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Schauspielhaus Leipzig: ''Besser als heute ging es uns nie!''

Optimist schon in der DDR: Intendant Wolfgang Engel nimmt Abschied vom Schauspiel Leipzig. Für das (ost)deutsche Theater ist das wahrlich eine Zäsur.

Das Büro eines Chefs, schon fast ausgeräumt. Neben letzten Terminplänen hängt am Pinnbord hinterm Schreibtisch nur noch ein schwarzer Hut. Ein Chaplinhut, eine schwarze Melone, etwas für Komödianten und Tramps.

Hier in Sachsen. Das Wort „Ära“ wird ja, wenn es irgendwo einen Wechsel gibt, inflationär missbraucht. Aber wenn der Leipziger Schauspielintendant Wolfgang Engel heute Abend mit einem Theaterfest nach 13 Jahren Abschied nimmt, ist das fürs (ost)deutsche Theater wahrlich eine Zäsur. Ein Abgang in Ären. Auch unsächsisch ausgesprochen.

Wolfgang Engel, der am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, seinen 18. Geburtstag beging und so in jeder Hinsicht volljährig wurde, stammt aus Schwerin, redet hochdeutsch, empfindet sich aber längst als „Mecklenburger Sachse“. Und das reicht über Leipzig hinaus. Reicht auch über den normalen Theaterbetrieb hinaus. Weil dieser gelernte Bühnenarbeiter, Schauspieler und Regisseur in der Spätzeit der DDR zum Mitwirkenden der jüngeren deutschen Geschichte wurde. Daran erinnert auch die Melone am Wandbrett.

Hier freilich ist eine historische Rückblende fällig. In den achtziger Jahren, als die DDR wankte, aber noch war, hieß es auch im Westen: Fahrt nach Sachsen, ins Theater! Aber nach Dresden, nicht nach Leipzig (wo noch ein ZK-Mitglied Intendant war). In Dresden inszenierte ein gewisser Engel, war Hausregisseur am Staatschauspiel, und nicht nur Heiner Müller versprach dem westdeutschen Kritiker: „Der bewegt was in Dresden, da passiert schon was...“

Zwei Jahre vor der Wende war die Bühne jenes Staatsschauspiels eine Art Zirkusmanege, und plötzlich flogen von links und rechts zwei Clownshüte auf die noch leere Szene, zwei schwarze Melonen. Das waren die Kopfbedeckungen von Wladimir und Estragon, und so begann, nicht in Ostberlin, sondern an der Elbe die DDR-Erstaufführung von „Warten auf Godot“. Das Jahrhundertstück des im Realen Sozialismus als westlich dekadent, absurd und zersetzend erachteten Herrn Beckett. Statt 800 Zuschauern drängten über tausend ins Theater, die Vorstellung konnte erst verspätet anfangen, und als das Premierenpublikum bereits eine Zensur in letzter Minute befürchtete, rief der Regisseur Engel den Zuschauern entgegen: „Jetzt haben wir 35 Jahre auf das Stück gewartet, nun sollten wir noch eine Viertelstunde ertragen!“

Damals trug Engel einen Pferdeschwanz und rote russische Hosenträger mit der Aufschrift „Perestroika“ über dem mächtigen Leib. Heute, als scheidender Intendant, ist er schlanker und trägt elegantes dunkles Tuch, die Haare sind kurz und noch dicht, und so richtig ergraut ist nur der Schnauzbart. Engel, demnächst 65, geht freiwillig und wirkt so aufgeräumt wie sein Büro. „Nein, für den Abschiedsschmerz habe ich keine Zeit, und ich war immer schon Optimist, auch in der DDR.“ Zwar musste er 40 werden, um erstmals für eine Gastregie jenseits der Mauer in den Westen zu reisen, „aber ich wollte nie abhauen“.

