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Hellwach. Der gebürtige Hamburger Jerry Hoffmann, Jahrgang 1989, spielt sonst am Gorki-Theater.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schauspieler Jerry Hoffmann: Deutsch ist keine Farbe

Jerry Hoffmann spielt in Dietrich Brüggemanns Neonazisatire „Heil“ einen Schwarzen, der rechte Thesen klopft. Eine Begegnung.

Als Jerry Hoffmann vom Kaffeebestellen zum Interview an den Tisch im Gorkipark zurückkehrt, sagt er nach einer kurzen Pause so unaufgeregt und freundlich, wie es seine Art ist: „Eigentlich nervt das auch. Immer wieder darüber zu reden.“ Seit einer halben Stunde kreist das Gespräch nun fast ausschließlich um seine Hautfarbe. Mal wieder. Statt um seine Rolle geht es um die Erfahrungen, die man als schwarzer Mensch hierzulande so macht. Um zweifelhafte Angebote, Ausgrenzung und Rassismus. Auf der anderen Seite schränkt Hoffmann selbst ein: „Es ist ja auch wichtig, darüber zu reden.“ Und er habe, lächelt er, „dazu ja einiges zu erzählen“

Keine Frage, das hat er. Und das nicht nur, weil der gebürtige Hamburger, Jahrgang 1989, schon seine Diplomarbeit an der UdK über schwarze deutsche Schauspieler geschrieben hat. Auch die Figur, die Hoffmann jetzt in dem Film „Heil“ von Dietrich Brüggemann verkörpert, ist nicht denkbar in Weiß. Weil die Geschichte dann nur halb so komisch wäre.

Jerry Hoffmann spielt Sebastian Klein, einen Journalisten und Integrationsautor, der ein Buch mit dem vieldeutig schillernden Titel „Das braungebrannte Land“ geschrieben hat. Ein wichtiges Werk, davon ist Hoffmann überzeugt. Er hat zur Vorbereitung auf den Part tatsächlich zehn Seiten verfasst und findet, dieser Essay über den Status quo der leider kein bisschen farbenblinden deutschen Gesellschaft müsste mal dringend von jemandem in voller Länge zu Papier gebracht werden.

Im Film brät ihm ein Neonazi eins mit der Keule über

Klein jedenfalls wird zu einer Lesung in das fiktive brandenburgische No-Go-Kaff Prittwitz eingeladen, wo ihm bald nach der Ankunft ein tumber Neonazi mit der Baseballkeule eins überbrät. Der Autor büßt daraufhin komplett sein Gedächtnis ein und lässt sich als nachplappernder naiver Kindskopf von einem Rechtsextremisten mit besten Kontakten zum Verfassungsschutz (Benno Fürmann) als Zugpferd einspannen. Fortan sitzt der schwarze Intellektuelle in den Talkrunden und verbreitet xenophobe „Das Boot ist voll“-Thesen. Petry Heil!

Der Film ist eine grelle, schnelle und sarkastische Satire, die am Ende einen Panzer über die polnische Grenze brettern lässt, die skandalöse NSU-Pegida-AfD-Gemengelage hochnimmt und einen Blick auf unser Land wirft, der sich in den Zeilen des Abspannsongs „Splitter von Granaten“ der Band Adam Angst ziemlich pointiert wiederfindet: „Der Hunger in der Dritten Welt hat keine Relevanz / Aber wichtig sind uns Petitionen gegen Markus Lanz. Asylbewerberheime sind doch sicher, alles klar / 43 Anschläge, und das in einem Jahr.“

Jerry Hoffmann und Regisseur Dietrich Brüggemann sind schon seit vielen Jahren befreundet. Vor allem teilen sie in „Heil“ einen Humor, den der Schauspieler als „nicht gerade typisch deutsch, eher Richtung ,Monty Python‘“ ziemlich gut beschreibt. Kennengelernt haben sich die beiden 2010 auf der Berlinale, wo Hoffmann, damals 19, mit seinem Debütfilm „Shahada“ von Burhan Qurbani zu Gast war. Und sich nach der gefeierten Welturaufführung von einem Produzenten das Lob anhören durfte: „Großartig gespielt. Und gut für Ihre Karriere, dass Sie nicht ganz schwarz sind.“ Der Kulturbetrieb ist eben auch nicht weiter im Denken als der Rest der Gesellschaft.

