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Kultur: Schlaflos in Peking

VON FREDERIK HANSSEN"Halt! Was tust du?

VON FREDERIK HANSSEN"Halt! Was tust du? Verrückter, geh deines Weges! Hier gehst du zugrunde!" Verzweifelt versuchen die Minister den Prinzen Kalaf davon abzuhalten, die Prinzessin Turandot herauszufordern.13 tapfere Krieger sind bereits an den Rätseln gescheitert, die es zu lösen gilt, um die Kaiserstochter zu erringen, alle 13 wurden geköpft.Als die Komische Oper ankündigte, sie werde Giacomo Puccinis Spätwerk "Turandot" herausbringen, brachen nicht nur die Kritiker des Hauses in ein ähnliches Lamentieren aus wie die chinesischen Minister: "Turandot", der Inbegriff der monumentalen Spektakeloper, an der Komischen Oper? Dieser mörderisch schwere Sängerkrieg in der verbotenen Stadt, ein Breitwandstück für Mega-Bühnen, neben "Aida" einer der Dauerbrenner in der Arena von Verona - jetzt auf Deutsch in der Behrenstraße? Das konnte nicht gutgehen.Aber Intendant Albert Kost und seine Regisseurin Christine Mielitz ließen sich von den Kassandrarufen ebensowenig abschrecken wie der verliebte Prinz Kalaf von den gut gemeinten Worten der Minister: "Laßt mich durch!" schreit er immer wieder und bahnt sich den Weg zum Gong, mit dem jeder neue Brautwerber seine Bereitschaft zum Zweikampf mit der männerhassenden Prinzessin ankündigt.Jetzt erst recht!Kalafs Ringen mit den Würdenträgern und mit sich selbst gehört zu den intensivsten Momenten dieser "Turandot"-Inszenierung: Wie im Fieber windet sich Frank van Aken, die Schreie des Chores prasseln auf ihn hernieder: "Dir, der die Liebe herausfordern will, schaufeln wir schon das Grab!" Dann reißt er sich los, stürzt los wie ein tollwütiges Tier und schleudert seinen Kopf mit voller Wucht gegen den Gong.Die Menge schreit auf, der Kampf ist eröffnet."Kampf" ist das Schlüsselwort des Abends: Die Komische Oper hat ein Werk herausgefordert, das eigentlich die Kapazitäten des Theaters sprengt.Ihr muß es gelingen, das Publikum zu erobern, ohne die Erwartungshaltung der Besucher in einem einzigen Punkt erfüllen zu können.Da versammeln sich nicht die internationalen Stimmbandstars, da entfaltet sich kein goldglänzendes Panorama aus mannshohen Fabeldrachen und putzig geschwungenen Pagodendächern, da schwelgt das Auge nicht in der vielfarbigen Opulenz chinesischer Prachtgewänder.Die Bühne der Komischen Oper erlaubt kein Cinemascope, das Budget keine Potemkinschen Tempelstädte, die Tradition kein Technicolor.Und dennoch erringt das Haus einen umjubelten Sieg - den Sieg des Teamgeistes über den Opernzirkus.Viele hatten sich im Vorfeld darüber geärgert, daß ein Ensemble-Theater wie die Komische Oper ein Werk auswählt, bei dem es alle großen Partien mit Gästen besetzen muß.Ein Haus, das zu Recht stolz ist auf seine Repertoirepflege, sollte Stücke, die weitgehend mit eigenen Sängern besetzt werden können, gar nicht erst spielen.Doch diese "Turandot" tritt den Beweis an, daß Solisten im Musiktheater eben nur ein Teil des Ganzen sind - nur durch den Teamgeist, aus dem heraus Chor, Orchester, Technik und Bühnencrew hier sichtbar, erlebbar zusammenarbeiten, konnte das höchst riskante Experiment zum echten Musiktheatererlebnis werden, zum Triumph der Ideen Walter Felsensteins, zum Höhepunkt womöglich der 