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Kultur: Schluss mit Go-Go-Guggenheim

Die großen amerikanischen Museen besinnen sich auf ihre Kernaufgaben – und sorgen sich um das Vertrauen der Öffentlichkeit

Die öffentlichen Institutionen der Vereinigten Staaten sind in heftige Kritik geraten; und zwar nicht erst, seit die faustdicken Lügen aufgeflogen sind, die Präsident Bush und seine Regierung zur Rechtfertigung des Irak-Feldzuges auftischten. Spätestens der 11. September 2001 markiert die Scheidelinie dieser Krise des Vertrauens und der Legitimation; zudem ließ der Zusammenbruch der bubble economy die Amerikaner am Funktionieren der Wirtschaft verzweifeln.

Die Museen sind von der Krise des public trust – des öffentlichen Vertrauens – nicht ausgenommen geblieben, waren sie es doch, die mit dem scheinbar unbegrenzten Wachstum der New Economy in den Neunzigerjahren Schritt zu halten suchten. „Angesichts des Erfolgs und der Popularität der Kunstmuseen“ – so Glenn D. Lowry, Direktor des derzeit in Berlin gastierenden New Yorker Museum of Modern Art – „hat es seine Ironie, dass ihre Glaubwürdigkeit gerade jetzt in Frage gestellt wird.“

Expansion, ablesbar vor allem an Neubau- und Erweiterungsplänen der US-Museen – die derzeit immer noch einen Gesamtumfang von drei Milliarden Dollar ausmachen –, war und ist scheinbar zum Selbstzweck geworden, schrille Medienpräsenz als Folge kontroverser Ausstellungen deren Begleitmusik. Eine Ausstellung im ansonsten nicht eben landesweit auffallenden Brooklyn Museum, bei der Stück für Stück wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Museen, Leihgeber und - in Personalunion – Finanzier ans Tageslicht kamen, beschädigte die Autorität der Museen auf ihrem ureigenen Gebiet.

Angesichts dieser Situation rief James Cuno, seinerzeit Direktor der Kunstmuseen der Harvard-Universität, im Herbst 2001 eine Vortragsreihe ins Leben, die den renommiertesten Museumsdirektoren des Landes Gelegenheit zur Positionsbestimmung geben sollte. Ihre Vorträge liegen jetzt in Buchform vor – und bieten eine Basis der Selbstverständigung der Museen, die weit über die USA hinaus für die nähere Zukunft wegweisend sein wird. Denn mit ihrer Glaubwürdigkeit – und spiegelbildlich dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen der Öffentlichkeit – verfügen die Museen als Institution über ein höchst empfindliches Kapital, das tagtäglich aufs Neue errungen sein will, aber leicht dahinschwinden kann.

Beschädigt worden ist diese Glaubwürdigkeit durch das hemmungslose Streben nach wirtschaftlichem Erfolg, wie es beispielhaft das New Yorker Guggenheim Museum vorexerziert hat. Als „Go-Go- Guggenheim“ wurde dessen Politik apostrophiert, das Haus zur Event-Bühne für Armani-Mode oder BMW-Motorräder zu machen – und hinsichtlich der Finanzierung die Grenze zwischen der Institution und dem begünstigten Sponsor zu verwischen. Auf der Strecke blieben die Inhalte – und das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Institution.

Geht es nur noch um blockbuster, um Ausstellungen mit Rekordzahlen an Besuchern und Umsatz? Darf der Markt, wie überall in der neoliberalen Gesellschaft, auch im Museum das Zepter führen? Dagegen sprachen sich alle Teilnehmer der Harvard-Vortragsreihe aus, von John Walsh, lange Jahre Direktor des – dank enormen Stiftungskapitals jedwedem Finanzierungszwang enthobenen – J. Paul Getty Museums bei Los Angeles bis zu Neil MacGregor, der nach der Londoner National Gallery mittlerweile dem British Museum vorsteht, – dem, historisch gesehen, zumindest für die angelsächsische Welt Maßstab setzenden Haus. Und doch müssen selbst die Granden ihrer Zunft einräumen, dass es ohne Museum-Shops und Merchandising heutzutage nicht mehr geht. Umso wichtiger ist es, die Kernaufgaben des Museums – die Sammlungen und Ausstellungen – von jedweden Kompromissen freizuhalten.

