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Schiesser, Opel und andere Marken: So reich an Bedeutung wie Proust oder Shakespeare

Opel, Schiesser und das Heimatgefühl: Michael Rutschky über Unverwechselbarkeit - eine kleine Geschichte des Markenprodukts.

Opel im Überlebenskampf, Schiesser desgleichen – da kommt man auf die Geschichten, welche die Konsumenten mit solchen Markennamen verknüpfen; Geschichten, nicht weniger reich an Bedeutung als solche mit Namen wie Proust oder Shakespeare. Inzwischen weiß man, dass das sogenannte Branding, der unverwechselbar bedeutungsvolle Markenname, in der Literatur- und Kunstgeschichte erfunden wurde.

Womöglich trug er Schiesser-Unterwäsche, der Jüngling, der einmal in den Sommerferien sämtliche Werke Shakespeares hintereinander weg las, und vielleicht war es derselbe Sommer, da er das erste Mal alle Kleidung vor den Augen eines Mädchens ablegte – Schiesser Feinripp kommt in vielen satirisch-sentimentalen Erinnerungen an das frühe Liebesleben vor. „Das war die Zeit vor den scharfen Slips, vor den Boxershorts.“

Und Opel? Sie bewunderten ihn kaum, sie verachteten ihn fast, den Buckelwal, wenn einer auf den Marktplatz der kleinen Stadt einbog, die Jungs, die dort auf die Autos lauerten, die noch so spärlich eintrafen, dass man jedes einzeln inspizieren konnte. Nicht Opel, Ford war es, was die neue Zeit eröffnete, der Taunus in der Ponton-Form. Ich sehe ihn vor mir, wie wir ihn bestaunten da auf dem Marktplatz; könnte man an Erinnerungsbildern riechen, es käme zu dem bekannten Madeleine-Erlebnis.

Auf Opel gingen die Wünsche der Jungs auch dann nicht, als der Kapitän in Ponton-Form herauskam – dann lieber gleich ein Mercedes. Die Klasseunterschiede sorgten dafür, dass unsereins dann sowieso Landesverrat beging und für Citroën schwärmte, die unerreichbare Déesse, den niedlichen 2 CV, mit dem die Liebste unbedingt in die Provence reisen wollte während der Semesterferien. Opel war ein Downer; neulich brachte der junge Kollege M. seine Abstiegsängste auf den Punkt: „Dann muss ich mir halt einen Astra kaufen.“ Das wäre schlimmer als ein Dacia – dem ja Wagemut und Abenteuerlust anhaften und den die neuesten Werbespots ebenso ironisch wie effektiv in unsere linksradikale Ikonografie verweben.

So gering die Jungs auf dem Marktplatz den Opel auch achteten, als herauskam, dass er einer amerikanischen Firma, General Motors, gehört, kam es zu so etwas wie einem patriotischen Schock. Er zeigt an, dass die Markennamen mit der Nationalgeschichte, mit dem Nationalgefühl zusammenhängen.

Der jungen Bundesrepublik – als der Ford Taunus in Ponton-Form auf dem Marktplatz stand – ging Nationalheroisches bekanntlich in großem Maße ab, um das Mindeste zu sagen. Doch Namen wie Adam Opel oder Carl Benz schienen den Schlamassel unbeschadet zu überstehen, die Geschichte der Technik und der industriellen Produktion trennten sich ab von der politischen Geschichte. Made in Germany! Heinrich Nordhoff, erinnern Sie sich an Heinrich Nordhoff? Das war der Mann, unter dem VW in Wolfsburg seinen grandiosen Aufschwung feierte. Und läuft und läuft und läuft. Nachdem das Projekt als eine von des Führers Lieblingsideen auf dem Kehrichthaufen der Geschichte seine endgültige Ablagerung hätte finden sollen. Wir sind wieder wer, prahlte der Wirtschaftsminister Erhard. VW bewies es.

Diesen einzelnen Nationalgeschichten des Erfolgs gesellten sich aber immer wieder solche des Scheiterns zu. Carl Borgward! Der geniale Bastler, der die unaufhaltsam expandierende Gemeinde der Autofahrer mit seiner schönen Isabella beglückte – die Unterklasse aber mit dem „Leukoplastbomber“, den Kleinwagen der Marke Lloyd. Unvergesslich, wie ich eines Wintermorgens auf dem Schulweg den Lloyd des jungen H., heißer SartreLeser und im Export/Import tätig, kopfüber im Graben liegend fand. Tatsächlich, das Auto ähnelte am Bauch eher einem Möbelstück als einem umgestürzten Kraftwagen (wozu passt, dass der junge H. unverletzt geblieben und das Autochen intakt war). Im familiären Umkreis befand sich niemand, der eine Isabella gefahren hätte. Aber viele junge Männer erörterten fachmännisch-mitleidsvoll, weshalb die Schöne vor allem eine schöne Kranke sei (sie musste andauernd in die Werkstatt). 1961 war Borgward am Ende, und wenn ich die Erörterungen der jungen Männer von damals richtig erinnere, folgten sie einem bekannten Topos: Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst, und ein Vermögen kann man damit keinesfalls machen. Wäre die Isabella ein Verkaufserfolg geworden, irgendwie hätte sie damit die Idee ihrer Schönheit verraten.