50.Spielzeit.Wie in ihrer bislang besten Inszenierung in der Behrenstraße, Wagners "Rienzi" (der ab dem 4.April wieder auf dem Spielplan steht), wählt Christine Mielitz den einzig gangbaren Weg für diese "Turandot": Sie verzichtet auf die große Oper, verzichtet auf Staatstheater (und sogar auf die Drehbühne!) und schmiedet das symbolistische, von Gozzis 1762 entstandener Tragicommedia inspirierte Märchen aus dem alten China um in einen Gefühlsthriller aus 1001 Großstadtnacht.Sie erzählt die Geschichte eines mit brutalsten Mitteln geführten Geschlechterkampfes im Peking der 20er Jahre, der Entstehungszeit der Oper also, über deren Finale Puccini 1924 starb.Und Vladimir Jurowski liefert die expressionistisch-aggressive Musik dazu.Das in letzter Zeit stets hochgelobte Orchester der Komischen Oper übertrifft in Präzision wie Gestaltungskraft an diesem Abend die selbstgesteckten Maßstäbe: Die avantgardistischen Klangkombinationen und die sich auflösenden harmonischen Relationen, die Puccini seinen Hörern als chinesisches Lokalkolorit schmackhaft machte, reizt der Dirigent bis an die Grenze des Vertretbaren aus, er läßt die Partitur explodieren wie einen China-Kracher.Wild lodern die dissonanzgeschärften Orchesterfarben, reiben sich asiatische Pentatonik und Ganztonskalen mit europäischer Spätromantik, machtvoll trumpfen rhythmische Modelle auf.Dieser Absolutheitsanspruch findet seine Entsprechung im totalen Theater auf der Szene: Keiner der Chorsolisten verläßt sich darauf, daß sich die Aufmerksamkeit sowieso auf die Protagonisten konzentriert, jeder spielt seine Rolle, hält die Körperspannung auch in den Massenszenen.Wie in der griechischen Tragödie wogt der Chor über die enge Bühne, kommentiert klangstark das Kräftemessen zwischen Kalaf und Turandot.Ein Konflikt, den beide mit faszinierender Verbissenheit austragen und dem Christine Mielitz das vorgesehene Happy-End verweigern muß.Zu stark ist der Siegeswille beider Kontrahenten.Am Schluß ist die Prinzessin zwar besiegt von Kalafs Liebe - aber ihr Stolz ist nicht gebrochen, noch wird sie sich ihm nicht hingeben können.Beide Protagonisten stürzen sich mutig in ihre Rollen, kämpfen einen beeindruckenden Kampf gegen die enormen technischen Schwierigkeiten: Ursula Prem meistert die "soprano-killer"-Partie der Turandot mit beachtlichem Ganzkörpereinsatz, und auch Frank van Aken (im Guildo Horn-Look) besitzt genug heldisches Potential für den Kalaf - die Erschöpfung ist ihm allerdings anzuhören, wenn er im dritten Akt endlich beim einzigen Hit der Oper, "Keiner schlafe", angekommen ist.Nur eine einzige Solistin fällt aus der Rolle: Liù, die Identifikationsfigur der Oper, die Sklavin, die Kalaf liebt und sich tötet, damit er seine Liebe zur Prinzessin ausleben kann.Vom inszenatorischen Furor gepackt, hat Christine Mielitz auch dieses still leidende, demütig verscheidende Mädchen zu hektischem Aktionismus verurteilt: Im höchst unkleidsamen Unterrock muß Brigitte Wohlfahrt, die mit so hellem, reinem Sopran seufzen kann, zur dramatischen Selbstaufopferung schreiten.Ein Moment des leisen, einsamen Kampfes mit sich selbst hätte starke Wirkung entfalten können in der angespannten Atmosphäre dieses emotionalen Schlachtgetümmels. Wieder am 21.März und 17.April.

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