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Kultur: Schildkröte

KLASSIK Es hätten noch mehr Menschen glücklich werden können. Jeder frei gebliebene Platz im Konzerthaus - an diesem Abend ein kleiner Trauerfall.

KLASSIK

Es hätten noch mehr Menschen glücklich werden können. Jeder frei gebliebene Platz im Konzerthaus - an diesem Abend ein kleiner Trauerfall. Natürlich, Grigory Sokolov ist kein Marken auf dem internationalen Klaviermarkt, der große Säle von selbst füllt. Während andere auf gigantische Tourneen gehen und funkelnde CDs pressen lassen, ist der St. Petersburger mit dem ungezähmten Grauschopf ein unbeirrbarer Individualist. Und er weiß, wie Unabhängigkeit zu erreichen ist: durch reuelosen Verzicht. Keine Jetset-Dirigenten, keine trägen Traditionsorchester, keine hundertfach geschnittenen Studioaufnahmen. Jene, die Sokolov live hören, werden den Mann, der sich vor dem Klavier in eine riesige träumende Schildkröte verwandelt, feiern. Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Trevor Pinnock musizierte der 52-jährige Russe Beethovens erstes Klavierkonzert mit dieser zauberhaften Leichtigkeit, die nur jene erreichen, die sich mit ganzer Seele des ernsten Spiels verschreiben. Was der Komponist einst für sich erfand, um sein pianistisches Können strahlen zu lassen, verwandelt sich unter Sokolovs Händen zu einem poetischen Universum, in dem kein Ton, keine Phrase gesucht klingt. Wie weit und wie schön diese Welt ist, erzählt er mit nie gehörter Fülle von Details, die den Zuhörer fassungslos glücklich machen. Die Deutsche Kammerphilharmonie blieb Sokolov in puncto Virtuosität nichts schuldig. Das Orchester spielt auf Weltklasseniveau: Wann klangen sechs erste Geiger aufregender und ein Pauker draufgängerischer? Mendelssohns „Schottische“ Sinfonie weitete sich zur fesselnden Reise durch die inneren und äußeren Stürme des Lebens. Ulrich Amling

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