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Kultur: Schluss mit dem Pi-Pa-Po - Die "Grove Encyclopedia of Popular Music" kommt aus Amerika

Wieviel oder wie wenig jemand von Musik versteht, zeigt sich für gewöhnlich an seiner Plattensammlung. Welche Platten hat er, welche nicht und aus welchem Grund hat er sie nicht?

Wieviel oder wie wenig jemand von Musik versteht, zeigt sich für gewöhnlich an seiner Plattensammlung. Welche Platten hat er, welche nicht und aus welchem Grund hat er sie nicht? Geschmack ist eine Frage des Bescheidwissens, das dem wuchernden, von Gerüchten umrankten und eigenen Vorlieben getrübten Detail-Wissen entspringt. Auch in Musik-Redaktionen geht es zuweilen konspirativ zu: "Johnny Cash soll die Narbe an seiner Wange von einer eifersüchtigen Geliebten haben, wusstest Du das?" - "Ein betrunkener Arzt schnitt ihm eine Zyste heraus. Seine deutsche Freundin stieß ihm derweil zum Spaß einen Bleistift ins Ohr. Seitdem ist sein Gehör ruiniert."

Als die ersten Rock- und Jazz-Lexika Anfang der siebziger Jahre erschienen, vermittelten sie nur einen vergröberten Einblick in das Geflecht aus Band-Geschichten, Geschäftsbeziehungen und biografischen Wendepunkten. Sie bildeten die Popkultur anhand von Musiker-Porträts ab, die den Mangel an Bewertungskriterien durch scharfsinnige Schlussfolgerungen kompensierten. Als Nachschlagewerke blieben sie einem strengen Genre-Kodex verhaftet. So stellte Siegfried Schmidt-Joos seinem, gemeinsam mit Barry Graves verfassten "Rock-Lexikon" 1975 einen historischen Abriss unter dem Titel "Was ist Rockmusik?" voran, in dem er beklagte, "dass eine generalisierende Definition nur noch in unziemlicher Vereinfachung gefunden werden kann." Zuletzt räumte "Spiegel"-Redakteur Schmidt-Joos ein, dass Vollständigkeit für ihn vor allem eine Frage des Standorts war. Wer sich wie er in New York aufhielt, wusste: "Was von dort aus nicht auszumachen war, gehörte nicht ins Buch."

Mit der von Colin Larkin herausgegebenen "Grove Encyclopedia of Popular Music", hierzulande über den Akademischen Lexikadienst vertrieben, ist jetzt ein Lexikon der Popkultur erhältlich, das nicht nur auf Grund seines Umfanges beeindruckt. Es ist das erste Nachschlagewerk seiner Art, das über die Auflistung faktenreicher, biografischer Lebensläufe hinausgeht und einem universalen, kulturgeschichtlichen Ansatz gerecht wird. So finden sich im Stichwortverzeichnis sowohl die Namen von Musikern, Bands und Labels als auch Titel von Platten, Songs und Musicals, alles, was für die Popgeschichte von Belang ist. Jedem der kurzenErklärungstexte sind biblio- und diskographische Angaben angefügt, bei Platten sogar eine Track-Liste sowie eine Bewertungsskala. Auch die Verschwundenen und Untergegangenen finden Erwähnung. Wie jener Calvin James alias George Underwood, der mit David Bowie die King Bees and Manish Boys gründete, später für Columbia eine einzige Platte aufnahm, die sich nicht verkaufte, und Künstler wurde.

Die Fülle an Details und Fakten, die, wie Larkin erklärt, Pop zu einem gleichberechtigten kulturellen Faktor neben klassischer und moderner Musik erheben will, macht eine gute Plattensammlung nicht überflüssig. Denn selbst ein so imponierendes Kompendium wird leider bald veraltet sein. Der Herausgeber hat indes angekündigt, dass jede weitere Auflage des Lexikons um zwei Bände expandieren soll.Colin Larkin (Hg.): Grove Encyclopedia of Popular Music. Acht Bände, zus. 6660 Seiten. Subskription: 1680 DM. Tel.: 0251 / 48227-0

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