zur Wahl 2008 überwintern wollen, und so genannten „Waffenträgern“, Putins Vertrauten aus den Geheimdiensten. Der Kreml habe Sturmtruppen, wie es sie im Berlin der Dreißigerjahre gab, wird berichtet. Und Ruslan Chasbulatov, von 1991 von 1993 Präsident des Parlaments und ein Gegenspieler Jelzins, schilderte Russland als eine Mischung aus asiatischer Despotie und europäischer Fassade: Die demokratischen Institutionen seien vorhanden, doch selbst die Kommunisten hätten die Hälfte ihrer Duma-Sitze an Oligarchen verkauft.

Und dann der Bürgerkrieg: Die Ermordung von 200000 Tschetschenen, von Apti Bisultanov, dem in Berlin lebenden Dichter und Mitarbeiter des umgebrachten tschetschenischen Präsidenten Maschadow, erregt beklagt, treibt den Widerstand zum Terror. „Leichengeruch verbreitet sich in Russland“, sagte Ganuschkina. Dennoch hat Putin Freunde wie Gerhard Schröder. Robert Amsterdam, der kanadische Verteidiger von Chodorkowski, kritisierte das Schweigen des Kanzlers zum „Staatsdiebstahl“ am Energiekonzern Jukos. Eine „Schande für Deutschland“ sei die Gaspipeline, die Krzeminski als Affront für Polen und die baltischen Länder wertete: Schröder kündige „neoimperial“ die gemeinsame EU- Ostpolitik auf, die während der orangenen Revolution in Kiew möglich war. Freilich zeige die Ukraine, so Piontkowski, wie wertvoll Putins Wahlgeschenke seien.

Jörg Plath

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