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Kultur: Schmeichler und Skandale

Der Kunst geht es gut – sie verkauft sich prima. Ein Rundgang über die Messe

Eigentlich müsste Christoph Schlingensief schlechte Laune haben. Doch Frustrationen sind ihm offenbar fremd, und so steht der Berliner Theatermacher am Stand von Hauser & Wirth und hält fröhlich ein Schwätzchen mit seinem Galeristen Iwan Wirth. Sein neuestes Projekt, die Skulptur „60 % des Schrottwagens“, bleibt derweil in der Garage – womöglich, weil es sich bei dem Blechhaufen, den er während der Frieze Art Fair im Regents Park ausstellen wollte, um die Überreste jenes Unfallwagens handelt, in dem einst Prinzessin Diana starb. Bei dem Thema reagieren die Briten immer noch zuverlässig reserviert. Und Schlingensief spart sich wieder mal die Pressearbeit, denn die erledigt sich bei so einer Geschichte von ganz allein.

Den Frieze-Organisatoren kann das nur recht sein. Im vierten Jahr sind sie mit ihrer Kunstmesse dort, wo sie schon immer hinwollten: in der Sphäre des talk of the town, in der täglich über Skandale und Skandälchen berichtet wird. Da sollen Frieze-Sponsor Deutsche Bank und der Künstler Paul Fryer für ihre Parties denselben Ort gemietet haben, und das auch noch bei einem „Lord“ mit, wie sich zu spät erwies, zweifelhaftem Ruf – die angesehene Kunstzeitung The Art Newspaper widmet der Story reichlich Platz. Alle wollen dazugehören, und selbstverständlich bitten auch die großen Auktionshäuser während der Frieze-Week zu ihren publikumswirksamen Versteigerungen mit aktueller Kunst. Die Tate Modern eröffnet nicht nur Carsten Höllers Installation in der Turbinenhalle, sondern verlegt auch noch schnell ihre Fischli-und- Weiss-Schau um eine Woche vor.

Auf der Messe selbst tummeln sich am Eröffnungstag prominente Besucher wie Kate Moss, Elle McPherson und der seltsam sediert wirkende Modezar Valentino. Sie tun das, was sie immer machen: nämlich Aufmerksamkeit erregen. Und die Kunst? Der geht es gut, außerdem verkauft sie sich prima. Schlingensief-Galerist Wirth zum Beispiel präsentiert in einer Extra-Koje Arbeiten von Roni Horn, darunter eine schwarze mittelgroße Kugel mit dem Titel „Black Asphere“ aus solidem Kupfer. Das Gewicht des Werks wird aus guten Gründen mit angegeben: Es beträgt annähernd drei Zentner. Eine Skulptur von Paul McCarthy – „Jack“, der rote Pirat – hatte die Galerie ebenfalls im Angebot. Die Vergangenheitsform ist angebracht, wechselte das 480 000 Dollar teure Stück doch schon in den ersten Messestunden den Besitzer.

Zufriedene Gesichter auch bei den deutschen Galeristen, die nach den Briten und Nordamerikanern zahlenmäßig die größte Gruppe der über 150 Teilnehmer bilden. Contemporary Fine Arts aus Berlin war unter anderem mit einem großen Gemälde von Jonathan Meese erfolgreich, Giti Nourbakhsch reüssierte mit Skulpturen von Berta Fischer und einem dunklen, verführerisch schimmernden Streifenbild von Anselm Reyle. Barbara Weiss erntete Anerkennung mit Thomas Bayerles frühem Op-Art-Druck „Carl Lazlo“ von 1967 sowie mehreren in sich verschlungenen Autobahn-Reliefs. Martin Klosterfelde zeigte Weitblick mit der Entscheidung, jeden Tag einen anderen Künstler der Galerie zu präsentieren: Schon zur Preview sorgte Nader Ahriman mit 36 en bloc verkauften Zeichnungen (21 000 Euro) für gute Stimmung.

Mit einem der schönsten Stände dieser Frieze punktete Christian Nagel aus Köln und Berlin. Kein Wunder, er holte sich professionelle Unterstützung: Den atemberaubend eleganten schwarzen Eingang mit seinen Initialen gestaltete Andreas Hoyer, der in Köln den Modeladen „Heimat“ führt. Nagel ist einer der wenigen Kunsthändler, der sich von der allgemeinen Euphorie in London nicht mitreißen lässt. Zwar hatte auch er schon zur Preview mit Gang Zhaos fast typischem China-Pop erfolgreiche Verkäufe getätigt, verhehlte aber nicht, dass er trotz der Londoner Celebrities in Basel und Miami mehr Spaß hat – respektive Umsatz erzielt. Ein anderer Verweigerer ist Gerd Harry Lybke: Kein Neo Rauch und kein Matthias Weischer findet sich am Eigen + Art-Stand, stattdessen die sperrige, weil zum Verschwinden minimalistische Inszenierung „Inver“ von Carsten Nicolai. Das ist kein Kalkül mehr, das ist echte Freundschaft zum Künstler.

Apropos Skandale: Die ereignen sich auch auf der Messe selbst, nicht nur in ihrem Umfeld. The Wrong Gallery von Maurizio Cattelan, Massimiliano Gioni und Ali Subotnick wiederholt eine Installation des Italieners Gino de Dominicis. Die Arbeit wurde schon bei ihrer ersten Präsentation 1972 auf der Biennale von Venedig angefeindet. Damals lauteten die Vorwürfe Voyeurismus und Ausbeutung von Hilfsbedürftigen. Gut dreißig Jahre später hat sich die Situation verschärft, da der Reprise der revolutionäre Impetus fehlt. In der Koje sitzt ein am Down-Syndrom Erkrankter und stiert auf die Bestandteile von „Second solution of immortality: the universe is immobile“: ein Stein, ein auf den Boden gemaltes Viereck. Der Messebesucher zweifelt schnell daran, dass er sich seiner Rolle als Schauspieler bewusst sei, wie Frieze-Gründerin Amanda Sharp glaubt. Diese Behauptung hält dem Augenschein nicht stand.

Insgesamt jedoch beweist die vierte Frieze, dass die Ankündigungen von der Rückkehr der politischen Kunst verfrüht gewesen sind. Das Gefällige, Augenschmeichlerische, Formalistische überwiegt bei Weitem. Eine Ausnahme bleibt Thomas Hirschhorn. Der Schweizer ist auf dem besten Weg, ein zorniger Mann mittleren Alters zu werden. Seine „Camo-Family“ bei Gladstone ist eine in ihrer ungeschützten Naivität eindrucksvolle Anti-Kriegs-Installation, in der es viel Hirschhorn-Vokabular zu sehen gibt: Parolen, Figuren, Fotos aus Zeitschriften. Kurzum: Unwahrheiten und Verstümmelungen jedweder Gestalt. Ein roter Punkt war nicht zu entdecken.

Frieze Art Fair, Regent’s Park, bis zum 15. Oktober.

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