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Schloss Rheinsberg: Am Ende Rollentausch

Mit Benjamin Brittens "Raub der Lukrezia" eröffnet die Kammeroper Schloss Rheinsberg.

Der Pietät des deutschen Erstübersetzers von Benjamin Brittens Oper „The Rape of Lucretia“ hat die Kammeroper Schloss Rheinsberg dieses Jahr einen guten Teil ihres Publikums zu verdanken: Hätte man das 1946 entstandene Stück nämlich nicht beschönigend als „Raub“, sondern philologisch korrekt als „Vergewaltigung der Lukrezia“ angepriesen, wären bei der Premiere im Schlosstheater wohl noch ein paar Plätze mehr frei geblieben. Die Angst, dass die Thematik des Stücks den Genuss eines Sommeropernabends verderben könnte, ist jedoch völlig unbegründet.

Dass sich die Kammeroper an diesen schwierigen Klassiker des musikalischen Kammerspiels herangewagt hat, ist in jedem Fall begrüßenswert. Längst hat man sich daran gewöhnt, in Rheinsberg karriereträchtige Stimmen vorgeführt zu bekommen. Doch obwohl Britten den „Raub der Lukrezia“ 1946 mit Blick auf die Bedürfnisse von Sängern und Sommerfestivalbesuchern komponierte, genügt es bei diesem Werk nicht, sein Organ spazieren zu führen. Obwohl die Stimmen in effektvollen Soli in Szene gesetzt sind, beruht die Wirkung des Stücks auf seinen Motiven, die zu einem dichten kammermusikalischen Netz gewoben sind und schier unendliche Möglichkeiten zu psychologischer Feinzeichnung bieten.

Die wahre Herausforderung für Sänger und Regie liegt jedoch darin, eine Haltung zum unzeitgemäßen Libretto zu finden: Schließlich ist der Heroismus Lukrezias, die sich nach der Vergewaltigung durch den römischen Prinzen Tarquinius umbringt, ebenso problematisch wie die christliche Deutung durch die zwei Erzähler, die Britten auftreten lässt. Doch ausgerechnet die Sopranistin Bianca Koch, die als moralisierende Erzählerin die problematischste Rolle übernommen hat, wird zur überzeugendsten Darstellerin des Abends: Ihre Deklamation ist gnadenlos deutlich, und im Wechsel zwischen Betroffenheit wie Realitätsflucht gelingt es ihr, die Moralistin in einen Charakter zu verwandeln. Fritz Feilhaber verharrt dagegen mit seinem überlegt geführten sonoren Tenor in der distanzierten Erzählerrolle. Der Bariton Sindre Øgaard weiß der Eifersucht des Soldaten Junius erfreulich viele Schattierungen zu geben. Solgerd Isalv (Lukrezia), Birger Radde (Tarquinius) und Martin Häßler (Collatinus) können dagegen ebenso wie das von Eric Solén geleitete Preußische Kammerorchester nur durch musikalische Solidität überzeugen; in menschliche Abgründe blicken sie kaum. Auch der warme Mezzo von Christina Bock und der Nachtigallensopran von Alexandra Büchel mögen in vielen Opern Effekt machen. Brittens blumenstreuenden Dienerinnen das unangemessen Soubrettenhafte auszutreiben, gelingt ihnen nicht. Dass es in der jungen Generation von Opernsängern ein neues Bewusstsein für Körperlichkeit auf der Bühne gibt und dass dies eines der wichtigsten Potenziale für die Entwicklung des Genres darstellt, spürt man in Rheinsberg leider wenig.

Ein echter Theatercoup gelingt Regisseur Matthias Oldag dafür mit dem anschließenden „Satyrspiel“ im Schlosshof: Zu Offenbachklängen lässt er die Geschichte von den in vertauschten Geschlechterrollen agierenden Darstellern verballhornen. Mag das nun auch eine recht brachiale Art sein, das ambivalente Verhältnis zu der blutigen Geschichte auszudrücken – es entlässt die Zuhörer mit der verdient beschwingten Galastimmung in die Nacht. Carsten Niemann

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