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Kultur: Schlachthöfe und Stierkämpfe: Im Labyrinth des Minotaurus

Wir wissen noch nicht, welche Bilder von den brennenden Herden in Großbritannien bleiben werden. Wie empfinden es die Kinder der Farmer, wenn ihre Väter und Mütter das Vieh, das sie fütterten und aufzogen, nach einer hastigen Massenschlachtung auf gigantische Scheiterhaufen werfen?

Von Caroline Fetscher

Wir wissen noch nicht, welche Bilder von den brennenden Herden in Großbritannien bleiben werden. Wie empfinden es die Kinder der Farmer, wenn ihre Väter und Mütter das Vieh, das sie fütterten und aufzogen, nach einer hastigen Massenschlachtung auf gigantische Scheiterhaufen werfen? Was bedeutet es für die Fleischesser, wenn sie auf dem Land oder am Bildschirm Zeugen von dramatischen Farm-Szenen werden? Und wie werden sich die barbarisch, archaisch wirkenden Bilder vom Massenschlachten mit dem Wissen verbinden, dass das Schlachten auch wegen der hochmodernen, Fleisch verarbeitenden Agrarindustrie angeordnet wurde, der ihre eigenen Produkte zum Opfer fallen? Ob Tiere Gefühle haben, fragte der "Spiegel" unlängst. Als sei das erst jetzt die Frage, und als würden die Tiere sonst nicht in Massen geschlachtet.

Aktueller scheint vielmehr die Frage, welches Verhältnis wir - als Bürger, Demokraten, Konsumenten - zu den Tieren haben. Dass sie sich wie jede Kreatur gegen das Geschlachtetwerden wehren, ist keine neue Erkenntnis, selbst für jemanden, der die Schreie von Schweinen nur aus Filmen kennt. Die Bilder der Flammen offenbaren latente Widersprüche, aber ihr mythischer Schein blendet den Blick der Industriegesellschaft auf die Agrartragödie. Dass die in Massen gehaltenen Schafe, Ochsen, Stiere, Kühe und Kälber ohnehin zum Schlachten aufgezogen werden, verdrängen wir beim ungewohnten Anblick der Scheiterhaufen. Dabei geschieht nun im Zeitraffer lediglich das, was dem Vieh ohnehin bestimmt ist: das Einfangen und Festbinden, das Abschlachten und Gefressenwerden.

Die Empörung der Öffentlichkeit gilt dem Tod als sinnlosem Brandopfer und vor allem der kruden Zeremonielosigkeit, mit der das Vieh zuhauf weggefackelt wird. Längst sieht die säkulare Gesellschaft für das Schlachten keine Rituale mehr vor. Unkenntlich verpackt, begegnet das Fleisch den Konsumenten im Supermarkt, "Schlachtfeste" finden sich, wie die biblischen Herden, nur noch in Metaphern. Allenfalls im Schächten oder im koscheren Schlachten streng religiöser Gemeinschaften steckt noch ein Rest des tradierten Respekts beim Umwidmen von lebendem Vieh in Nahrung. Dass die Massentötung von Vieh nun so skandalös wirkt, zeigt, dass unsere säkulare Gesellschaft bislang keine pragmatische, weltliche, würdige Versöhnung mit diesem Teil unseres Konsums gefunden hat. Darum ginge es aber, vorausgesetzt, dass wir nicht alle ideologisierte Ökologen oder Vegetarier werden wollen - die bekanntlich keine "besseren" Zeitgenossen sind oder waren.

Die schottische Autorin Alison Louise Kennedy, unlängst in Deutschland für ihre Erzählung "Gleißendes Glück" gefeiert, hat sich 1999, als in England schon von BSE, aber noch nicht von der jetzt grassierenden Seuche die Rede war, auf die Reise nach Spanien gemacht, um die weltweit berühmteste Art des Tieretötens zu beschreiben: den Stierkampf. In ihrem soeben auf deutsch erschienen Essay betrachtet A. L. Kennedy, auch auf den Spuren von Garcia Lorca und Ernest Hemingway, Mensch, Tier und Tod in der Arena.

"Matar" ist spanisch und bedeutet "töten". Ein Matador ist also einer, der tötet. Aber in der Stierkampf-Arena gilt nicht das einfache Abschlachten. Hier stellt sich ein trainierter Experte dem rituellen Kampf mit einem sprachlosen, animalischen Gegenüber, das acht- bis zehnmal soviel wiegt wie er. Der inszenierte Kampf endet mit dem Tod eines der beiden Kontrahenten; außerhalb Spaniens und Südamerikas ist die Corrida, wie Kennedy schreibt, das "Lieblingskind der politisch Unkorrekten".

Sorgsam, am Anfang fast lexikalisch, protokolliert Kennedy Tier- und Stiermythen, vom kretischen Minotaurus über den Mithraskult bis zur Satanisierung der - sexuell konnotierten - Stiere durch den christlichen Klerus, ehe sie zur Arena kommen, zu deren Fetischen und Symbolen, Tricks und Vermarktungen, zur Eleganz und zum Risiko des Rituals. Sie versteht die Corrida weder als Sport noch als Kunst: "Man könnte auch sagen, dass das Ausmaß an Grausamkeit und Gewalt zwischen der Corrida und der Kunst steht, dass Kunst bestimmte Grenzen der Verletzung und des Schmerzes nicht überschreiten darf, dass Kunst nicht zum Tode führen darf." Kennedy sieht in der Corrida "ein religiöses Ritual im Übergangsstatdium". Es wirkt so verstörend wie erhellend, in Zeiten der technischen Vernichtung von Tiermassen über die künstlichste, ausgeklügeltste Art des Tieretötens zu lesen, die die Menschheit erfunden hat und die in der westeuropäischen Gegenwart immer noch existiert.

