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Schluss unserer Serie um die Quote: Vorspielen hinterm Vorhang

Nie war eine Musikerinnengeneration besser ausgebildet. Die Zukunft der Orchester gehört den Frauen – ganz ohne Quote.

Von Ulrich Amling

Wissenschaftler der Universitäten Harvard und Princeton fanden heraus, wie sich ein strikt geschlechtsneutrales Probespiel auf die Chancen weiblicher Bewerber um Orchesterstellen auswirkt. Ihr Ergebnis: In der ersten Runde erhöht sich die Erfolgsquote um 50 Prozent, wenn ihre künftigen Kollegen nicht wissen, wer da spielt. In der Finalrunde obsiegen gar 300 Prozent mehr Frauen, wenn sie hinter dem Vorhang musizieren. Wendet man die Ergebnisse der amerikanischen Gleichstellungsforscher konsequent auf Probespiele vor hiesigen Orchestern an, bräuchte es keine Frauenquote. Zumindest solange es Orchestergruppen gibt, in denen die männliche Vormachtstellung ungebrochen ist – also überwiegend oder ausschließlich Männer über eine neue Kollegin befinden – könnte das blinde Hören hilfreich sein. In der Praxis wird der Vorhang nach der Vorrunde beiseite geschoben.

Dann kann es zum Schock kommen, wie bei den Münchner Philharmonikern anno 1980. Sie hatten wohl gedacht, hinter dem Namen Abbie Conant stecke ein Mann. 12 Jahre lang sah sich die amerikanische Posaunistin gezwungen, obwohl auf eine Solostelle engagiert, gegen Benachteiligungen und Demütigungen zu prozessieren. Der mythisch verehrte Maestro Celibidache gab den Ton an: „Spielt nicht wie ein Damenorchester“, pflegte er seine Musiker zu rüffeln. Als Conant sich in allen Instanzen durchgesetzt hatte, verließ sie München, um Professorin zu werden. Deutsche Orchester, sagt die Posaunistin, hätten sie zur Feministin gemacht.

Mischt man sich sommers unter das enthusiastische Publikum von Young Euro Classic im Konzerthaus, bekommt man mittlerweile einen völlig anderen Eindruck. Ob Dänemark, Kanada oder Südkorea: Junge Musikerinnen spielen in der Mehrheit, auch an Pulten, wo sie sonst selten zu finden waren. Das spiegelt die Situation an den Musikhochschulen wieder, wo der Anteil von Studentinnen in Deutschland auf die 60-Prozent-Marke zustrebt. Auch Schlagzeugerinnen und Blechbläserinnen sind dort eingeschrieben, glänzen in Jugendorchestern – und harren ihrer Chance auf einen festen Platz in der weltweit einmalig vielfältigen deutschen Orchesterlandschaft.

Dort scheint für Frauen vieles besser zu sein als auf dem restlichen Arbeitsmarkt. Im Prinzip gibt es gleiches Geld für gleiche Arbeit. Aber! Die Orchestertarife unterscheiden nach der Größe des Orchesters: Je mehr Prestige ein Orchester hat, desto mehr Orchesterstellen kann es auf sich vereinen. Top-Orchester gönnen sich eigene Tarifverträge, um für die besten Musiker auch finanziell attraktiv zu sein. Keiner dieser Verträge benachteiligt Frauen – und doch verdienen Musikerinnen oft weniger. Bei Hochverdienern wie den Berliner Philharmonikern sind gegenwärtig nur 19 Prozent Frauen unter Vertrag, beim Philharmonischen Orchester Hagen dagegen knapp 50 Prozent.

{Die philharmonischen Bastionen bröckeln}

Viele lukrative Funktionsstellen sind nach wie vor fest in männlicher Hand. Macht ihr Anteil an den Orchestermusikstellen nach Angaben der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) 64 Prozent aus, halten sie nach gleicher Datenlage 74 Prozent aller Solostellen. Besonders im Bereich der frei verhandelten Zulagen für Konzertmeister und Solo-Cellisten sind Frauen bislang unterdurchschnittlich vertreten. Bei den Stellvertretern und Vorspielern der Streicher dagegen ist ihr Anteil oft höher als der der Männer.

Fehlende oder Furcht einflößende Vorbilder haben Frauen den Weg an die Pulte sicher nicht erleichtert. Wer es nach vorne geschafft hatte, gibt gerne zu Protokoll, Frauen müssten doppelt so gut sein wie ihre männlichen Konkurrenten. Oder schweigt. Die philharmonischen Bastionen bröckeln trotzdem und wirbeln dabei eine Menge Staub auf, der sich in den Tempeln von Frau Musica angesammelt hat. Selbst bei der Tschechischen Philharmonie dürfen jetzt Frauen mitspielen, dem EU-Recht sei Dank. Und die Wiener Philharmoniker haben jüngst die erste Konzertmeisterin ihrer Geschichte berufen. Sie kann sich mit ganzen vier Kolleginnen austauschen, zum Beispiel darüber, was Dieter Flury, ihr Philharmoniker-Geschäftsführer, über die Seele der Wiener sagt: „Die Seele lässt sich einfach nicht trennen von kulturellen Wurzeln und auch nicht vom Geschlecht.“ Nur Asiaten haben es in Wien noch schwerer als Frauen.

Doch die Wandlungen der Seele lassen sich von einem privat organisierten und öffentlich subventionierten Herrenverein nicht aufhalten. 1987 gab es 12 Prozent Frauen in den deutschen Kulturorchestern, heute sind es mehr als 36 Prozent. Morgen werden sie die Hälfte stellen, übermorgen mehr als das. Niemand kann sie aufhalten, die am besten ausgebildete Musikerinnengeneration, die es je gab. Es dauert, bis Musiker nach Jahrzehnten am gleichen Pult in Rente gehen. Aber mit jeder Verjüngungswelle kommen mehr Frauen in die Orchester. Gehen Sie mal wieder in ein Konzert des RSB. Als traditioneller Hort von Männerpfründen haben die Orchester die Zeichen der Zeit erst spät erkannt. Doch wenn die deutsche Orchesterlandschaft tatsächlich einmal ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wird, hat sie nichts mehr gemein mit jenen grauen Klangkörpern, denen wir unsere erste Klassik-Begegnung verdanken.

Ende unserer Serie mit Beiträgen von Antje Sirleschtov über die Notwendigkeit einer Quote (7.3.), Caroline Fetscher über Kinder & Geschlechterrollen (9.3.), Meike Fessmann über die Zumutungen des Neoliberalismus (11.3.), Anja Kühne über Widerstand gegen die Frauenbewegung (13.3.), Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über ihr Nein zur Quote (16.3.), Armin Lehmann über Quoten für Männer (18.3.), Bischof Markus Dröge über Kirche ohne Quote (21.3.), Heike Melba Fendel über Milchmännerrechnungen (22.3.) und Elisabeth Binder über harte Bescheidenheit (23.3.).

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