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Schiller-Nationalmuseum Marbach: Am fließenden Band

Treppauf, treppab: eine mustergültige Ausstellung über den Dichter Arno Schmidt in Marbach

Kaum ein anderes Werk ufert so schön aus, wuchert und sprießt und wächst in den Himmel, ist so hermetisch und offen, solipsistisch und anschlussfähig. Kaum ein anderes Nachkriegswerk deutscher Sprache ist auch mit solchem Assoziationsreichtum und solcher Wortgewalt ausgestattet wie das von Arno Schmidt. Und dabei von Kontrollwahn beherrscht. Arno Schmidt war ein leidenschaftlicher Archivar, besessen von Landkarten, Statistiken, Wörter- und Jahrbüchern. Selber zeichnete er detailgenaue Karten realer und fiktiver Landschaften, die er dann als „Wortweltenerbauer“ in literarische Landschaften verwandelte. So findet sich im Nachlass eine Karte von Ahlden an der Aller, dem Schauplatz seines Romans „Das steinerne Herz“, die während einer Reise im Jahr 1954 entstand und nun, neben vielen anderen Objekten, erstmals in einer großen Ausstellung im Marbacher Literaturarchiv zu bestaunen ist.

Staunen provoziert diese Lebens- und Werkdarstellung eines weitab vom Literaturbetrieb vor sich hin arbeitenden Autors tatsächlich. „Arno Schmidt?“ liest man im Eingangsbereich des Nationalmuseums, dort, wo ansonsten der von Schmidt wenig geschätzte Schiller und die anderen schwäbischen Dichter ihren Pantheon haben. Schmidt, der Norddeutsche, ausgerechnet hier? Die Ausstellungsmacher lassen keinen Zweifel aufkommen: „Arno Schmidt? – Allerdings!“ Diese selbstbewusste Überschrift spielt zugleich an auf eine Schmidt’sche Sentenz aus den fünfziger Jahren, als ihm nach der Veröffentlichung seiner „Seelandschaft mit Pocahontas“ wegen Pornografieverdachts und Blasphemie Gefängnis drohte: „Atheist ? – Allerdings !“

Wer in Marbach eine puristische Vitrinenausstellung erwartet, sieht sich getäuscht: Die Arno Schmidt Stiftung, sowohl für Konzeption als auch Finanzierung verantwortlich, bespielt die Räume des Nationalmuseums mit erstaunlicher Großzügigkeit. Es wird exemplarisch vorgeführt, wie Literaturausstellungen präsentiert werden können. Selbst ein literaturferneres Publikum hätte Freude an den vielseitigen Installationen und Wegweisern durch den Schmidt’schen Kosmos. Er wird in einem mitreißenden Wechselspiel von Wort und Bild, Ton und Licht dargestellt. Die Schau verbindet biografische und thematische Aspekte. „Aber als majestätisch fließendes Band kann ich mein Leben nicht fühlen; nicht ich“, heißt es in „Aus dem Leben eines Fauns“. Zu einem fließenden Band wird das Leben tatsächlich erst postum, und im Falle der Marbacher Ausstellung zieht es sich treppauf, treppab durch alle Räume.

Von diesem Hauptstrang gehen Nebenstränge ab, ein Treppenturm und eine Wortinstallationsrotunde von Stefan Matlik, kleinere oder größere Räume, in denen etwa Landschaftsfotografien präsentiert werden, die Schmidt im Umkreis seines Bargfelder Hauses aufnahm. Oder kuriose Exemplare aus der Bibliothek des notorischen Bücherfressers, etliche Jules- Verne-Ausgaben beispielsweise, darunter eine Comic-Version des Romans „Die Eissphinx“. Auch eine „Bravo“ mit Winnetou-Darsteller Pierre Brice liegt aus, Material für Schmidts Studie über Karl May. An allen Ecken und Enden kann man sich in Sesseln niederlassen, wo einem über Lautsprecher Passagen aus Schmidts Werken vorgetragen werden.

In einem Raum, der dem Erotiker Schmidt gewidmet ist, sind in kleine Nischen Bildschirme und Lautsprecher eingelassen: Man muss sich hineinbeugen in diese Abgründe des Sexuellen und lauscht dabei Sätzen wie: „dann klemmte wieder die mächtige Schenkelzange“. Man wird mit den Produktionsmitteln des Autors vertraut gemacht: seinen Schreibmaschinen, zu denen er herzliche Beziehungen unterhielt, und allen möglichen Arbeitsutensilien, natürlich auch den berühmten Zettelkästen, teils zum digitalen Blättern am Bildschirm. Auch Schreibstimulanzien fehlen nicht: ein Reklameschildchen mit drei Sarotti-Mohren zum Beispiel. „Dinge habm ebmsowohl ein Recht wie Person’n“, schreibt Schmidt.

Im Heidedörfchen Bargfeld lebte der Dichter mit seiner Frau Alice seit 1958 bis zu seinem Tod 1979, Störungen und Reisen möglichst vermeidend. Ihm genügte der Blick aus dem Fenster auf die heiß geliebte Landschaft. Wer die Geduld hat, kann diesen Blick über ein Jahr hinweg nachvollziehen – auf einem Bildschirm, gerafft auf fünfeinhalb Stunden und destilliert aus nicht weniger als 32 000 hintereinander geschnittenen Fotografien.

Sehen kann man auf Fotografien auch Schmidt selbst. Auf einer spitzt er hinter einem Wacholderbusch hervor, und der Gesichtsausdruck ist so wie meistens: trocken und sachlich, die „gewohnte neidische Schnute“. Der Blick war einstudiert, aber das Repertoire an Grimassen in Wahrheit größer. Das Verstecken eines – vermeintlich – wahren Ichs und die Selbstinszenierung als Intellektueller mit Kleinbürgeranmutung hatten Methode. In dem Brief „An den Leser“ schreibt Schmidt einmal: „Und versuchen Sie bitte nicht, meine Bekanntschaft zu machen; ich würde Sie äußerlich und auch im Auftreten enttäuschen; das Beste was ich bin und habe, gebe ich Ihnen ohnedies nach mancher Arbeit konzentriert und gereinigt in meinen Büchern: Der Mensch Schmidt ist von diesen nur eine Verwässerung, die Sie sich klug ersparen sollten.“ Für diese Ausstellung gilt das Gegenteil.

Schiller-Nationalmuseum, bis 27. August. Katalog 20 €. Virtueller Rundgang unter www.arno-schmidt-allerdings.de

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