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Kultur: Schleier und Flüstern

„Entfernte Nähe“: iranische Theaterwunder in Berlin

„Das Theater in Iran ist wie ein neugeborenes Kind“, sagt die Schauspielerin Shabnam Toluie. Warum diese Freiheit den jungen Theaterleuten in Teheran plötzlich gegeben wird, dafür gibt es keine einfache Antwort. Auf dem Fadjr-Festival in Teheran im Januar 2004 haben Shabnam Toluie und ihre Produktion „Kiss You and Tears“ vier Preise gewonnen, es war das erfolgreichste Stück.

Vier neue Inszenierungen zeigt das Berliner Haus der Kulturen der Welt im Rahmen seines Iran-Festivals „Entfernte Nähe“. „Kiss You and Tears“ eröffnete die Reihe: ein Zweipersonenstück, inspiriert von Vaclav Havels „Briefen an Olga“. Ein Mann in der Gefängniszelle, sein Todesurteil erwartend. Ein minimales szenisches Arrangement.

Die wunderbare Shabnam Toluie tritt ihrem Partner Payam Dekhordi in einer Handvoll Rollen entgegen – als Geistlicher, als Aufseher, als Staatanwalt, als Ehefrau. Man erfährt nicht, warum der Mann im Gefängnis sitzt, und spürt die Willkür des Justizapparats umso mehr. Ein Wechselspiel von Grauen und Komik, Wut, Hoffnung und Tränen. Aus dem Kunstgriff, dass eine schöne, selbstbewusste, junge Frau das System und das Leiden verkörpert, entwickelt sich ungeheure Spannung. Ohne zu verstehen, begreift man.

Auch die Performance „Home is in Our Past“ von Hamed Mohammad Taheri hat theatralische Quellen außerhalb der iranisch-islamischen Kultur. Beckett, Grotowski und der japanische Butoh-Tanz scheinen auf. In einem mit Schlamm gefüllten Becken entstehen Bilder des gequälten Menschen – zu Gesängen der amerikanischen Avantgardistin Meredith Monk (im HKW heute noch einmal um 22 Uhr). „Dance on Glasses“ von Amir Reza Koohestani (heute, 20 Uhr, im HAU 3) erzählt im Zwiegespräch zwischen einem Mann und einer Frau eine Liebesgeschichte mit fatalem Ausgang. Hier aber liegt die Expressivität vollends in sprachlicher Stilisierung.

Wie offen inzwischen in Iran das Theater agiert, zeigt „Unwritten Whispers“ (im HKW noch einmal heute und morgen um 20 Uhr). Ein Stück, eine Séance mit vier Frauen, die rauchen, trinken, um Geld spielen und – ihren kollektiven Selbstmord besprechen. Und wieder, schier unglaublich, eine westliche Vorlage: Neil Simons „The Odd Couple“, die komische Männerwirtschaft von Felix und Oscar, die Billy Wilder einst mit Jack Lemmon und Walter Mathau verfilmte. Bis auf die Tatsache, dass die Frauen Kopftücher tragen, scheint die iranische Welt mit ihren Verboten und Geboten auf den Kopf gestellt.

Der Regisseurin Narges Hashempour, die auch eine der Frauen spielt, geht es um den „Kampf um weibliche Selbstbestimmung“. Dass es sich hier offensichtlich um Angehörige der katholischen Minderheit in Iran handelt, mag für das Passieren der Zensur von Bedeutung gewesen sein.

Die Härte und Unausweichlichkeit der Situation wird dadurch nicht gemildert, im Gegenteil. Diese Aufführung macht den Zuschauer sprachlos. Sie beweist, dass es nicht nur ein iranisches Kinowunder, sondern auch ein unwahrscheinliches Theaterleben in Teheran gibt.

Rüdiger Schaper

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