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Kultur: Schmerzensmann im Slip

„Überall, wo die Matthäuspassion aufgeführt wird, ist Kirche“, antwortete Wilhelm Furtwängler einst salomonisch auf die Frage, ob man dieses Werk überhaupt in einem Konzertsaal aufführen dürfe. Daran, dass auch Opernhäuser dieser geistlichen Weihen teilhaftig werden könnten, dachte der Maestro damals vermutlich noch nicht.

„Überall, wo die Matthäuspassion aufgeführt wird, ist Kirche“, antwortete Wilhelm Furtwängler einst salomonisch auf die Frage, ob man dieses Werk überhaupt in einem Konzertsaal aufführen dürfe. Daran, dass auch Opernhäuser dieser geistlichen Weihen teilhaftig werden könnten, dachte der Maestro damals vermutlich noch nicht. Und doch hat die Matthäuspassion in der Vergangenheit immer wieder zur szenischen Auseinandersetzung gereizt: John Neumeier in Hamburg hat sie vertanzt, und vor acht Jahren brachte Götz Friedrich, sinnigerweise in Zusammenarbeit mit dem Nagel-Künstler Günther Uecker, seine bildkräftige Version der Kreuzigungsgeschichte (in der gestrafften Bearbeitung Felix Mendelssohns) an der Deutschen Oper heraus. Auch in diesem Jahr sind drei vorösterliche Aufführungen angesetzt, die erste am Mittwoch (mit Hausbariton Markus Brück als Jesus), die beiden folgenden (mit Matthias Goerne) am Palmsonntag und natürlich am Karfreitag.

Ob ein Schmerzensmann im schwarzen Slip tatsächlich zur Steigerung des religiösen Hochgefühls beiträgt, sei dahingestellt. In den Kantaten stellt sich dieses Problem zum Glück erst gar nicht. In seiner Bühnenversion der Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ versucht Hanno Siepmann im Theaterdiscounter, einen abstrakteren Zugang zu Bachs Musik zu finden (27./28. u. 30./31.3.). Siepmann, der als Komponist einmal mit seiner „Alice“ den Neuköllner Opernpreis gewann, hat im letzten Jahr ein Ensemble namens „BACHtheater“ gegründet, dass sich ganz der szenischen Aufführung der Kantaten des Thomaskantors widmet. 15 Sänger und ein Pianist versuchen, für Bachs Mehr- und Einstimmigkeiten, Chöre und Soli als Prozess von Streit und Versöhnung zu visualisieren. Auf dass das Worte Fleisch werde.

Jörg Königsdorf

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