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Karl Friedrich Schinkel: Allegorie auf Wilhelm Beuth, den Pegasus reitend, 1837 (Detail).

© Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

Schinkel und die Gewerbeförderung: Erschüttert und fasziniert

Industriespionage für Preußen – Was Karl Friedrich Schinkel und Wilhelm Beuth in England erlebten.

Im Juli 1826 kommt Karl Friedrich Schinkel auf einer ausgedehnten Reise durch England nach Manchester. Der Anblick der Fabriken entsetzt ihn. „Es macht einen schrecklich unheimlichen Eindruck: ungeheure Baumasse von nur Werkmeistern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis allein und aus rotem Backstein aufgeführt“, notiert er im Tagebuch. Und seiner Frau Susanne schreibt er nach Berlin: „In Manchester sind 400 neue große Fabriken für Baumwollspinnerei entstanden, unter denen mehrere Gebäudeanlagen in der Größe des königlichen Schlosses zu Berlin stehn, Tausende von rauchenden Obelisken der Dampfmaschinen ringsum, deren Höhe 80 bis 180 Fuß allen Eindruck der Kirchtürme zerstört.“

Doch mochte Schinkel auch angesichts des Manchester-Kapitalismus, den er 1826 in seiner rohesten Ausprägung erlebte, erschüttert sein, so war er doch Architekt genug, sich die neuartige Konstruktion und Gestaltung dieser mehrgeschossigen Fabrikanlagen aufzuzeichnen und in seinem späteren Werk fruchtbar zu machen. Ganz sicher ist eines seiner Hauptwerke, die zwischen 1832 und 1836 errichtete Bauakademie am Werderschen Markt, nicht ohne das England-Erlebnis zu denken. Obgleich unendlich feiner ausgeführt und mit reichem Bauschmuck versehen, galt der aus unverputztem Ziegelmauerwerk errichtete Bau in der verständnislosen Öffentlichkeit als „roter Kasten“. Etwas den englischen Fabriken Vergleichbares gab es in ganz Berlin nicht.

Genau das war denn auch der Hauptzweck der Reise. Es war Christian Peter Wilhelm Beuth, der als Direktor der „Technischen Deputation für Handel und Gewerbe“ beim Preußischen Finanzministerium die kleine Reisegesellschaft anführte, und dessen Aufgabe in der Information über alle Bereiche der englischen Produktion lag, bis hin zum Direktimport englischer Maschinen. Der Reise- und Terminplanung Beuths hatte Schinkel zu folgen, obgleich sein eigentliches Reiseziel das im Bau befindliche British Museum in London war, von dessen innerer Organisation er Anregungen für sein am Lustgarten geplantes Museumsgebäude erhoffte, das 1830 eröffnete (Alte) Museum. Beuth und Schinkel waren enge Freunde, und so verstand es sich von selbst, dass er Beuth auf seinem Weg in die nordenglischen Industriereviere begleitete. Beide hatten die „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“ angeregt, eine Vorlagensammlung der „Technischen Deputation“, die dem preußischen Gewerbe als Musterbuch diente und noch Jahrzehnte in Gebrauch war. Schinkel steuerte zahlreiche Entwürfe bei, vor allem solche, die den richtigen Gebrauch antikischer Formen und Motive vorführten, damit in Preußen, das sich dem Freihandel verschrieben hatte, konkurrenzfähige Waren produziert werden konnten.

Eine konkurrenzfähige Industrie besaß Preußen zumal in seinen Stammlanden nicht. Daher die England-Reise, bei der Beuth so manche Fabrik aus Furcht vor Industriespionage verschlossen blieb. Nach der Rückkehr plante Beuth die Erweiterung des bereits 1821 von ihm eingerichteten Gewerbeinstituts in der Klosterstraße. Beuth und Schinkel entwarfen gemeinsam einen für Preußen revolutionären Bau, dessen drei Geschosse von gusseisernen Stützen getragen wurden, während die Fassade zur Klosterstraße, so mächtig sie wirken mochte, durch große Fenster zwischen Mauerwerksstreifen bereits aufgelöst wurde. 1829 war das Haus fertig, in dem künftige Unternehmer auf ihre Selbstständigkeit vorbereitet werden sollten und unter anderem ein reiches Anschauungsmaterial an Maschinenmodellen zum Studium vorfanden.