Dabei geht es nicht einmal um hausinterne Kompromisse: Man denke nur an das Beispiel des Berliner „Mannes mit dem Goldhelm“, jenes vermeintlichen Meisterwerks von Rembrandt, das die Wissenschaft zur Werkstattarbeit zurückstufen musste, ohne Rücksicht auf dessen bisherige Rolle als Zugpferd des Museums. Es geht um den Einfluss von außen. „Würden wir die Autorität des Marktes als letztgültiger Quelle von Legitimation hinnehmen“ – so James N. Wood vom Art Institute in Chicago –, „würde dies zu zwei Ergebnissen führen: erstens, dass wir nicht nach den Regeln des Marktes gewinnen können, einerlei wie sehr wir unsere Ansprüche auch herunterschrauben; und zweitens, dass der Markt Vorrang vor allen anderen Formen der Autorität beanspruchen wird.“

Was das Wesen der Autorität eines Museums ausmacht, definiert Philippe de Montebello, seit 22 Jahren Direktor des New Yorker Metropolitan Museums, folgendermaßen: „Autorität ist diejenige Qualität, die die Institution als Ergebnis anerkannter Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung, Wissenschaftlichkeit, Achtung vor der Kunst und Integrität ihres Sprechers vorführt.“ Es ist allein diese Autorität, die dem Besucher „den Luxus gestattet, sich vollständig dem Kunstwerk hinzugeben, ohne besorgt zu sein, dass politische, kommerzielle oder sonstige Erwägungen das Urteil des Kurators beeinflusst“ hätten.

Glenn Lowry, der als Direktor des derzeit in gewaltigem Ausbau befindlichen Museum of Modern Art eine höchst ehrgeizige Finanzierungskampagne leitet, beharrt nichtsdestotrotz auf dem „Willen zur Unterscheidung zwischen der Verbreitung von Gedanken und deren wirtschaftlicher Ausbeutung“: „Der Schlüsselbegriff heißt moralische Autorität.“ Diese Autorität jedoch, so der rote Faden aller Vorträge, beruht auf der Authentizität und dem Sinngehalt der Kunstwerke, die die Museen treuhänderisch für die Öffentlichkeit bewahren. Und sie beruht im Besonderen darauf – so MacGregor –, dass ausnahmslos alle Mitglieder der Gesellschaft, und zwar ungeachtet ihrer ökonomischen Möglichkeiten, ihre je eigenen Erfahrungen angesichts der Objekte machen können und sollen.

In der Betonung der von Interessen – zumal solchen materieller Natur – unkorrumpierbarer Wissenschaftlichkeit werden deutsche Museumsleute zustimmen; die Verbindung zu den Grundwerten der amerikanischen Gesellschaft hingegen, wie sie der – mittlerweile von James Cuno nachgefolgte – Direktor des Art Institute zog, würde hierzulande kaum geteilt werden. „Letzen Endes“ – so Wood – „muss die Autorität der amerikanischen Museen dem Umstand entspringen, eines der zugänglichsten Foren zu sein der Erfahrung von Qualität, der Bekräftigung von Toleranz und der Wertschätzung von individuellem Ausdruck sowie der Verfolgung des persönlichen Glücks, wie es in unserer Verfassung verkörpert ist.“ Gerade weil die Stellung der amerikanischen Museen als in aller Regel privat verfasster und getragener Einrichtungen stets der Legitimation bedarf, kommt dem öffentlichen Vertrauen eine besondere Rolle zu. Die Museen verstehen sich umgekehrt als Treuhänder der Öffentlichkeit. Lowry betont, dass Museen „lediglich die nominellen Eigentümer ihrer Sammlungsstücke“ seien.

Nicht thematisiert wurde die feine Scheidelinie, die die hehren Ansprüche von der rauen Wirklichkeit trennt. Wenn Montebello sich ausgerechnet über „Museumsbanner“, jene in den USA allgegenwärtigen Fahnen mit Titel und Logo aktueller Sonderausstellungen, mit der hübschen Metapher mokiert, sie zeigten „nicht das Leuchten der Gesundheit, sondern das Glühen des Fiebers“, so entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Schließlich war es sein flamboyanter Vorgänger Thomas Hoving, der in den Sechzigerjahren diese Banner einführte. Drei Riesenfahnen zwischen den Säulen der Fassade des Neorenaissancebaus bilden seither geradezu ein Erkennungszeichen des Metropolitan Museums. Hoving war im übrigen mit seiner „King Tut“-Show 1966 wenn schon nicht der Erfinder, so doch das Genie der blockbuster.

Derlei feine Inkonsistenz lässt sich von außen vielleicht besser erkennen. Jedenfalls war es nach all dem Rummel um immer größere Budgets und gesteigerte Vermarktung hohe Zeit für eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben des Museums, wie sie die sechs in Harvard referierenden Direktoren vorgenommen haben. Doch auch in Berlin wird darauf nach dem Ende des von vorneherein als blockbuster angelegten, wissenschaftlich jedoch unergiebigen MoMA-Spektakels noch zurückzukommen sein.

James Cuno (Hrsg.): Whose Muse? Art Museums and the Public Trust. Princeton University Press / Harvard University Art Museums, Princeton 2004. 208 S., 29,90 €.

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