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Kultur: Schmetterlinge sterben doch

Mit „Angel“, François Ozons Melodram im Stil von Douglas Sirk, endet der WETTBEWERB

Champagnerflaschen öffnet man nicht mit dem Korkenzieher, klärt der Verleger (Sam Neill) seine hoffnungsvolle Jungautorin auf. Tut man doch, beharrt diese. „Und wenn Sie in meinem Roman nur ein Wort ändern, gehe ich wieder.“ Eine Welt als Wille und Vorstellung ertrotzt sich die Gemüsehändlertochter mit dem gar nicht gemüsehändlermäßigen Namen Angel Deverell aus Norley, West Yorkshire. Ein luxuriöses Leben in Ruhm und Reichtum. Und weder Weltkriege noch Selbstmord des Ehemanns und schon gar nicht der sich wandelnde Geschmack können sie daran hindern.

Wahrscheinlich sind Regisseure und Schriftsteller gar nicht so anders. Sich eine Welt zu erträumen und ganz fest dran zu glauben, scheint ihr Erfolgsrezept. Und so wie sich Angel schamlos ihre Welt zusammenfantasiert, ohne durch Sachkenntnis oder Recherche angekränkelt zu sein, so hat auch Filmregisseur François Ozon kräftig in die historische Filmkiste gegriffen. Eine Mischung aus „Vom Winde verweht“ und Douglas Sirk sollte dabei herauskommen, ein ganz großes Melodram, und im Studio wurde dazu alles aufgeboten: Kamele vor dem Poster der Pyramiden von Gizeh, Gondeln in Venedig und Esel in Athen.

Die ganz großen Gefühle liefert auch Angel in ihren Büchern, die schöne Titel wie „Diana in Delphi“, „Hearts in Venice“ oder „Butterflies Never Die“ tragen. Die schöne junge Starautorin posiert stolz im Rampenlicht, denn das Zeug verkauft sich zunächst wie wild: Hausfrauen, Großmütter und alte Tanten reißen sich um die Kolportageromane, die sentimentale Heldinnen unsterbliche Sätze sagen lassen. Man muss sich das vorstellen wie Hedwig Courts-Mahler oder Rosamunde Pilcher (oder vielleicht auch wie die Fünfziger-Jahre-Buchvorlage der Schriftstellerin Elizabeth Taylor). Auch Ehemann Esmé (Michael Fassbender), selbst finster existenzialistischer Maler, begreift irgendwann das Geheimnis von Angels Erfolg: „Du sprichst in deinen Büchern immer nur mit dir.“

Die britische Schauspielerin Romola Garai ist diese Angel und spielt sie als eine Mischung aus Scarlett O’Hara und der schriftstellernden Joe aus Mervyn Leroys „Little Women“: eine dunkelhaarige, großäugige Schönheit, die sich bis zum Schluss ihre hinreißende Naivität, ihr kindliches Lachen, ihren strahlend gutgläubigen Blick bewahrt und im Verlauf von 15 Jahren auch kaum zu altern scheint. Entschieden wird sie selbst aktiv, macht dem charmanten Esmé selbst einen Heiratsantrag (Seine Reaktion: „Sollte das nicht eigentlich der Mann machen?“) und nimmt selbst den Ersten Weltkrieg als persönliche Kränkung. Selbst der eleganten Verlegersgattin Hermione (Paraderolle für Charlotte Rampling), die den Angel-Auftritt in ihrem Haushalt mit missbilligendem Strichmund beobachtet, nötigt Angels Selbstbewusstsein schließlich Respekt ab.

Das völlig durchgeknallte Traumschloss Haus Paradies, das sich Angel, die schon als Kind mit großen, sehnsüchtigen Augen am Gitter stand und von einem Leben im Schloss träumte, als eine Mischung aus Manderley und Xanadu herrichtet, passt gut zu ihr, zu ihren Spitzenvolants, Reifröcken und Pfauenfedern in Zeiten, wo die moderne Frau bereits mittellange Röcke und kurze Haare trug: eine Aus-der-Zeit-Gefallene ist diese Angel, und als solche stolziert sie schließlich als ältliche Gothic-Squaw durchs Bild, grotesk aufgetakelt und in diesem Moment sehr anrührend. Das Ende in Schmerz und Verwirrung, mit bloßen Füßen im Schnee, allein im Riesenhaus mit einer Unmenge von Katzen dann: eher schrecklich. Und dass am Ende nicht ihrem Leben, sondern ihrem Traum ein Denkmal gesetzt werden soll: die falsche Entscheidung.

Wahrscheinlich hätte François Ozon seinen Film nicht in der paradiesisch schönen Parklandschaft von Tyntesfield Estate bei Bristol (samt Regenbogen!) anlegen sollen. Auch nicht im psychologisch raffinierteren Frankreich, das – auch dies ein Film um selbstbewusst liebende und leidende Frauen – etwa bei Rivette zu besichtigen war. Eine maßlose Heldin mit maßlos schlechtem Geschmack, eine Selfmade-Woman, die sich egoistisch ihr Recht, auch ihr Recht auf Liebe nimmt, passt eigentlich eher nach Amerika, wo eine Scarlett O’Hara, mit der Angel die leuchtend roten Kleider und die gesunde Arroganz teilt, tatsächlich eine Heldin sein kann. Was den Umgang mit kriegsversehrten Ehemännern und das Entdecken weiblicher Sexualität um die Jahrhundertwende angeht, war Pascale Ferrans „Lady Chatterley“-Verfilmung im Panorama der leisere, aber weit spektakulärere Film. Er wäre ein würdigerer Abschluss gewesen.

Heute 12 Uhr (Urania), 22 Uhr (Berlinale-Palast)

Christina Tilmann

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