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Kultur: Schloss-Debatte: Hülle oder Fülle - Eine entschiedene Entgegnung auf die Restauratoren

Wenn ein Haus gebaut werden soll, gibt es einen Bauherren, der ein solches Haus benötigt und der es sich leisten kann, es bauen zu lassen. Beim Berliner Schlossplatz gab es bisher weder den Bauherren noch die Notwendigkeit und schon gar nicht die Mittel, dort wieder ein Haus zu errichten.

Wenn ein Haus gebaut werden soll, gibt es einen Bauherren, der ein solches Haus benötigt und der es sich leisten kann, es bauen zu lassen. Beim Berliner Schlossplatz gab es bisher weder den Bauherren noch die Notwendigkeit und schon gar nicht die Mittel, dort wieder ein Haus zu errichten. Es gab nur einen Ort - und das in der Öffentlichkeit herbeigeredete dringliche Bedürfnis, diesen Ort zu bebauen. Dieses Vakuum scheint sich nun unerwartet zu füllen. Die Staatlichen Museen haben Bedarf angemeldet.

Schon triumphieren die Befürworter einer Schloss-Replik angesichts der Schlagzeilen "Museen ins Stadtschloss" (allerdings: Ein "Stadtschloss" gibt es in Potsdam, hier handelt es sich schlicht um das "Berliner Schloss"). Doch nach wie vor gibt es gute Gründe, Berlin den sentimentalen Trugschloss-Schwindel zu ersparen. Und wenn der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz konzediert, es müsse für die bisher in Dahlem gezeigten Sammlungen außereuropäischer Kulturen nicht umbedingt ein Schloss sein, sondern denkbar sei auch ein moderner Bau, so formuliert er dabei diplomatisch seine "zeitgenössische Sicht auf die Dinge". Museumstechnisch konsequenter heißt das, in der Hülle eines Barockschlosses ist ein modernes Museum kaum zu betreiben. Schon vor dem Start wären die hier neu eingerichteten Museen gegenüber der internationalen Konkurrenz hoffnungslos im Hintertreffen. Zudem schreckt das Vorbild des Schlosses Charlottenburg. Dort war nur ein Bruchteil zu rekonstruieren. Trotzdem hat es Jahrzehnte gedauert, und diese Aussichten scheinen dem Museumsmann wohl nicht erstrebenswert.

Wenn schon Wiederaufbau, dann archäologisch möglichst korrekt, mit all den Verwerfungen der Baugeschichte und nicht ein geschöntes Bild historisierender Beliebigkeit. Doch die korrekte Replik ist nicht zu bekommen, nicht aus technischen, nicht aus kunsthistorischen und nicht aus gesellschaftlich-politischen Gründen, ganz zu schweigen vom Finanzbedarf, der bei einer exakten, steinmetzmäßigen Rekonstruktion astronomische Summen kosten würde. Nie hat jemand die Sandsteinfassade samt aller Bauzier einer seriösen Kostenschätzung unterzogen. Die von den Schloss-Befürwortern genannten moderaten Zahlen sind höchst umstritten und haben naturgemäß nur ein Ziel: erst einmal den Baubeschluss zu erwirken. Auf diese Vorgehensweise wird sich der Bausenator angesichts jüngster Erfahrungen mit der Topographie des Terrors wohlweislich nicht einlassen.

Über die fachlichen Bedenken ist bereits viel geschrieben worden. Fast zehn Jahre Debatten, Streit und Polemik haben die schon damals diskutierten kunsthistorischen und bautechnischen Bedenken nicht auszuräumen vermocht, nur in den Hintergrund gedrängt. Sie werden dann zu kaum lösbaren Problemen erwachsen, wenn die Macher ans Werk gehen - und zu Kompromissen gezwungen sein werden, die niemand kontrolliert und keiner mehr bremsen kann. Wer jemals versucht hat, von einem bescheidenen existierenden historischen Gebäude eine Bauaufnahme zu erstellen, Pläne zu zeichnen, die es ermöglichen würden, das Gebäude 1:1 neu zu errichten, wird bei den Beteuerungen, eine "historisch getreue Rekonstruktion" des nicht mehr existenten Schlosses sei durchaus möglich, verständnislos den Kopf schütteln. Es ist, wie wenn ein Germanist versuchen würde, ein verkohltes Roman-Manuskript von Thomas Mann neu zu schreiben. Warum nur sind ernsthafte Zeitgenossen bereit, ein solches Kujau-Produkt in der Architektur zu akzeptieren?

