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Mit der Hochbahn nach Kamerun. So stellt sich eine Postkarte von 1905 das Hallesche Tor der Zukunft vor.

© Sammlung Peter Weiss

Schau im Bröhan-Museum: Zukunftsfantasien der Vergangenheit

Berlin liegt am Meer, das Essen kommt aus Automaten: Das Charlottenburger Bröhan-Museum zeigt Utopien aus der Zeit um 1900.

Der Briefträger schwirrt mit Fledermausflügeln durch die Luft, die Hochbahn fährt direkt nach Kamerun und Sommerfrischler schweben im Zeppelin zum Grunewald. So stellt eine Postkarte aus dem Jahr 1905 Berlin in der Zukunft dar. Sie ist zu sehen in der Kabinettausstellung „Reaching Out for the Future“ des Bröhan-Museums (Schlossstr. 1 a, bis 27. Oktober). Dort ist zu sehen, wie die Menschen vor hundert Jahren ihre Zukunft – also unsere Gegenwart – imaginiert haben. Besucher können prüfen, ob sich die Hoffnungen und Ängste von damals bewahrheitet haben. Vieles erscheint vertraut, manches realisiert.

Der große Sehnsuchtsraum für eine abenteuerliche Zukunft lag damals schon im Weltraum. Konkretes Ziel von Science-Fiction-Autoren und Regisseuren war der Mond. Als einer der Ersten inszenierte Georges Méliès 1902 augenzwinkernd die Reise zum Erdtrabanten. Berühmt wurde die Szene, in der die Rakete im Mondgesicht stecken bleibt. Später hat Martin Scorsese dem Filmpionier in seinem nostalgischen Märchen „Hugo Cabret“ ein Denkmal gesetzt.

Tollkühne Gedankenspiele und echte Erfindungen

Auch den Countdown, wie wir ihn aus Cape Canaveral kennen, hat ursprünglich der Film erfunden. Spannungsspezialist Fritz Lang zählte genüsslich langsam von 60 bis 0 zurück, ehe seine Rakete in „Die Frau im Mond“ startet. Das Buch stammte von Thea von Harbou, beraten ließ sich Fritz Lang von dem damaligen Raumfahrtspezialisten Hermann Oberth, der als begeisterter Leser der Bücher von Jules Verne zu seiner Profession gefunden hatte. Gemeinsam mit Kollege Rudolf Nebel entwickelte er eine zwei Meter lange Rakete, die zur Premiere des Films abgeschossen werden sollte, aber aus technischen Gründen auf dem Boden blieb.

In den Zukunftsfantasien der Vergangenheit überschneiden sich tollkühne Gedankenspiele und echte Erfindungen. Angestoßen wurden die Ideen schon damals von einem Gefühl der Bedrohung. So fürchtete man 1910, dass mit dem Erscheinen des Halley’schen Kometen die Erde untergehe. Postkarten wurden gedruckt, als Grüße vor dem Ende der Welt. Sie zeugen von der Lust am Spektakel der Apokalypse und dem realen Bangen. Als die Erde weiterhin existierte, änderte sich die Nachricht auf den Karten. „Weltuntergang verschoben“, hieß es ganz pragmatisch.

Neben Film und Literatur sind in dieser Ausstellung die Postkarten das beliebteste Medium zur Verbreitung von Zukunftsfantasien. Selbst Analphabeten konnten die Botschaften der vergnüglichen Collagen verstehen. Besonders hübsch erscheint heute die Vorstellung von Berlin als Lagunenstadt. Wie in Venedig sind Brandenburger Tor, Pariser Platz und Unter den Linden geflutet. Menschen paddeln in Booten an der Quadriga vorbei. Von Tretrollern keine Spur.

Ob man in hundert Jahren noch weiß, was ein Fahrrad ist?

Vertraut wirken die Sorgen um die Ernährung der Weltbevölkerung. Rettung versprach vor 100 Jahren der Stickstoffdünger. Auf einer Postkarte säbelt die Familie an einer Riesenkartoffel. Und in den Restaurants hielt die Selbstbedienung Einzug. In Berlin eröffnete 1896 das erste Automatenrestaurant im üppigen Jugendstildekor. So richtig passten das feudale Ambiente und das frugale Angebot wohl nicht zueinander. Besuchern waren die von Geisterhand belegten Brote jedenfalls bald zu teuer. All diese Details hat der Kurator Nils Martin Müller zusammengetragen. Die Ausstellung aus der Blackbox-Serie stellt nur den energetischen Kern eines größeren Projektes dar, mit dem das Museum im Stadtraum Präsenz zeigen will. Besucher können in einem zweiten Raum auf den Spuren von Neil Armstrong wandeln und sich selbst in einer Greenbox auf den Mond beamen. Die Postkarte, die dabei entsteht, lässt sich heute bequem per QR-Code digital vervielfältigen.

Noch lustiger aber ist die Idee, mit dem Lastenfahrrad in die Bezirke auszuschwärmen und Berliner nach ihren Zukunftsvisionen zu befragen. Die Antworten sollen zuerst im Museum gezeigt und dann archiviert werden. Sie liefern den Stoff für eine weitere Ausstellung in hundert Jahren – als Flaschenpost an nächste Generationen. Ob man dann noch weiß, was ein Fahrrad ist?

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