zum Hauptinhalt
Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Schön subjektiv

Helma Sanders-Brahms zum 70. Geburtstag

Mutter und Tochter auf dem Weg durch deutsche Ruinenlandschaften. Die Mutter trägt das Nötigste im Rucksack und hält ihr Kind an der Hand. Plötzlich die Konfrontation, der Blickkontakt mit einem kleinen, elternlosen Jungen. In ihrem bekanntesten Film „Deutschland bleiche Mutter“ aus dem Jahr 1979 hat Helma Sanders-Brahms fiktive Szenen mit dokumentarischem Archivmaterial montiert und eine Authentizität erreicht, die anderen um die gleiche Zeit entstandenen Filmen über Krieg und Nachkriegszeit fehlt. Dabei ist „Deutschland bleiche Mutter“ hemmungslos subjektiv: Die Regisseurin erzählt aus dem Off die Geschichte ihrer eigenen Mutter, ihre Tochter spielt das Kind, also sie selbst. Dieser Gestus der Subjektivität, der Betroffenheit wurde Sanders-Brahms oft vorgeworfen – nur schuf sie dabei stets wunderbare Bilder.

So wie schon in ihrem ersten Spielfilm von 1974, „Die letzten Tage von Gomorrha“, ein Science-Fiction-Film, der zwischen psychedelischen Farben und tiefstem Schwarz changiert und in dem die knubbeligen Plastik-Interieurs des Europa-Centers und die lange Reihe von leeren Registrierkassen eines Baumarktes unheimlich futuristisch wirken. Sehenswert ist auch ein omnipräsenter Apparat: Wer in die eiförmige Kapsel einsteigt und Schläuche und Kabel anlegt, katapultiert sich in eine virtuelle Welt, die viel attraktiver als die reale ist – eine hellsichtige Vorwegnahme gegenwärtiger Online-Sucht-Phänomene. Die Heldin des Films ist eine Prostituierte, die deshalb um ihre Existenz fürchten muss. Gespielt wird sie von Mascha Rabben, die als Model das Schönheitsideal der sechziger Jahre verkörperte, bevor sie für den Film entdeckt wurde. In einer Szene liegt sie neben der Kapsel am Boden und versucht vergeblich, Kontakt zu ihrem sich in der Kapsel befindlichen Liebsten aufzunehmen. Zwischen beiden befindet sich nur eine Plexiglas-Schale, aber der Mann ist unerreichbar – eine schöne visuelle Metapher für die unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten in Beziehungen, wie sie zwischen den Geschlechtern in jener Zeit diskutiert wurden.

Heute wird Sanders-Brahms, die als Regisseurin von Dokumentarfilmen über die Arbeitswelt begann und damals eher dem „Frauenfilm“ als dem Neuen Deutschen Film zugeschlagen wurde, siebzig Jahre alt. Daniela Sannwald

„Die letzten Tage von Gomorrha“ und andere Filme, Lesungen und Diskussionen von und mit Helma Sanders-Brahms:

So, 21. 11, 11 Uhr, Akademie der Künste.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false