Übermaß an Historie

Niemand würde auf die Idee kommen, eine bei Kriegswirren zerstörte Mona Lisa neu malen zu lassen und sie an gewohnter Stelle zu präsentieren, als sei nichts gewesen. Schlüters Bau- und Bildhauerkunst hält man dagegen für ohne weiteres reproduzierbar. Das wirft die Frage auf, was größer ist, die Unkenntnis oder die Geringschätzung!

"Stilmöbel von heute sind die Antiquitäten von morgen" - der hintersinnige Werbespruch eines cleveren Möbelhändlers erhellt auch eine Gefahr für das Schloss: Unbedarfte Zeitgenossen, viele Touristen, würden den Nachbau wohl für authentisch halten. Diese Gefahr wird von den Kulissenschiebern stillschweigend in Kauf genommen, und wie Stilmöbel aus Spanplatten mit Rosenholzfurnier bestehen, wird auch das Schloss eine Betonmasse mit Natursteintapete sein. Der Kunstwert des Schlosses war von so großer Bedeutung, dass sich eine Kopie verbietet.

Die Tagespolitik aber tendiert jetzt zur Restauration, als lebten wir noch im 19. Jahrhundert. Doch dort war man zum Teil schon weiter: Friedrich Nietzsche erkannte 1874 in seinen "Unzeitgemäßen Betrachtungen" nicht nur den Nutzen, sondern auch den Nachteil der Historie, nämlich das Übermaß an Historie: "Wir brauchen sie zum Leben und zur Tat, nicht zur bequemen Abkehr von der Tat." Nichts anderes jedoch als "Abkehr von der Tat" ist die Scheu vor der Neugestaltung einer städtebaulichen Situation nach heutigen Bedürfnissen.

Gebetsmühlenhaft wird darauf verwiesen, dass das Schloss als Perspektiv- und Zielpunkt der Linden geplant und unverzichtbar sei. Beides ist nicht richtig, denn die Schrägstellung des Schlosses ist den topographischen Gegebenheiten geschuldet und zwischen Schloss und Lindenachse, die Friedrich Wilhelm 1647 jenseits der schmalen Hundebrücke anlegen ließ - mit dem Blick gen Westen und durchaus nicht mit Bezug zum Schlossbezirk - verstellten noch das Pförtnerhaus und das Ballhaus den Blick auf das Renaissanceschloss. Stadtgestalterische Konzeptionen waren damals nicht im Gespräch. Überdies: Auch die Kuppel, wohl unbestritten Höhepunkt des Schlossgebäudes, ist im 19. Jahrhundert nicht in diese Achse gerückt worden.

Autistischer Brocken

Es hat in Berlins noch intakter Mitte kein größeres städtebauliches Problem gegeben als das autistisch in der Szenerie hockende Schloss und sein Umfeld. Wie ein Glacis mit freiem Schussfeld gähnte weite Leere rings um den selbstgefälligen Bau. Auf dem gepflasterten Platz gegen den Lustgarten wurden Kanonen aufgestellt und natürlich hin und wieder Paraden abgehalten. Der Schlossplatz an der Südseite, durch zwei Grünrabatten-Verkehrsinseln und den Neptunbrunnen mehr zerteilt denn gegliedert, war eine weite Verkehrsfläche. Die Schlossfreiheit wurde 1910 von ihrem Gegenüber, einer pittoresken Reihe von Bürgerhäusern befreit. Man schuf Platz für das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. Am Schloss hatten die Bürger nichts verloren, das signalisierten die verhängten und vergitterten Fenster, das "Abstandsgrün", die Terrasse vor der Lustgartenfront. Nichts war einladend an diesem Bau, dem kalten Herz Berlins, auch nicht die Innenhöfe, als 1918 die Schilderhäuser entfernt und die Hoftore geöffnet worden waren. Nur die älteren Bauteile entlang der Spree hatten einen gewissen Charme, doch von deren Wiederaufbau ist noch nie die Rede gewesen.

