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Kultur: Schlüsselloch-Roman?

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: der Fall „Esra“

Von Peter von Becker

Heute will das Oberlandesgericht München über die noch immer anhängige Einstweilige Verfügung gegen Maxim Billers jüngsten Roman „Esra“ entscheiden. Es geht dabei um den Widerstreit zwischen literarischer Kunstfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zweier Frauen, Mutter und Tochter, die sich durch kaum verbrämte Schilderungen ihres privatfamiliären und auch sexuellen Verhaltens in ihrer Intimsphäre verletzt fühlen.

Geklagt haben zwei Türkinnen in Deutschland, die Mutter erhielt den „alternativen“ Nobelpreis, die Tochter, im Buch Esra genannt, war in jungen Jahren Filmschauspielerin sie wurde mit einem Bundesfilmpreis ausgezeichnet, und der Münchner Autor Maxim Biller („Land der Väter und Verräter“, „Die Mutter“) war mit der deutsch-türkischen Ex-Schauspielerin über längere Zeit eng befreundet. Biller nennt seinen Ich-Erzähler, der gleichfalls Schriftsteller ist, nun Adam, auch Esra und ihre Mutter heißen in Wirklichkeit anders – der Rest aber klingt autobiografisch und macht die Hauptpersonen zwar nicht für jedermann, aber doch einen Teil der interessierten oder informierten Öffentlichkeit erkennbar.

Nicht die feine Art

In erster Instanz hatte das Landgericht München dem Verlag Kiepenheuer & Witsch untersagt, über die erste, bereits ausgelieferte Auflage von „Esra“ hinaus noch weitere Exemplare zu vertreiben und das Buch überhaupt zu bewerben. Der Fall ist in der gesamten Presse so ausführlich wie zugleich vage geschildert worden: wohl aus Unsicherheit, was die konkrete Begründung der Klage gegen das Buch angeht, zudem auch aus Takt und Diskretion gegenüber den Betroffenen.

Natürlich hat es auch ein paar vehemente, gut gemeinte Warnschreie gegeben – dass durch ein gerichtliches Verdikt gegen das Buch „Esra“ die Freiheit jeglichen autobiografischen, realistischen, ja auch zeitgeschichtlichen Erzählens in Deutschland gefährdet sei. Dabei wird dann gerne auf frühere Auseinandersetzungen um Klaus Manns Schlüsselroman über Gustaf Gründgens Rolle im Dritten Reich („Mephisto“) verwiesen oder auf (gescheiterte) Klagen des Unternehmers Helmut Horten und der Firma Siemens gegen satirische Darstellungen des Berliner Schriftstellers F.C. Delius.

Der Fall „Esra“ aber liegt anders. Es geht weder um einen welthistorischen Hintergrund noch um die auch öffentlich bedeutsame Rolle von Magnaten, Konzernen oder Personen der aktuellen Zeitgeschichte. Ohne dies allerdings näher zu beleuchten, hat der Staatsrechtler Gerd Roellecke unlängst in der „FAZ“ bekannt, den kleinen Roman zwar nicht gelesen zu haben, den Fall aber beurteilen zu können. Wie Biller das Verhältnis mit der ehemaligen Geliebten darstelle, sei wohl „nicht die Art des feinen Mannes“; aber anders als das „Recht am eigenen Bild“ gebe es kein „Recht am eigenen Lebenslauf“ und „Bettgeheimnisse auszuplaudern“ sei „unanständig, aber juristisch normalerweise nicht verboten“. Der Vertrauensbruch nach einer Intimbeziehung gehöre, wenn er durch einen der Beteiligten geschehe, gleichsam zum allgemeinen Lebens- und Liebesrisiko.

Das stimmt – und ist doch juristisch nicht ganz korrekt. Denn es gibt, als Konsequenz des Menschenwürde-Postulats und des in Artikel 2 des Grundgesetzes allgemein gefassten Persönlichkeitsrechts, sehr wohl einen in der Judikatur entwickelten Schutz der Intimsphäre. Das beginnt bei speziellen Regelungen des Brief- und Fernmeldegeheimnisses und führt selbst vor Gericht bei der Erörterung sexueller Intimata zum Ausschluss der Öffentlichkeit. Zudem gewinnt gerade in einer Mediengesellschaft das zum ersten Mal bereits 1890 in Amerika formulierte „Right to Privacy“ immer neue Bedeutung. So wurde zuletzt im Fall Michel Friedman, einer „relativen Person der Zeitgeschichte“, zwar über die für seine öffentliche Rolle als Politiker und Publizist womöglich relevanten strafrechtlichen Vorwürfe berichtet – nicht aber über das, was mit irgendwelchen Prostituierten im Hotelbett geschehen sein mag. Und genau diese Grenze würde auch für einen Romancier gelten, da selbst die grundgesetzliche Kunstfreiheit ihre Schranken in der Verletzung anderer Grundrechte (und Gesetze) findet.

Das heißt: Ein Schriftsteller kann in einem Zeitroman nicht nur den Typus einer realen Figur auftreten lassen, sondern durchaus auch den Kanzler, Herrn Friedman oder Frau Christiansen auf seine imaginäre Bühne zitieren. Das Spiel mit dem Leben und der realen, wiedergefundenen oder neu erfundenen Zeit ist ein Urstoff der Erzählung. Aber das gibt dem Autor noch kein unbeschränktes Recht, wiedererkennbare Mitmenschen unterm Signum des Romans oder eines Theaterstücks beliebig zu entblößen.

Das Spiel mit dem Leben

Natürlich kommt es auch hier auf den künstlerischen Kontext an, ob es sich etwa um die Wahnfantasie einer Figur handelt (darauf hatte sich Martin Walser bei angeblich antisemitischen Stellen seiner Reich-Ranicki-Fiktion berufen). Andererseits spielt ein Autor oft genug mit seinem eigenen Leben und damit auch dem seiner engsten Vertrauten. Thomas Mann, auf den sich Biller explizit und ein bisschen größenwahnsinnig beruft, hatte seine intimen „Tagebücher“ freilich verbrannt – oder auf Jahrzehnte gesperrt, auch zum Schutz der noch Lebenden.

Bei Maxim Biller, so liest es sich, wurden aus realen Vorbildern der Fiktion eher Abbilder eines ohne besonderen Kunstehrgeiz dahinerzählten Erlebnisberichts. Hätte er auf Grund seiner Liebeserfahrung nur etwas einfallsreicher erfunden, wäre das zumindest kühner – und zugleich diskreter gewesen. Es hätte allen auch eine juristische und persönliche Peinlichkeit erspart.

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