Der Matador als Popstar

Kennedy kennt die Tücken ihres Sujets. Wer ist heute fasziniert vom Stierkampf? In den "politisch Unkorrekten", die die Corrida feiern, erkennt sie die Leute, "die sich bei Geschichten über Boxkämpfe mit bloßen Fäusten amüsieren oder sich so etwas sogar ansehen, die Loblieder auf die Jagd singen, aufs Zigarrenrauchen, auf glamouröse Arten des Drogenkomsums". Sie gehören zu denen, "die gern einen guten Witz über den Holocaust hören, denn das heißt ja nicht, dass sie zynisch, dumm oder unmenschlich sind, sondern nur, dass sie sich entschieden haben, postmodern zu sein. Das sind die Leute, die einem erzählen, Grausamkeit sei echter als Zärtlichkeit, die aber für sich selbst immer eine Menge Zärtlichkeit fordern, ob echt oder nicht." Sie folgert: "Vor solchen Leuten habe ich so gut wie keinen Respekt."

Wenn Kennedy sich dennoch als kühle Zuschauerin in die Arena begibt, geht es ihr um den Versuch zu verstehen, was an der Grenze des Verstands sonst Halt macht. Tod, Tier, Mensch - es scheint schwierig, aufgeklärt und klaren Blicks darüber zu schreiben und nachzudenken. Es erfordert viel Präzision, dabei nicht den Regressionen oder Projektionen zu erliegen, wie sie mancher Hundehalter erstaunlich ungeniert vorführt, wenn er zu seinem Tier spricht, in Tönen, die infantil oder despotisch klingen.

Der Stier, kann man im Deutschen wortspielen, ist das exemplarische S-Tier, das Es, respräsentiert im Tier. Immer geht es in der Corrida darum, das Animalische, das Es zu bezwingen und in mehreren symbolischen Akten die lange Geschichte des Zähmens, Überlistens und Tötens von Tieren wie von Emotionen in Szene zu setzen. Moderne spanische Matadores, beschreibt Kennedy eindrucksvoll, sind Popstars. Ihre Taten werden in den Feuilletons beschrieben; manche begreifen sich als Sportler, Helden oder Künstler oder all das auf einmal. Wie große Opern werden Kämpfe kommentiert, Teenager erjagen Autogramme der Toreros.

Kaum ein Szenario scheint ferner von der Agrarkrise in Europa als das der Corrida, kaum ein Abstand größer als der zwischen Arena und industriellem Schlachthof. Kennedy versucht in ihrem Buch auch, ein westliches Tabu zu brechen, im Zeitalter der Ökologie und der Tierschützer ohne Voreingenommenheit über das Tieretöten zu schreiben. Mit beherztem Amüsement verspeist sie in Madrid eine markreiche Ochsenschwanzsuppe, wie sie in England längst verboten ist. Sie erinnert sich an ihre Faszination beim Sezieren von Ochsenaugen im Biologieunterricht, während beim Lesen Bilder aus Buñuels /Dalis "Andalusischer Hund" auftauchen. Je näher man aber dem Sujet "Tieretöten" kommt und je größer die ambivalente Faszination für das Ritual der Corrida in Kennedys Text wird, desto klarer wird auch, wie prekär die Frage nach dem "Tier" bleibt, wenn man sie nicht mindestens so politisch anlegt, wie die Autorin es unternimmt.

Jagdgründe der Kulturindustrie

Kennedy spannt den Bogen weit, schildert ihren Ausflug zum Haus des großen Corrida-Fans Garcia Lorca, reflektiert über dessen Ermordung durch Francos Faschisten und vergisst nicht den Hinweis darauf, dass Gegner der Diktatur und des Feudalismus Zuchtherden für Kampfstiere schlachteten, die als Symbole dekadenter Tradition galten. Jedes Verhältnis zum Tier war ein gesellschaftliches, ein auf oft schwer lesbare Weise politisches.

Begreift man die Corrida als Übergangsstadium vom religiösen Ritual der Jäger und Tieropferer zum weltlichen Ritual einer spezifischen Kulturindustrie, ist ihr Charakter auf einmal gar nicht mehr fern von den Ängsten und Verdrängungen angesichts der Schlachthöfe und Feuer, in denen sich unser aktuelles Verhältnis zum Tier spiegelt. Wir befinden uns ebenfalls in einem Übergangsstadium vom Unbewussten zum Verstehen. In Hunden etwa sehen viele in der westlich-modernen Welt gerne Gefährten, weil Hunde individualisiert und mit Projektionen bedacht werden. Keiner, auch kein Hundefeind, würde in unseren Gesellschaften Hunderagout verspeisen wollen. Anonymes Massenvieh bereitet erst dann Probleme, wenn es uns mit Krankheit (Salmonellen, Viren, BSE) bedroht, oder wenn, wie jetzt, die Tatsache der Massenschlachtung plötzlich öffentlich und offensichtlich wird.

Wenn in der Moderne große technische Neuerungen zu bewältigen sind, entsteht mit der Furcht vor Erkenntnis eben jene Mischung aus Interesse an Biologie (Gene, Instinkt, Gehirnforschung usw.) und Sentimentalem (Seele der Tiere, Vegetarismus usw.), die zur Zeit auf der Tagesordnung steht. Den Tieren gerecht werden können wir aber nur jenseits solcher Selbstbilder. Und jenseits der emotionalisierten Projektionen auf das Opferlamm Tier.

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