Der strukturelle Rassismus ist das Problem

Erst jüngst, als „Heil“ auf dem Filmfest in München lief, wurde Hoffmann von einer älteren bayerischen Filmschaffenden, wohlgemerkt nach Ansicht des Films, mit den Worten begrüßt: „It is very nice to have you here on the Filmfest!“ Hoffmann entgegnete: „It is very nice to be here, but I think English is not a common language in Bavaria?“ Das Problem sind am Ende des Tages weniger die Neonazideppen, die ihre brandenburgische Dorfdisco ausländerfrei halten wollen. Es ist dieser gutbürgerlich verwurzelte, strukturelle Rassismus, den wir einfach nicht überwinden. Und der nicht nur in Hoffmanns Alltag, sondern auch in seiner Arbeit immer wieder Thema ist.

Wie in dem Stück „Ich rufe meine Brüder“ von Jonas Hassan Khemiri, das er in der Regie von Michael Ronen am Ballhaus Naunynstraße gespielt hat. Ein Text über die Paranoia, die den Westen in seiner Furcht vor dem Terror und dem Fremden ergriffen hat. Was zu einem forcierten „Racial Profiling“ führt, das auch in „Heil“ karikiert wird. War Hoffmanns Idee.

„Seit einigen Jahren werde ich regelmäßig auf Flughäfen am Zoll aus der Schlange von 150 Leuten gezogen“, erzählt er. „Ich mache dann die Beamten darauf aufmerksam, dass sie nach Hautfarbe selektieren, was sie natürlich abstreiten. Ich würde kontrolliert, weil ich allein unterwegs und ein Mann sei. Woraufhin ich dann entgegne, das sei obendrein auch noch Sexismus.“

Hoffmann ist keiner, der mit den Zuständen hadert. Vielmehr spricht er über seine privilegierte Position als gefragter Schauspieler in einem reichen Land. Über „kleine Diamanten“ des gesellschaftlichen Fortschritts, in der Kultur und im Film, die man hochhalten müsse. Er hat auch nicht prinzipiell ein Problem damit, dass er bestimmte Angebote bekommt, weil er schwarz ist. „Wahrnehmung funktioniert generell erst mal über Vereinfachung und Kategorisierung“, sagt er. Und fügt hinzu: „Auch das blonde Mädchen unterliegt Klischees.“ Problematisch wird es für ihn erst dort, wo diese Zerrbilder reproduziert werden. Wo ihm mal wieder der unterkomplexe, verarmte Flüchtling angeboten wird. Schauspielerei, findet Hoffmann, ist auch ein Bildungsauftrag.

Mit wachem Verstand schreibt er sich in die Rollen ein

Anfänglich hat er gezögert, ob er als Ensemblemitglied mit Shermin Langhoff ans Gorki-Theater gehen soll – ausgerechnet das postmigrantische Theater, wo Herkunft so oder so eine Hauptrolle spielt? Aber die Tatsache, „dass es dort Respekt und politisches Bewusstsein gibt“, wie man es anderswo lange suchen könnte, hat ihn seinem Instinkt folgen lassen. Zum Glück. Hoffmann ist auf der Bühne großartig, weil er sich nicht darum bemüht, Rollen zu erfüllen. Sondern weil er sich mit Persönlichkeit und wachem Verstand in die Parts einschreibt.

Wie jüngst in Yael Ronens Stückentwicklung über Recht und Gerechtigkeit „Das Kohlhaas-Prinzip“ zu sehen, für die er sich eingehend mit Asylrecht auseinandergesetzt hat. Oder in der Farce „Seid nett zu Mr. Sloane“ von Joe Orton, in die er Passagen über schwarzes Empowerment der Soziologin Grada Kilomba eingebracht hat, Professorin an der Humboldt-Universität.

Ein Ansatz von Kilomba: Es braucht schwarze Vorbilder in Deutschland. In den USA gibt es die viel selbstverständlicher, mit Schauspielern wie Will Smith, Denzel Washington, Morgan Freeman. Oder eben Barack Obama, dem Jerry Hoffmann ähnelt, wie viele finden. Passiert nicht selten, dass ihn in Berlin jemand auf der Straße anspricht: „Hey, you look like Obama!“ Er entgegnet dann: „That’s nice. Und ich spreche übrigens auch Deutsch.“

„Heil“ startet Donnerstag in den Kinos.

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