Beuth wurde im Jahr darauf zusätzlich Direktor der allgemeinen Bauschule. Für sie entwarf Schinkel sogleich einen Neubau, eben die heute unter diesem Namen geläufige Bauakademie. Als frei stehender Kubus ohne eigentliche Hauptfassade, sondern gleichermaßen zum Werderschen Markt wie zum (heutigen) Schinkelplatz ausstrahlend, nahm sie eine städtebaulich herausragende Position ein. Schinkel entwarf sie aufs Sorgfältigste. Vor allem die Terrakotten, die die Türen rahmen, enthalten ein ganzes Bildungsprogramm, das Schinkel den Architekturstudenten der Bauschule auf den Weg geben wollte. Anders als das Gewerbeinstitut tragen keine gusseisernen Stützen die Bauakademie. Ob Schinkel dem neuen Material für ein zugleich derart komplexes wie repräsentatives Gebäude nicht vertraute? Allerdings stand dieses Material in Preußen noch nicht ausreichend zur Verfügung. Sehr modern übrigens war die Einrichtung des Sockelgeschosses mit Ladenlokalen. Schinkel, ganz preußischer Beamter, verwies darauf, dass der Mietzins zur Refinanzierung des für die Erbauung eingesetzten Kapitals dienen solle. In der Tat siedelten sich namhafte Geschäfte an so prominentem Ort an.

Industrielandschaften schienen ihm für Preußen eine Illusion

Zeitgleich entworfen, aber wesentlich früher fertiggestellt wurde der Packhof auf der (heutigen) Museumsinsel – dort, wo heute das Pergamonmuseum steht. Wie der Name sagt, handelte es sich um ein Lagerhaus und Umschlagplatz für Waren, die auf dem Kupfergraben transportiert wurden. Nach heutigen Maßstäben frappiert die Anlage eines solchen Zweckbaus gleich hinter dem Museum und in Sichtweite des Schlosses. Doch war die Spree damals der Hauptweg für den Gütertransport. Kein Zweifel, dass Schinkel hier das Vorbild der mächtigen Lagerhäuser aufgegriffen hat, die er an den Hafenbecken der Londoner Themse kennengelernt und gezeichnet hatte.

Es waren nur wenige Jahre, in denen sich Schinkel mit Zweckbauten im engeren Sinne beschäftigte. Aber er musste erst seine englischen Erfahrungen verarbeiten. Später sprach er dann selbstkritisch vom „Fehler“, ein Bauwerk allein aus seiner Zweckbestimmung und aus der Konstruktion heraus zu entwickeln: „In diesem Falle entstand etwas Trockenes, Starres, das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente, das Historische und das Poetische, ganz ausschloß.“ Diese Elemente aber sind es, die für Schinkel die Architektur in den Rang der Kunst erheben.

1837 widmet Schinkel seinem lebenslangen Freund eine „Allegorie auf Beuth, den Pegasus reitend“. Eine weibliche Gestalt auf dem geflügelten Ross bläst Seifenblasen, unter sich eine Industriestadt mit rauchenden Schloten. Mit Fabriken und Lagerhäusern an einem viel befahrenen Kanal. Genau das hatte Schinkel in England und vor allem in Manchester gesehen; für Preußen – daher die Seifenblasen – schien es ihm eine Illusion. Wenigstens wird er es gehofft haben. Beuth hat die Allegorie genau so verstanden und sah sich als Gründer der „Fabrikstadt“ dargestellt.

Allerdings hat Schinkel den Beginn des Maschinenzeitalters in Berlin – und damit den Erfolg nicht nur, aber auch der Bemühungen Beuths – noch erlebt. 1837 eröffnete Borsigs Maschinenfabrik, 1838 die erste preußische Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam. Es war tragischerweise während einer Eisenbahnfahrt nach Potsdam, dass sich bei Schinkel mit Lähmungserscheinungen der rechten Hand die Erkrankung ankündigte, der er 1841 erliegen sollte. In Potsdam aber baute Schinkel bis zum Schluss in jenem romantisierenden Klassizismus, den seine königlich-prinzlichen Auftraggeber ihm abverlangten. Allen Ausflügen in die Moderne zum Trotz, sah er selbst darin das Ideal seiner Baukunst.

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