Auf Initiative dieser Zeitung und der Galerie Aedes wurden 1997 namhafte Architekten um Lösungsvorschläge gebeten. Diese haben jedoch nur "Luftschlösser" abliefern können. Die Entwürfe hatten nur einen Effekt: Sie leiteten Wasser auf die Mühlen der Gegner moderner, zeitgenössischer Architektur. Dabei wurde von manchen Architekten das Grundproblem durchaus erkannt und problematisiert: der Städtebau. Denn nur durch ein Auflösen des zyklopischen Maßstabes lässt sich das gähnende urbanistische Loch zwischen den Linden und dem Alexanderplatz schließen.

Und natürlich durch die attraktive Nutzung, die die Architektur auch nach außen abbildet. Das in dieser Hinsicht vernagelte Schloss könnte solches nicht leisten. Das Beispiel steht wenige Schritte westlich vor Augen. Dort gibt es ein Institut mit berühmtem Namen: Deutsche Guggenheim Berlin, doch kaum jemand kennt das Museum, trotz bester Lage gehen die Passanten achtlos an den toten Fenstern vorüber. Der Architektur fehlt die entscheidende kommunikative Komponente, die einladende Geste.

Das Verschwinden des Schlosses, dieses "hässlichen grauen Kastens", wie sich Dietrich Fischer-Dieskau erinnerte, vorwärtsgewandt als Chance zu ergreifen, aus einem selbstbezogenen Solitär im Vakuum wieder funktionierenden Stadtraum werden zu lassen, diesen Tagtraum sollte sich Berlin erlauben. Irgendeine moderne Architektur "in den äußeren Abmessungen des Schlosses" zu errichten, was manch einer als akzeptablen Kompromiss zwischen den unversöhnlichen Positionen empfinden mag, dann vielleicht mit Teilen der Schlossfassade dekoriert oder gar mit einem Reststück des Palasts der Republik wie siamesische Zwillinge verwachsen, wäre die denkbar größte Torheit überhaupt, denn sie würde die städtebauliche Misere rekonstruieren - ohne das Schloss wirklich zurückzugewinnen.

Sollte man sich entschließen, den Museen der außereuropäischen Kulturen am Schlossplatz eine neue Heimstatt zu geben, so wird sich das Schlossgespenst von selbst verflüchtigen. Es werden die modernsten, die attraktivsten, die didaktisch fortschrittlichsten Museen der Zeit sein (müssen), wenn Berlin glänzen und in der Weltliga der Museumsstädte weiter mitspielen will. Undenkbar, die Sendboten exotischer Kulturen in den altväterlichen Kabinetten eines Barockschlosses aufsuchen zu sollen. Alle Welt wetteifert derzeit im Bau strahlender Museen, da kann Berlin nicht hintanstehen mit einem potemkinschen Kulissenzauber.

Nun wäre es am Senatsbaudirektor, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Wie Klaus-Dieter Lehmann der Nutzungsdiskussion mit einem Paukenschlag eine gänzlich neue Wendung gegeben hat, so muss nun ein neues städtebauliches Paradigma aufgestellt und mit Leben, mit inspirierten Plänen gefüllt werden. Oder findet sich am Ende ein Architekt oder Städtebauer , der die überzeugende Idee aufs Papier wirft?

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