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Kultur: Schlag in die Magengrube

Michael Haneke macht kein Kuschelkino.Kein windelweiches Taschentuchkino.

Michael Haneke macht kein Kuschelkino.Kein windelweiches Taschentuchkino.Und kein zackiges Aktionskino, nach dem man beim Rausgehen über Popcornhügel stolpert.Eher intellektuelles Zeigefingerkino - das sich manchmal zur Faust ballt und dir eins in die Magengrube wuchtet.Für so ein Kino gibt es kein Publikum.Das hat er spätestens mit "Funny Games" erfahren müssen.Aber manchmal, zu selten, gibt es Jurys, die dafür Preise verleihen.Immerhin.Den Konrad-Wolf-Preis zum Beispiel.10 000 Mark! Renommiert! Namhafte Vorgänger! Haneke hat ihn am Sonntag von der Akademie der Künste überreicht bekommen.Und man darf sich ruhig ein bißchen wundern über diese Entscheidung.Schließlich waren die Preisträger zuletzt eher auf der sicheren Seite: Margarethe von Trotta, Jürgen Flimm, Ken Loach, Christoph Marthaler und, im vergangenen Jahr, Volker Schlöndorff.Jetzt Haneke: der Verstörer, der Unbequeme, der Österreicher mit dem weißen Vollbart."Nicht leicht zu verdauen - nein! - gar nicht zu verdauen!" hat der Schauspieler Ulrich Mühe über ihn gesagt, der Lobredner an diesem Abend.

Die Trilogie über die "emotionale Vergletscherung" unserer Gesellschaft hat Haneke bekannt gemacht: "Der siebente Kontinent" (1988), "Bennys Video" (1992) und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1994).Dann kam "Funny Games", diese brilliant provozierende Reflexion über mediale Gewalt, die einem die Sehgewohnheiten von 1001 Thrillern um die Ohren haut.Im Blätterwald sind die positiven Besprechungen herabgeregnet.Doch das Publikum? Nichts.Ein sichergeglaubter Produzent seines nächsten Projekts ist deshalb abgesprungen.Aus, vorbei das Vorhaben.Haneke - eine persona non grata unter den deutschsprachigen Produzenten? "Der Preis ist eine Ermutigung für eine Art von Kino, die immer mehr an Präsenz verliert: Kino als Kunst und nicht nach der amerikanischen Definition von Film als Ware, als Zerstreuungsmaschine", sagte Haneke.Der Wink an die Produzenten war nicht zu übersehen.

Die Entscheidung der Akademie ist aber noch aus einem zweiten Grund ungewöhnlich: Normalerweise stellen die Abteilungen für "Film- und Medienkunst" und "Darstellende Kunst" abwechselnd die Preisträger.Im vergangenen Jahr war es ein Filmemacher.Wäre also wieder ein Bühnenkünstler zu ehren gewesen.Doch die Theater-Jury um Thomas Langhoff, Jutta Wachowiak und Joachim Herz hat sich von diesem Schematismus gelöst, hinter dem Bühnenvorhang hervorgelugt - und Haneke gefunden.Dabei dürfte es kaum eine Rolle gespielt haben, daß Haneke früher am Theater inszeniert hat.Übrigens auch zweimal in Berlin, in den achtziger Jahren am Schloßpark-Theater.Langhoff, der den Preis übergab, war begeistert von diesem "Aufklärer, mit dem konsequenten, unbestechlichen Werk".Und eine Aufforderung schickte Langhoff dem Mann mit dem schwarzen Rollkragen noch auf den Weg: "in diesem Geist fortzufahren".Haneke wird demnächst in Frankreich drehen, mit Juliette Binoche.Um die Pariser Banlieus geht es, um die Migration der Armen in die reichen Länder."Das Thema des nächsten Jahrhunderts!" sagt Haneke.Nach Kuschelkino klingt auch das nicht.

JULIAN HANICH

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