Während die Karrieren von Borgward und VW aus dem Dritten Reich herüberstrebten, war die von Max Grundig, wenn ich mich richtig erinnere, eine restlos bundesdeutsche, an der damals die jungen Männer einlässlich erörterten, wie das Wirtschaftswunder Aufstieg ebenso wie Fall ermöglichte. Obwohl Grundigs Elektrogeräte so viele Haushalte technisch auf den neuesten Stand brachten und ein Erfolg waren, ging er bankrott. Und dann Willy Schlecker … Kulturgeschichtlich gesehen, trugen diese Zusammenbrüche womöglich zu einem Lernprozess bei: Krieg ist etwas grundsätzlich anderes als Markt. Stalingrad hat man, oder man hat es verloren; die Kräfte auf dem Auto- oder dem Radiomarkt hingegen gruppieren sich immer wieder neu, ohne dass es endgültig zu Sieg oder Niederlage kommt. Dieser Lernprozess verlieh den Erörterungen der jungen Männer damals solche Ernsthaftigkeit und Tiefe.

Wie an Markennamen und -produkten die persönliche und dann die Nationallibido haftet, konnte man prägnant am Untergang der DDR beobachten. Was ihre Bürger als schwache, mangelhafte Kopie westlicher Konsumgüter verachtet hatten, das verwandelte sich seit 1989 in hoch geschätzte Fetische der eigenen Identität (ein Konzept, das die Bürger der ehemaligen DDR zum selben Zeitpunkt, da sie unterging, sich aneigneten, Identität).

Unvergesslich, wie mir die Bibliothekarin F., eine feine, gebildete Dame, mit Furor auseinandersetzte, dass ihr Wartburg seinem Wesen wie seiner Erscheinung nach die Idee des Autos perfekt verwirkliche und es so mit jedem Westauto aufnehme. Wie bei unserer schönen, dem Untergang geweihten Isabella erkannte man eine ganze philosophische Tradition am Werk: Von Aristoteles bis Hegel findet man den Gedanken ausgearbeitet, dass Ideen sich in der Geschichte entwickeln und realisieren. Dass in der DDR die Idee des Idealstaats Wirklichkeit zu werden im Begriff stand, davon hatte die Bibliothekarin F. und ihresgleichen sich gerade verabschieden müssen. Blieb die Idee des endgültigen Idealautos. Daran hielt sie zäh fest, ihrem Wartburg.

In dieses Buch der Exempel gehört weiterhin, wie mir die Lehrerin M. circa 1997 erklärte, weshalb sie nur Ostwaren kaufe und konsumiere, Konsumgüter mit den alten Namen, inzwischen längst wieder zu haben, Cabinet und Rotkäppchen und Spee und so weiter. Das sei gewiss der Osttrotz, wie er sich unterdessen ausbreitete, die identitäre Versteifung – das Meisterwerk des Soziologen Jean-Claude Kaufmann, „Die Erfindung des Ich“, erschien erst 2004, so dass ich’s der Lehrerin M. noch nicht empfehlen konnte als Lockerungsübung.

Besonders ergriff mich, wie sie die Nahrungsmittel mit den alten Ostnamen lobte. „Sie schmecken“, sagte sie, „irgendwie natürlicher als die aus dem Westen. Da ist nicht so viel Chemie drin.“

Das war nun alles andere als Aristoteles oder Hegel, das war Rousseau. Statt das Ideal zu verwirklichen, führt uns die Geschichte sukzessive fort von der guten Natur, unwiderruflich – was aber positiv bedeutet, dass die armen und primitiven Konsumgüter der untergegangenen DDR dieser guten Natur unbedingt näher waren als dieser künstlich aufgeschminkte, innerlich verrottete Dekadenzkram aus dem Westen …

Ja, so führt uns die Betrachtung von Markennamen und -produkten tief hinein in die Kultur- und Geistesgeschichte. Dazu braucht es nicht erst die neueste Inszenierung des „Parsifal“ oder eines anderen hohen Kulturguts.

Michael Rutschky

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