Das sagt ein Mann, der zehn Jahre in Dresden bis zur Wende zu den mutigsten und bis heute zu den integersten Theaterleuten des Landes zählt. „Ich bin gegen jede Verklärung der DDR. Das war eine Diktatur, und jetzt haben wir, trotz aller notwendiger Kritik, das beste Deutschland, das es in der Geschichte je gab. In Ostdeutschland sind freilich die Jungen meine Hoffnung, wir Älteren sind alle durch die Diktatur, auch wenn wir dagegen waren, im Inneren versehrt. Nach 40 Jahren DDR braucht es 40 Jahre, bis wir eine wirkliche gesamtdeutsche Demokratie haben. Wir Älteren müssen erst weg sein, erst tot sein!“

Das sagt der Optimist. Ein freundlicher, humorvoller Herr – der dennoch nicht den Habitus eines Intellektuellen hat. Eher den eines vernünftigen Handwerkers: der nicht in jeder Inszenierung auch ein großer, aber immer ein verantwortungsvoller Künstler ist. Vor seiner Selbstverwirklichung als Regisseur kommt für Engel „das Ensemble, das Publikum, das Stück“. Und: „Ich habe die jungen Stückezertrümmerer als Intendant natürlich zugelassen. Nur, ich selber möchte mit den Schauspielern noch immer eine Geschichte erzählen.“ Er will mehr als ein schnelllebiges Patchwork liefern: „Ich glaube, auch wenn das lange verpönt war, dass das Theater auch etwas mit Bildung und mit Aufklärung zu tun haben sollte. Heute notwendiger denn je!“

Engel meint damit nicht flache, feste Botschaften. Seine besten Inszenierungen, die in West und Ost gezeigten Hebbelschen „Nibelungen“ aus den Dresdener Achtzigern oder sein zum Berliner Theatertreffen eingeladener Wiener „Titus Andronicus“ von Shakespeare, zeigten ihn als Regisseur, der in blutig düsteren Dramen mit genauester Innenbeleuchtung das überzeitgeistig Treffende erkundete. „Damals in Dresden wollten wir eigentlich Heiner Müllers ,Germania Tod’ spielen. Das wurde verboten. Deshalb haben wir die deutschen Motive von Nibelungentreue, romantisierter Gewalt und Endkampfwahn in der schon spürbaren Endzeit der DDR bei Hebbel gefunden. Ich möchte sowas aber immer nur aus den alten Stücken herauslesen. Nicht krampfhaft aktualisierend in sie hineinpressen.“

In Leipzig, nach 13 Jahren und etwa einer Million Zuschauern, liefen nun bis zum heutigen Finale nochmals Engels späte große Aufführungen: sein „Wallenstein“, die „Orestie“, der „Kaufmann von Venedig“ und zum Schluss, gleichsam als Satyrspiel, Michail Bulgakows „Molière oder Die Verschwörung der Heuchler“. Aus Bulgakows Spätstück, das ihm 1936 in Moskau nur nach einer überraschenden Intervention Stalins, dem der Autor einen Bittbrief geschrieben hatte, für kurze Zeit aufzuführen erlaubt wurde, lässt sich im Verhältnis Molières zum Sonnenkönig Ludwig XIV. unschwer die Beziehung auch eines modernen Künstlers zu einem absolutistischen oder diktatorischen Staat herauslesen. Bulgakow führt am Beispiel von Molières letztem Kampf um seinen gegen religiöse Heuchelei geschriebenen „Tartuffe“ sehr kühn – weil unter Stalins Augen – auch die Kirche als Staat im Staate vor, mit Geheimdienst, Folter, Spitzeln.

Das wird im Leipziger Schauspiel bei den naheliegenden Anspielungen so dankbar wie kenntnisreich belacht. Es ist, zum Abschied, eine Komödie, von einem guten, nicht unbedingt glänzenden Ensemble als kräftige Burleske gespielt und bejubelt. Die Engel-Ära hat zuvor auch die jüngeren Regisseure Michael Thalheimer, Karin Henkel oder Armin Petras gezeigt oder den Aufstieg von Spielern wie Constanze Becker und Peter Kurth, die inzwischen in Berlin oder Hamburg gefeiert werden. Engels Nachfolger Sebastian Hartmann erhält ab Herbst einen aufgebesserten Etat (Engel: „Wir hatten in Leipzig weniger als das Theater Mannheim“), und der bisherige Patron arbeitet wieder frei. Er bleibt in Leipzig wohnen, doch als erstes inszeniert er in Düsseldorf im Februar 2009 als Uraufführung John von Düffels Dramatisierung des über tausendseitigen mythisch-biblischen „Joseph“-Romans von Thomas Mann. Ein Stoff für einen optimistischen Skeptiker.

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