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Kultur: Schlangennest

„Kindheitsmuster“ im Gorki-Studiotheater

Am Ende fällt der Satz: „Ich werde mich nicht mehr auflehnen gegen die Grenze des Sagbaren.“ Es spricht ihn die Schauspielerin Ninja Stangenberg in der Dramatisierung des Romans „Kindheitsmuster“ von Christa Wolf im Studio des Maxim Gorki Theaters. Es hätten ihn auch die Schauspieler Gunnar Teuber oder Ruth Reinecke sagen können, die wie Stangenberg permanent zwischen Figuren, Zeit- und Erzählebenen hin und her gewechselt sind, dabei Stalin beerdigt, Hitler karikiert und als Tiger oder Kosmonaut über die Bühne gestolpert sind. Denn es ist eigentlich alles gleich.

„Wie sind wir geworden, wie wir heute sind?“, lautet die schuldgetriebene Frage von Wolfs Roman. Eine Frau, die starke Ähnlichkeiten mit der Autorin aufweist, reist im Jahr 1971 mit ihrem Bruder und ihrer Tochter in die Stadt L., die Stadt ihrer Kindheit, die inzwischen zu Polen gehört. Erinnerungen werden wach an ihre Kindheit in Nazi-Deutschland. Ihre Begeisterung für Hitler. Das Schweigen in der Familie, als man von getöteten Polen hört. Szenen aus dem Schulalltag, ein paar Kriegssplitter, dann kommen die russischen Befreier und der Alltag in der DDR, in dem die Erzählerin die Wiederholung von Mustern aus der Zeit des Nationalsozialismus ausmacht. Im Kleinen (Schweigen in der Familie) wie im gesellschaftlichen Großen.

Der Schuldzusammenhang wird aber, und das ist das Heikle, in einer Weise aufgedeckt, die selbst vieles verschleiert. Im Namen der Klarheit wird vernebelt, denn die Szenen werden von Reflexionen über das Erinnern als solches überwuchert, wozu eine dritte eingeführte Handlungsebene geradezu einlädt. 1975 erinnert sich die Erzählerin an die Reise von ’71, die sie zu Erinnerungen an ihre Kindheit veranlasst hat. Das Diffuse, das formal Verstiegene von Wolfs Schreiben, ihre Herumeierei hat freilich auch mit den DDR-Tabus der damaligen Zeit zu tun. Mit dem, was nicht gesagt werden durfte. Über die Rote Armee etwa durfte nichts Schlechtes geschrieben werden.

Von solchen Implikationen will der junge Regisseur Johann Kuithan allerdings heute nichts mehr wissen. Mit geradezu rührender Unbedarftheit klammert er den gesellschaftlichen Kontext aus und liest Wolfs Jonglage rein formal, als Marotte jeder Erinnerung, die sich bekanntlich hinlegt, wo sie will. So vernebelt er einfach mit und erzählt nur nach. In schnellen Schnitten spielen die drei Schauspieler die viel zu vielen Szenen an und sind viel mit dem Tausch von Kleidern und dem Herumschleppen von Requisiten (Spielzeughäuser, Hitlerporträts mit Stalin auf der Rückseite) beschäftigt. So entstehen keine erhellenden Bezüge zwischen den Zeiten, so entsteht ein nichtssagendes Potpourri, bei dem die Rolle der Schuld an eine Schlange delegiert wird, die immer wieder bedeutungsschwer auf einer Videowand vor sich hinzüngeln darf. Andreas Schäfer

Gorki Studio Berlin, Hinter dem Gießhaus 2, wieder am 28.3.

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